»Aber es mußte gar kein sogenannter Pöbel fortgejagt werden«, erläuterte Bayard. »Denn sie hatten das Schloß nie bezogen. Sie glaubten, wenn sie im Luxus ihrer angeblichen Unterdrücken leben würden, dann würden sie so bösartig und gemein wie ihre Unterdrücker werden.«
»Soll das heißen, daß sie ihre Strohhütten den Sälen von Burg Vingaard vorzogen?«
Bayard nickte.
Das war unglaublich.
»Dann hatten sie es verdient, vertrieben zu werden, weil sie einfach blöd waren«, verkündete ich.
Diesmal pflichtete Agion mir nicht so schnell bei, denn ein Haus mit Strohdach erschien ihm zweifelsohne anheimelnder als die Aussicht auf Stein wände. Auch Bayard war anderer Ansicht. Mit gerunzelter Stirn schüttelte er langsam den Kopf und blinzelte nach Osten in die Ferne.
»Galen, das kann ich nicht beantworten. Was manchmal wie schiere Dummheit wirkt, hat oft verborgene Prinzipien.« Er sah weiter nach Osten, um dann zu nicken, als ob er etwas am Horizont entdeckt hätte. Das hatte er auch wirklich. Er drehte sich zu mir um und wandte sich ernst an mich.
»Ich habe schon genug Probleme mit meinen eigenen Prinzipien, da kann ich nicht noch über andere urteilen.« Ich setzte mich im Sattel zurecht, weil ich eine weitere salbungsvolle Lektion erwartete, aber statt dessen nickte Bayard nach Osten und wechselte das Thema.
»Das Vingaard-Gebirge.«
»Sir?«
»Das Vingaard-Gebirge. Du wirst es bald sehen. Du würdest es jetzt schon sehen, wenn du Erfahrung darin hättest, wie man in die Ferne schaut.« Er lächelte, zog an den Zügeln des Packpferds und brachte es auf gleiche Höhe mit Valorus. »Von hier aus reiten wir genau nach Osten, dann sollten wir die Berge ungefähr bei dem Paß erreichen.«Während der Abendhimmel ein immer tieferes Blau annahm, wirkten die Berge tiefschwarz. In dieser Nacht kampierten wir in ihrem Schatten. Das Grün um uns herum wurde an dieser Stelle spärlich, denn es ging bereits aufwärts, und der Boden wurde steiniger.
Wir schliefen nicht gut, zumindest ich nicht, und am Morgen war ich kaum frischer als am Abend zuvor. Bayard rüttelte mich wach, und als das nicht viel half, stieß er mich mit dem Fuß an. Ein Stiefeltritt gegen aufgerittenes Fleisch tut nicht gerade gut.
»Noch ein scharfer Ritt heute, Galen«, verkündete er fröhlich – fröhlich und richtig energiegeladen. »Wenn wir zügig weiterreiten und die Götter uns einen freien Weg ohne Hindernisse bescheren, können wir immer noch in fünf Tagen in Kastell di Caela eintreffen, am Abend vor dem Turnier.«
10
Jetzt wird es Zeit für eine eigene Geschichte. Diese ereignete sich nicht lange, nachdem Bayard seine Geschichte erzählt hatte, und begann, während wir auf dem Weg zum Kastell di Caela durch das Vingaard-Gebirge zogen.
Wie von Bayard befürchtet, würde uns die Verzögerung im Sumpf spät, wenn auch nicht zu spät, zum di Caela Turnier kommen lassen. Doch das Turnier würde nicht warten. Über zweihundert Ritter aus ganz Solamnia und ganz Ansalon hatten sich versammelt. Es heißt, daß ein Ritter sogar aus Balifor kam. Er trug eine blaue Rüstung und einen exotischen, gelben Federschmuck, doch als wir das Schloß erreichten, war er bereits fort, weil er bei den Kämpfen sofort besiegt worden war. So brachte er keine Dame heim in die Berge am östlichen Ende der Welt, sondern nur einen großen Bluterguß und ein gebrochenes Schlüsselbein.
Doch der Blaue Ritter von Balifor war noch nicht einmal der auffälligste Bewerber um die Hand der Lady Enid di Caela. Wenn man Bewerber vom ganzen Kontinent herbeiruft, kann man damit rechnen, daß eine Reihe davon ein bißchen… ausländisch sind.
Da war Sir Orban von Kern, der mit seinem gespaltenen Bart und seiner Augenklappe irgendwie verrufen und fast wie ein Pirat aussah, auch wenn man sagte, daß kein Ritter ein unschuldigeres und edleres Herz in sich trug. Auf Sir Orbans Schulter hockte ein sprechender, orangeroter Papagei, dessen Farben sich mit dem Wechsel von Sonnen- und Mondlicht veränderten. Der Papagei redete die ganze Zeit mit Sir Orban, der ihm sozusagen antwortete und eigentlich kaum mit anderen redete.
Da war Sir Prosper Inverno von Zeriak, der von allen Rittern von Solamnia dort in Kastell di Caela aus dem tiefsten Süden kam. Seine Rüstung war dick und durchscheinend wie der Gletscher von Eismauer, der eine halbe Tagesreise von seinen Ländereien entfernt lag. Dick und durchscheinend und glitzernd wie Saphire, so daß die Versammelten sich fragten, ob sie aus Eis oder aus Edelstein bestand. Über den Schultern trug er das Fell eines weißen Bären, und es hieß, daß die Luft in seinem Zelt kälter wäre als in der Umgebung. Selbst Wein, der in einem Becher in seinem Zelt stehenblieb, sollte morgens eine Eiskruste gehabt haben. Aber unabhängig von den Gerüchten war er für sein unübertroffenes Geschick und seine Kraft im Kampf mit der Lanze berühmt, und kein Ritter wollte ihn zu Beginn des Turniers als Gegner haben.
Dann war da Sir Ledyard von Südlund, der, wie es hieß, zu lange zur See gefahren war. Er hatte von weitem das Blutmeer von Istar gesehen, und seine Augen waren von dem Anblick rot geworden. Genauso seltsam war sein Helm, auf dem über den Ohren Muschelwirbel in das Metall getrieben waren, so daß Sir Ledyard aussah, als wäre er selbst ein Wesen aus dem Blutmeer. In diesem Helm und in den Muscheln über seinen Ohren sang angeblich die See und rief ihn unablässig zurück.
Dann gab es noch Sir Ramiro vom Schlund, der noch weiter aus dem Osten kam als der Blaue Ritter von Balifor und auch noch größer war. Vierhundert Pfund muß er gewogen haben – ohne Rüstung. Er war immer gutgelaunt und liebte Marschlieder – und zwar etwas obszöne –, und ich bin sicher, daß Lady Enid erleichtert aufatmete, als er am ersten Tag des Turniers dem verhüllten Ritter zum Opfer fiel.
Denn der verhüllte Ritter war derjenige, der in Kastell di Caela die meisten Gerüchte auf sich vereinte. Er kam in der letzten Nacht vor Beginn des Turniers und schlug sein Lager abseits der anderen Teilnehmer gut zwei Meilen westlich der Burgmauern auf. Viele Ritter, selbst der unbeschwerte Sir Ramiro, erschauerten, wenn sie nach Westen zum Lager des verhüllten Ritters blickten, das sich als schwarze Silhouette vor der blutroten, untergehenden Sonne abzeichnete.
Sir Robert di Caela war deswegen selbst beunruhigt, auch wenn er nicht wußte warum, und stellte fest, daß er immer wieder über dieses fernste Lager hinaus nach Westen blickte. Er suchte die Ausläufer des Vingaard-Gebirges nach Zeichen einer Bewegung ab, nach einem letzten Lichtschimmer von der berühmten Rüstung des nahenden Bayard Blitzklinge. Einem Zeichen, daß wir endlich kämen. Dann würde Sir Robert den Ereignissen voller Zuversicht entgegensehen können, weil er wußte, daß das Schicksal sich erfüllte, daß der Blitzklinge, den er erwartete, doch noch gekommen war.
Als die Dunkelheit hereinbrach, stieg Sir Robert enttäuscht von den Zinnen, denn der Blitzklinge war nicht gekommen, war sicher unterwegs aufgehalten worden. Inzwischen gingen im Lager die Gerüchte um.
Der verhüllte Ritter stammte angeblich von jemandem ab, der aus einer Familie der solamnischen Orden ausgestoßen worden war. Er war zum Turnier gekommen, weil er hoffte, der Sieg könnte seine Familie rehabilitieren und die Ehre wiederherstellen, die sie Generationen zuvor bei der Umwälzung verloren hatten.
Oder der verhüllte Ritter war ein Zauberer, der verflucht war, über die Erde zu wandern, bis er ein solches Turnier gewinnen konnte. Dann würde er von dem Fluch und seinem Band an diese traurige Erde befreit sein und spurlos verschwinden.
Oder der verhüllte Ritter war der verkleidete Sir Bayard Blitzklinge, denn er war ohne Bedienstete gekommen, und war Bayard nicht auf der Suche nach einem Knappen durch Küstenlund gestreift?
Solche und andere Geschichten nahm Sir Robert in jener Nacht in das herrschaftliche Schlafzimmer von Kastell di Caela mit. Während er sich diese Geschichten durch den Kopf gehen ließ, klopfte es an den Toren, und es gab einen kurzen, überraschten Ausruf von den Wachen – ob freudig oder erschrocken konnte Sir Robert nicht sagen.