Bayard starrte lange ins Feuer, bevor er aufstand. Er stapfte zu Valorus und dem Packpferd hinüber, um sich um sie zu kümmern. Links in den Büschen flatterte etwas. Ich erschrak, weil ich einen Hinterhalt befürchtete.
Inzwischen hatte Agion Schilf und Blätter zu Bündeln aufgeschichtet, die er auf dem Boden der Lichtung zu einer provisorischen Matratze ausbreitete. Während die anderen ihren eigenen Angelegenheiten nachgingen, traf sein Blick den meinen und zeigte mit seiner großen, plumpen Hand auf sein Werk.
»Mein Herr Archala sagte, sieben Tage und Nächte bei uns würden Ihn entlarven«, stellte er fest, wobei sein Gesicht sich zu einem ebenso freundlichen wie häßlichen Lächeln verzog. »Aber er hat keinem befohlen, die ganze Zeit wachzubleiben.«
Ich kroch dankbar auf das Lager und schlief den Morgen und den Nachmittag über wie ein Stein, während mein gewaltiger Gefährte und Aufpasser Wache stand.
Ich begriff, daß Bayard vorläufig jegliche Geduld mit den Pfadwächtern verloren hatte. Selbst die Zeit, die ich verschlief, war Zeit, die er auf dem Weg nach Kastell di Caela aufholen mußte.
Doch diese Ungeduld hatte auch ihr Gutes, denn während ich schlief, schien Sir Bayard vergessen zu haben, weitere Details über meine nächtlichen Abenteuer aus mir herauszulocken. Oder er überging dies absichtlich.
Während er die Pferde versorgte und Brithelm vom Feuer zum Rand des Lichtscheins ging und sich anscheinend zum Meditieren hinsetzte, regte ich mich schläfrig auf meinem Schilfbett, griff in die Tasche und zog die Calantina hervor.
Eins zu Zehn. Zeichen der Viper.
Na schön. Also tat ich, was Schlangen tun.
Ich erhob mich und ging zu Bayard rüber, der sich an das Packpferd lehnte und mit seinen großen Händen alles festzurrte, was der Sumpf am Sattel gelockert hatte. Als ich kam, schaute er kurz über die Schulter und widmete sich dann wieder seiner Arbeit.
»Bayard?«
Ich rief noch einmal leise: »Bayard?«
Er zerrte seine Rüstung vom Pferd und begann, sie anzulegen. Dann sah er mich an, lächelte und winkte mich zu sich. Ich kam mir immer gemeiner vor.
»Ich hoffe, du hast gut geschlafen, Galen, aber jetzt müssen wir los. Ich bin sicher, daß wir die Satyre dort finden, wo du gesagt hast. Was meinst du, wie weit wir von dem Lager entfernt sind? Hilf mir mal.«
Ich bückte mich, zog eine Beinschiene fest und antwortete: »Nicht weit, glaube ich, Sir. Es dürfte leicht zu finden sein.«
»Denk nach, Junge«, drängte er. »Du hast keine Ahnung, was diese Verzögerung für mich bedeutet.«
Als ich Bayard auf die Beine half, begann über unseren Köpfen ein Irrlicht zu glühen. Zuerst schillerte es in der Luft des frühen Abends, als hätte es sich wie ein Haufen Glühwürmchen in den Zweigen einer riesigen, moosbewachsenen Eiche niedergelassen, die die Lichtung überschatteten, wo wir gelagert hatten. Kurz darauf hob sich das Licht aus den Zweigen und begann, sich in die Richtung zurückzubewegen, aus der ich gekommen war.
Am Anfang tat ich so, als würde ich das Irrlicht nicht bemerken, aber bald wurde mir klar, daß keiner meiner Gefährten es gesehen hatte. Also konnte ich dem wabernden Licht leicht folgen und hielt nur hin und wieder an, um angeblich die Position zu bestimmen und dann einen Baum, einen Teich oder eine Wegbiegung wiederzuerkennen. Bald mußte ich nichts mehr vorspielen, denn meine Gefährten folgten mir ohne Fragen. Sie waren viel zu sehr damit beschäftigt, Stechmücken totzuschlagen, sich durch das Unterholz zu arbeiten und das Gelände und sich gegenseitig zu beschimpfen.
Die ganze Zeit hing das Licht etwas vor und über uns, mein Leuchtfeuer in diesem verräterischen Sumpf. Und die Nacht brach mit der entsetzlichen Geschwindigkeit über uns herein, die sie nur in dichtem Urwald haben kann.
Auf Bayards Befehl ritt ich als Führer voran. Brithelm ging neben mir mit der einen Fackel, Agion lief hinten mit der anderen. Bayard führte Valorus und lief zwischen ihnen. Er trug jetzt die volle Rüstung, die laut klirrte und ihn tief in den weichen Untergrund einsinken ließ. Er mußte die Möglichkeit eines Endkampfes an dem Ort, wohin ich sie führte, vorhergesehen haben und wollte auf diesen Fall vorbereitet sein.
Was mich am meisten belastete war, daß Brithelm mit uns kam. Was der Skorpion mit unserer kleinen Gruppe vorhatte, konnte ich nicht erraten, aber mein unschuldiger Bruder hatte meinen Verrat nicht verdient. Doch er wollte uns unbedingt begleiten. Mein Bruder würde vorläufig bei uns bleiben.
Die ganze Zeit tanzte ein paar Meter vor mir das ungesund grüne Irrlicht, das uns alle zum Lager und in ein ungewisses Schicksal führte.
Als ich vor uns den Rauch von Holz wahrnahm und eine Ziege blöken hörte, hielt ich an und sah mich um.
Dort am Rande des Lagers, knöcheltief im Schlamm, befragte ich mein Schicksal.
Schnell und heimlich zog ich die Calantina aus der Tasche und warf in der Hand die roten Würfel. Wieder das Zeichen der Viper. Die Dinger wollten mir etwas sagen, aber ich wußte nicht, was.
Brithelm legte mir die Hand auf die Schulter. Ich zuckte zusammen und fuhr herum. Mit besorgtem Gesicht musterte er mich.
»Was quält dich, kleiner Bruder?«
»Mich? Ach, nichts, Brithelm.« Ich sah mich vorsichtig um: Bayard beruhigte den zunehmend nervösen Valorus.
Auf einmal drangen Schreie und schrille Rufe von der Lichtung vor uns heran.
Bayard zog sein Schwert und packte mich, als ich den Pfad zurückrennen wollte. Er warf mich zu Boden.
»Zieh dein Schwert, Galen!« befahl er leise und drängend mit zusammengebissenen Zähnen. »Bei den Göttern, diesmal bist du dabei.«
Er riß mich auf die Füße und schleppte mich unter dem linken Arm auf die Lichtung. Sein Schwert hielt er in der Rechten. Ich hörte Agion hinter uns schnauben, hörte Brithelm etwas sagen und Bayard antworten: »Bleib einfach in Deckung und halte die Pferde, Brithelm.« Dann wurde ich von der merkwürdigen, künstlichen Helligkeit der Flammen und des Irrlichts geblendet.
Ich zählte zwölf von ihnen, und ich zählte schnell. Nach dem ersten Ausfall sammelten sich die Satyre unter der umwölkten Plattform – ob es nun das Haus oder der Thron des Skorpions hinter dem Haus war, konnte ich nicht sagen. Die Ziegenmenschen brachen aus den Schatten und wieder zurück, und ihre Rufe vermengten sich zu einem leisen, aber bedrohlichen Gemurmel. Die meisten hatten Bögen, einige auch kurze, gefährliche Speere.
»Ich nehme die acht links, Sir Bayard«, schrie Agion. »Er und Sein Knappe können die vier rechts haben.« Und schon stürmte er los.
Das war Arbeitsteilung, wie sie mir gefiel. Jetzt konnte ich nur noch hoffen, daß Bayard vorhatte, die anderen vier allein zu erledigen.
Ich hoffte das um so inständiger, als die Wolken über den Satyren aufrissen.
Denn über ihnen saß der Skorpion auf seinem Thron. Als die Satyre die Bogen spannten und mit den Speeren zielten, griff ihr Anführer in die Falten seines schwarzen Umhangs und zog etwas Glänzendes, Blitzendes heraus. Es war eine Art Pendel, das auf die Entfernung so klar und glänzend wie ein Kristall erschien und das er beiläufig mit der linken Hand durch die Luft schwang.
Während seine Truppen sich zum Kampf rüsteten, galt seine völlige Aufmerksamkeit nicht der sich zuspitzenden Auseinandersetzung, sondern dem Ding in seiner Hand. Warum auch sollte er nicht dasitzen und beiläufig mit glitzerndem Tand spielen? Seine Satyre waren uns drei zu eins überlegen – sechs zu eins, wenn man die Kampfkraft der Pfadwächter berücksichtigte –, und es war ganz klar, daß…
»Schaut nicht auf das Pendel«, drängte Brithelm neben mir. Er hatte Valorus und das Packpferd sich selbst überlassen und war zu uns auf die Lichtung gelaufen.