Heute nacht ist es zu spät für einen Antrittsbesuch, dachte Sir Robert, wie er mir später erzählte. Wer es auch ist, er kann bis morgen warten, denn das Turnier geht über Nacht nicht los.
Aber dann dachte er an Sir Bayard Blitzklinge irgendwo auf dem Weg nach Kastell di Caela. Wer weiß? Vielleicht stand er vor dem Tor und erwartete solamnische Höflichkeit – ein warmes Zimmer, einen Becher Wein, einen höflichen, formvollendeten Eintrag in die Listen für morgen.
Von neuer Hoffnung beseelt, erhob sich Sir Robert aus dem Bett, wobei seine Gelenke wohl knirschten und knackten.
Ich kann ihn vor mir sehen – kann alles sehen und hören, als würde es vor meinen Augen geschehen.
Sir Robert schnallt sich die Rüstung über das Nachthemd, den Helm über die Nachtmütze, und vor dem Schlafzimmerspiegel – eines der letzten Überbleibsel seiner schönen Frau, die viel zu jung starb – rückt der alte Mann den Brustharnisch und das glänzende Visier zurecht und bemüht sich um ein Gleichgewicht zwischen Bequemlichkeit und Würde.
Nicht schlecht für einen Mann mit Fünfzig, denkt er. Die Haare natürlich ein bißchen gelblich fahl, und das Gewicht drückt gegen die Nähte der Rüstung. Aber alles in allem nicht so weit entfernt von den alten Tagen und bestimmt gut genug, um solche wie diese jungen Bewerber zu empfangen.
Die außer Sir Bayard Blitzklinge und vielleicht noch ein paar anderen nur blasse Abbilder der Ritter sind, die den Orden in meiner Jugend bevölkerten.
Dann steigt er die Treppe hinunter, wobei er wegen der späten Stunde und der Kälte etwas hustet. Irgendwo hinten im Schloß melden sich drei mechanische Kuckucks. Sir Robert fummelt an einer Kerze herum, die kurz aufflackert, dann ausgeht und ihn im Dunkeln stehen läßt. Er flucht verhalten und greift über sich, um den Stummel an den glühenden Resten einer Fackel an der Wand anzuzünden.
Da hört er die Stimme unten am Fuß der Treppe. Obwohl er den Mann nie zuvor gesehen hat, weiß er, daß dies nicht Bayard Blitzklinge ist, wie er gehofft hat. Es ist der verhüllte Ritter, der weit im Westen sein Lager aufgeschlagen hat und auf die Dunkelheit gewartet hat, um sich erst dann im Schloß vorzustellen und für das Turnier anzumelden.
»Ich nehme an, Ihr seid Sir Robert di Caela?« fragt der Ritter aus dem Dunkeln. Und di Caela hat ein Dutzend Bemerkungen im Kopf – von tapferen, zornigen Worten bis zu scharfen Abfuhren, die diesen unverschämten Kerl wissen lassen sollen, daß in diesem Schloß die Geschäfte bei Tag erledigt werden. Doch als er die kalten, abfälligen Worte des Ritters unten an der Treppe hört, kann er nur ein schwaches »Ja« zur Antwort geben.
Sir Robert weicht unwillkürlich in sein Schlafzimmer zurück. Die Beine, die ihn sicher durch hundert Turniere getragen haben, das unerbittliche Schwert vom Chaktamir Paß, wo mein Vater zum Helden wurde, bewegen sich jetzt, bevor er es überhaupt bemerkt. Er bleibt stehen, wobei er sich wundert, warum ihn das so viel Mut kostet.
Am Fuß der Treppe regt sich etwas.
»Ich bin zu meinem Antrittsbesuch gekommen, Sir Robert«, sagt die Stimme eisig. »Ihr habt ein herrliches und gut gepflegtes Schloß. Die Ausbauten fallen kaum auf, was auf meisterliche Handwerksarbeit hindeutet.«
»Ich danke Euch«, setzt Sir Robert an, der sich von dem unguten Gefühl, der seltsamen Angst erholt. »Danke, Herr Ritter, auch wenn ich leider wohl wenig über die Ausbauten und Verzierungen am Schloß weiß. Ich bin ein rauher Geselle, der sich das Kinn mit dem Tischtuch abwischt, anstatt mit guten Manieren ein passender Erbe für seine alten Vorfahren zu sein.«
»Wenn das Euer größter Fehler als Ritter ist, Sir Robert«, besänftigt die dunkle Stimme, »dann könnt Ihr Euer Land an Eure Erben weitergeben in dem Wissen… daß Ihr in jeder Hinsicht gut gedient habt. Ich vermute mal, daß der Zustand Eures Besitzes – die Finanzen, das Land, das Wohlergehen Eurer Diener und Pächter – so gesund ist, wie Euer Schloß aussieht.«
»Na, na«, errötet di Caela und lehnt sich an den Türrahmen. Jetzt ist er sich kaum mehr so sicher, daß er den Besucher nicht mag. Ja, er bemerkt an dem jungen Kerl ein gewisses – Urteilsvermögen, eine Weisheit, die seine Jahre übersteigt. Zu wissen, wie schwer es sein kann, ein Rittergut zu bewirtschaften, wieviel Kraft und nötigen Schlaf das einen Mann kosten konnte.
Und würde er nicht gerade jeden Moment das Eintreffen von Bayard Blitzklinge erwarten, dann…
»Ich nehme an, Ihr seid gekommen, um Euch für das Turnier anzumelden, junger Freund«, beginnt Sir Robert herzlich, und der Mann tritt auf dem Treppenabsatz ins Licht.
Er trägt schwarz, als wäre er in Trauer, bemerkt Sir Robert. Und die Kapuze über seinem Gesicht wirkt nicht im mindesten so bedrohlich, wie der alte Ramiro sie geschildert hat.
Ganz sicher versucht er, einen Kummer zu überwinden, damit das Leben weitergehen kann.
»Ihr müßt der sein, den sie den verhüllten Ritter nennen«, stellt Sir Robert fest – ohne fragenden Tonfall, denn das Fragen ist er nicht gewöhnt. Fragen bedeutet schließlich Schwäche.
»Gabriel Androctus«, kommt die Stimme ruhig und weich aus den Falten des schwarzen Umhangs. »Das wird beim Turnier besser klingen. Weniger… theatralisch.«
»Tretet vor, Junge!« ruft Sir Robert noch herzlicher aus. »Kommt in meine Gemächer, dann suche ich gleich eine Feder.«
Doch Sir Gabriel steht vor der untersten Stufe und rührt sich nicht.
»Seid Ihr taub, junger Freund? Kommt her!«
»Oh, aber es ist spät, Sir Robert. Zweifellos später als… wir beide ahnen«, besänftigt Sir Gabriel. »Jetzt, wo ich mich vorgestellt und angemeldet habe, bitte ich Euch, mich zu entlassen, damit ich in mein Lager zurückkehren kann. Die Nacht ist kurz, und für die morgigen Kämpfe sollte ich ausgeruht sein.«
»Sicher, sicher«, ruft Sir Robert über seine Schulter. Er ist schon auf halbem Weg zu seinem Schreibtisch, wo der Federkiel im Tintenfaß steckt und das eingerollte Pergament mit den Namen der Turnierteilnehmer mit einem Samtband zusammengebunden liegt.
Er entrollt die Liste und hört, wie unten eine Tür zugeht. Er setzt die Feder an, um sie dann fluchend zurückzuziehen.
»Ich habe vergessen, Sir Gabriel zu fragen, wo er herkommt, verdammt noch mal!«
Doch die Säle unten liegen im Schweigen. Draußen wiehert ein Pferd im Stall, und die Nacht ist nur von Eulenrufen und dem leisen Zirpen der Grillen erfüllt.
Als am nächsten Morgen die Listen für das Turnier ausgehängt werden, steht Sir Gabriels Name ohne Herkunftsort oder Familie ganz unten auf dem Pergament. Natürlich wünscht sich Sir Robert, er hätte danach gefragt und die Liste vervollständigt, wie sich das gehört.
Doch der Name steht da mit denen der anderen versammelten Ritter. Was sonst kann ein Mann erwarten, der vorhat, seine Tochter dem besten Mann von Solamnia zu geben?
Er könnte erwarten, daß Bayard Blitzklinge da ist.
Sir Robert steht am Fenster des niedrigen Turms und schaut nach Westen über die Wimpel, die auf den Zelten im Lager flattern. Da ist Ramiros großer Bär mit dem Fisch im Maul und dahinter Sir Prospers silberner Eisberg. Noch dahinter weht das seltsame, pechschwarze Banner von Gabriel Androctus.
Dahinter die Berge, wo sich auf den Wegen nach Osten und nach unten kein Staub erhebt.
Bayard kommt nicht. Immer noch nicht.
Sir Robert seufzt auf. Sein Knappe beginnt mit der anstrengenden Aufgabe, dem alten Mann in den bronzenen Prunkharnisch zu helfen. Als er das endlich geschafft hat, händigt er ihm den Schild mit dem Wappen des Hauses di Caela aus – hellrote Blume auf weißer Wolke vor blauem Grund.