»Kein Geschwafel. Kein Sichherauswinden oder Feilschen oder Bestechen. Diesmal nicht. Du hast mich in der Wasserburg zurückgelassen. Hast mich dagelassen, damit du ruhmreich als Knappe durch die Gegend marschieren kannst, der Knappe, der ich hätte sein sollen, wenn Politik und Brüder mich nicht davon abgehalten hätten.«
Ich hörte, wie er ein Messer aus der Scheide zog. Alfrik wollte mich anscheinend abstechen.
»Ich bitte dich, großer Bruder, überleg dir noch mal, was du da machst.«
»Ich höre dir nicht zu. Denk dran, ich habe gesagt, kein Geschwätz.«
Ich fühlte die Messerkante an meiner Kehle.
»Guck mal, während wir hier im Sumpf kämpfen…«
»Oh, ich sehe nicht viel von einem Kampf, Galen. Soweit ich das sehe, bist du hier festgenagelt und wartest auf etwas, dem du nicht entkommen kannst.«
Ich sah ihn in der Dunkelheit grinsen.
»Weißt du, kleiner Bruder, ich habe diesen Sumpf die ganze Zeit beobachtet, seit ich hier bin. Wächst schnell, nicht wahr? Tja, es kann leicht Jahre dauern, bis irgend jemand deine Knochen findet, und bis dahin weiß niemand mehr, wer du warst. Und selbst wenn, wer würde mich verdächtigen? Ich bin wahrscheinlich längst Oberhaupt der Pfadwächter, wenn deine Überreste auftauchen. Dann gehört mir die Wasserburg und alles Land drumherum. Reiche morden nie. Ich werde einfach so traurig wie möglich sein angesichts der Überreste meines lange vermißten Bruders, der vor vielen Jahren verschwand, als er Sir Bayard Blitzklinge von Vingaard folgte und versuchte, der Knappe zu werden, zu dem er nicht geboren war. Gefällt dir die Geschichte soweit, Wiesel?«
Kaum. Bestenfalls würde er sich damit amüsieren.
Dennoch wollte ich ihn nicht schneller als nötig zu der Schlußfolgerung bringen, zu der ich gekommen war. Also hielt ich still, gab nach und lauschte. Viel mehr als für die Dummheiten, die mein Bruder zu sagen hatte, interessierte ich mich für Geräusche von jemandem – egal wem –, der sich uns näherte.
Inzwischen hatte ich erraten, daß der Mann, der uns nach Angaben der Zentauren gefolgt war, nicht Brithelm, sondern Alfrik war. Aber das war jetzt auch egal.
Nach all den Jahren, wo er mich gewürgt und erdrosselt hatte, bis ich fast ohnmächtig war und ihm einfiel, daß Vater etwas gegen Brudermord hatte, war Alfrik jetzt der Wasserburg entkommen und weit außer Reichweite des langen, strafenden Arms des alten Mannes. Er wollte es wohl zu Ende bringen.
Ich sah sein Messer im Mondlicht blitzen.
»Alfrik.«
»Klappe, Wiesel. Von jetzt an mache ich, was mir gefällt. Und was mir gefällt ist… Knappe von Sir Bayard Blitzklinge von Vingaard, Ritter von Solamnia, zu werden.«
»Oh, das kannst du haben, Bruder«, rief ich im verzweifelten Versuch, alles zu versprechen, das diese Klinge von meinem Hals fortbringen würde. Verzweifelt lauschte ich auf sich nähernde Schritte, Huftritte oder irgendeinen Anlaß aufzuschreien. »Du kannst gerne statt meiner seine Rüstung für das Turnier polieren.«
»Turnier?« Der Druck des Messers ließ nach. »Was für ein Turnier?«
»Wirklich. In Kastell di Caela, drüben in Südsolamnia. Alles, was draufhauen kann, kommt dahin, um die Hand von Enid di Caela und ihre Mitgift, den gesamten Besitz ihres Vaters, zu kämpfen. Da kann man Bekanntschaften knüpfen, sag ich dir. Ehrlich, ich helfe dir gerne, Knappe zu werden. Ich wäre entzückt darüber…«
»Du wirst gar nichts machen, Galen. Weißt du, Sir Bayard wird einen Knappen brauchen, wenn sein kleines Wiesel im Sumpf verschwindet. Damit bin ich der einzige Kandidat für diesen Posten. Ich brauche kein Empfehlungsschreiben von dir. Von da an nur noch ein paar Tricks und ein bißchen Firlefanz beim Turnier, und wer weiß, am Ende komme ich vielleicht selbst für diese Lady Enid di Caela in Frage. Ich kann genauso gut reiten wie jeder andere. Ich kann mit einer Lanze umgehen.«
»Aber, Bruder«, fing ich an, da die Klinge wieder fest auf meine Gurgel drückte, während mein Bruder seinen Ruhmesplänen nachhing. »Laß uns doch mit dem ersten Hindernis anfangen, bevor wir dich zum Oberhaupt des Hauses di Caela und allem machen. Dir ist doch bestimmt klar, daß du einen gewissen Verdacht erregst, wenn du in dem Moment aus dem Sumpf kriechst, wo Bayard einen Knappenposten zu vergeben hat.«
»Darum machen wir es auf meine Weise. Und die geht so«, verkündete er und hob das Messer. Ich atmete tief durch und tat so, als würde ich ehrfürchtig zuhören, während Alfrik schadenfroh, ja fast begeistert, seinen blöden Plan erklärte.
Er machte eine lange Pause. Ich konnte beinahe hören, wie er sich alles ausmalte, wie diese rostigen Rädchen sich in der großen Leere in seinem Kopf drehten.
»Nämlich so«, setzte er zögernd an. »Ich sage Bayard, daß… Vater… einen Beweis gefunden hat, daß du, und nicht ich, der Schuldige warst.«
»Und dieser Beweis wäre?« Es war unbequem, über dem dicken Arm meines Bruders zu liegen.
Wieder eine lange Pause.
»Na?«
»Klappe, Wiesel. Ich muß mir was ausdenken. – Zum Beispiel…«, meinte er gedehnt und schüttelte mich plötzlich vor Aufregung, bis mir der Kopf weh tat. »Zum Beispiel mit deinem Namensring! Das hat dich nämlich überhaupt nur herausgerissen, daß Bayard ihn bei deinem ganzen dummen Wieselglück auf seinem Kaminsims gefunden hat!«
»Was soll mit dem Ring sein?«
Eine weitere lange Pause, während der er das Messer zurückzog. Dann hob mein Bruder mich auf, setzte mich grob auf die Zypresse und drehte mein Gesicht zu sich.
»Äh… was kannst du dir vorstellen, Galen?«
Ich konnte mir vorstellen, daß er jetzt mir gehörte.
»Oh, ganz einfach«, legte ich los und dachte mir eine glaubhafte Geschichte aus. »Wie wär’s denn damit… Vater hat sich die Ringe genauer angesehen… und er hat entdeckt, daß der Mann in Schwarz den echten Namensring hatte, und daß der, den Bayard gefunden hatte, eine Fälschung war. Er war extra dahingelegt worden, damit er genauso handeln würde, wie er es dann auch tat, nämlich dich übergehen und den ›zu Unrecht bestraften‹ jüngeren Bruder als Knappen annehmen. Dann hat Vater dich mit dieser Nachricht zu Sir Bayard geschickt, damit der die ganze Geschichte mit dem Knappen neu regeln kann.«
Alfrik nickte freudestrahlend. Er war der einzige, der dumm genug war, eine Geschichte zu glauben, die so nah bei der tatsächlichen Wahrheit lag.
»Weißt du, ich glaube wirklich, daß Sir Bayard das glauben wird«, sagte er, während er auf und ab sprang, bis er in der schweren Rüstung taumelte.
Ich nickte unschuldig meine Zustimmung.
»Ach, übrigens, Galen. Der Mann in Schwarz? Also, der ist tot.«
»Tot?« Bei dieser Nachricht lief mir ein Schauer über den Rücken.
»Das war eine ganz komische Sache, meinte Vater. Eine Stunde nach eurer Abreise schickt er die Wachen mit Essen runter, und der Schurke ist tot. Die Tür ist verschlossen, die Gitterstäbe am Fenster sind heil – also ist keiner reingekommen, um ihn zu erledigen. Er war in seinen schwarzen Mantel gewickelt, und der Gestank muß nach Angaben der Wachen einfach gräßlich gewesen sein. Und was noch merkwürdiger daran war, Galen: Vater sagt, der Körper war ganz verwest gewesen, als ob der Gefangene schon mindestens ein Jahr tot wäre.«
»Aber…« Wieder lief es mir kalt den Rücken herunter.
Alfrik nickte.
Auf einmal wollte ich überhaupt nirgends mehr bleiben, am wenigsten in diesem rabenverseuchten Sumpf. Ich ging auf einen der Pfade zu, die von der Lichtung wegführten – irgendeinen Pfad. Ich war nicht mehr wählerisch. Aber Alfrik versperrte mir den Weg.
»Wo willst du hin?« wollte er wissen und zückte drohend sein Messer.
»Na, Sir Bayard finden, natürlich«, sagte ich so überzeugend wie möglich, »und alles beichten.«
»Wie sollen wir Sir Bayard finden?« fragte er argwöhnisch.
»Folg mir. Ich weiß, wo er ist«, log ich.
Ich hatte noch keine zwei Schritte getan, als Alfriks Hand auf meine Schulter knallte und mich festhielt.