Dann stoßen sie zusammen, und die Lanzen splittern. Der Blaue Ritter fällt mit scheppernder Rüstung vom Pferd, wobei ein eisenblauer Stiefel im Steigbügel hängenbleibt, als das erschreckte Tier in einer Staubwolke davongaloppiert. Der Marschall reitet ihm hinterher, die Stallburschen folgen auf dem Fuße. An der Stelle des Zusammenstoßes liegt reglos der Blaue Ritter. Einen Augenblick hebt er langsam den Kopf mit dem Helm, als wolle er auf die Beine kommen. Dann kippt der Kopf zurück, und der Körper zuckt qualvoll zusammen.
Auf der Stelle ist Sir Robert auf den Beinen, weil er Betrug wittert, einen unfairen, höchstens geduldeten Stoß mit der Lanze. Doch alles hat sauber ausgesehen, absolut sauber, und als der Knappe des Blauen Ritters und andere Bedienstete zu ihrem Herrn laufen, wirft Sir Robert einen neuerlichen Blick auf den Sieger.
Sir Gabriel scheint vom Leiden seines Gegners ungerührt, denn er hat nicht einmal der Form halber ritterlich nach dem Wohlergehen seines gestürzten Gegners gefragt, wie es Orban und sogar der exzentrische, von der See geprägte Sir Ledyard getan haben. Statt dessen sitzt der schwarze Ritter am Rand des Platzes auf seinem Pferd und hält die gebrochene Lanze in die Höhe. Langsam lenkt er das große Schlachtroß zu den Zuschauertribünen, und als er direkt vor Sir Robert ist, klappt er wieder sein Visier hoch.
Sein Gesichtsausdruck ist ironisch, das Lächeln kalt wie schroffe Berge. Es ist ein Lächeln, das Sir Robert während des langen ersten Nachmittags des Turniers verfolgt, während die Lanzen splittern und Jubelrufe in seinen Ohren verklingen, bis sie nur noch unwichtige Hintergrundgeräusche für seine verstörten Überlegungen sind. Geräusche wie die von den mechanischen Kuckucks am Abend in den Gängen von Kastell di Caela, wo Sir Robert hektisch in seinen unaufgeräumten Zimmern herumläuft, nachdem er die Bediensteten für den Abend weggeschickt hat.
Morgen aber. Da bekommt dieser Sir Gabriel Androctus mit Sir Orban von Kern einen würdigen Gegner. Orbans Lanze war einst von hier bis Tarsis berühmt.
Sir Robert schläft unruhig und in der Hoffnung, daß die Zeiten von Orbans Lanze nicht vorüber sind.
Den Losen zufolge, die aus dem goldenen Helm gezogen werden, ist es der fünfte Kampf des nächsten Tages. Sir Robert ist aufgebracht und ungehalten, nachdem er am Morgen Lady Enid gescholten hat, bis wirklich die Tränen flossen (seine eigenen Tränen allerdings, denn wenn man Lady Enid schilt, dann schimpft sie zurück!). Es geht sogar das Gerücht, daß er auf dem Weg zum Turnier einen trödelnden Diener geschlagen hat.
Es ist, als hätte sich eine Wolke über den Kampfplatz gelegt, als Sir Robert trübsinnig und nervös vier langweilige Kämpfe hindurch auf der Tribüne sitzt, weil er nur darauf wartet, daß Sir Orban und der finstere Gabriel Androctus die Lanzen kreuzen.
Am Nachmittag ist es dann endlich so weit. Die Helden besteigen an entgegengesetzten Enden des Feldes ihre Rösser, und ihre Knappen marschieren vor die Tribünen, um den Gastgeber des Turniers von ihren Herren zu grüßen. Sir Orbans Knappe ist ein hübscher, dunkelhaariger Bursche, der zur Fülle neigt. Es ist der Neffe von Sir Ramiro vom Schlund, der am ersten Tag des Turniers von seinem eigenen Wein und von Sir Prosper Inverno besiegt wurde. Jetzt sitzt Ramiro in Begleitung einer unbekannten, jungen Frau neben Sir Robert bei den Zuschauern. Alle applaudieren dem gewandten, stattlichen Neffen.
Sir Gabriels Knappe hingegen ist ein ebenso großes Geheimnis wie sein Herr. Die dünne, schwarz verhüllte Gestalt hat das Turnier am ersten Tag nicht besucht, und eigentlich hatte alles geglaubt, Sir Gabriel wäre allein gekommen. Wer er auch ist und wo er auch herkommt, der Knappe versteht seine Sache: Er bringt die Förmlichkeiten kühl und ohne Versprecher über die Lippen und kehrt auf der Stelle zu seinem Herrn zurück. Jetzt führen die Knappen die Pferde langsam zu den Plätzen, wo sich die Visiere schließen und die Lanzen angelegt werden.
Wieder wechselt Sir Gabriel Androctus betont die Lanze von der linken Hand in die rechte. Sir Robert di Caela flucht einen höchst unsolamnischen Fluch in sich hinein.
Der Schuft will zeigen, daß er ihn mit links schlagen kann, denkt Sir Robert. Und fragt sich, ob Sir Gabriel Androctus seiner Prahlerei wohl genügen wird.
Der erste Stoß verläuft besser als gestern, denkt Sir Robert, als die Ritter einander begegnen und jeder dem anderen seine splitternde Lanze gegen den schweren Schild rammt. Beide Ritter stellen sich bei dem Aufprall in den Steigbügeln auf, und Sir Robert beißt die Zähne zusammen. Seine Schulter tut weh, als er sich an den Schmerz lange zurückliegender Turniere erinnert.
Beide Ritter wenden ihre Schlachtrösser und strecken die Hand nach einer neuen Lanze aus. Auf das Zeichen des Marschalls beginnt der Ansturm erneut. Wie große, holprige Wagen stürmen die Pferde vorwärts, und die Ritter lehnen sich mit angelegten, drohenden Lanzen im Sattel nach vorn.
Beim zweiten Aufprall ändert sich die Lage auf schreckliche Weise von Grund auf. Mit einem Knall und dem kreischenden Geräusch von zerkratztem, verbeultem Metall trifft Sir Gabriels Lanze mit voller Wucht gegen Sir Orbans Schild, durchstößt die Metall- und Lederschichten und bohrt sich dann wieder in Metall, als der Lanzenkopf in Orbans Brustharnisch taucht.
Augenblicklich sind Sir Robert und Sir Ramiro auf den Beinen und schreien »Betrug«. Denn die Waffen des verhüllten Ritters sind eindeutig vorher geschärft worden – scharfe Waffen statt Turnierwaffen –, nicht abgestumpft und gepolstert, wie es die Regeln des Turniers verlangen.
Für den gestürzten Sir Orban macht das alles keinen Unterschied. Zweimal versucht er, sich zu erheben, und beim zweitenmal gelingt es ihm mit einem tiefen, schmerzerfüllten Stöhnen, sich hinzuknien. Als er dann mit Staub und Dreck bedeckt dahockt, tröpfelt Blut aus der zerbeulten Kerbe im Brustharnisch und durch sein Visier, während er immer wieder hustet. Sir Orban bäumt sich noch einmal auf und fällt dann mit dem Gesicht nach vorn hin, noch ehe ihn seine Diener erreichen können.
Sein fülliger Knappe, der Kraft aus seiner Wut und seiner Angst zieht, dreht den gepanzerten Körper mit einer schnellen, geschickten Bewegung auf den Rücken.
Er öffnet das Visier und bricht in Tränen aus.
»Möge seine Seele an Humas Brust ruhen«, flüstert Sir Ramiro.
Sir Orbans Papagei kreischt, als würde er in Flammen stehen.
Starke Arme packen Gabriel Androctus, der sein Visier hochklappt und in kaltem Zorn das Leid und das Durcheinander auf dem Turnierplatz beobachtet. Er lächelt kurz, als man den Kopf der Lanze aus dem Brustharnisch zieht. Zum allseitigen Erstaunen ist die Waffe immer noch fest umwickelt.
»Turnierwaffen«, sagt er. »Wie es die Regeln verlangen, di Caela.«
Nur mit reiner Wucht, ohne unterstützende Klinge oder Spitze oder geschärften Rand hat er seine Holzlanze in einen gepanzerten Gegner getrieben.
Die Marschälle lassen erstaunt los. Androctus denkt nicht einmal daran abzusteigen, sondern reitet auf seinem Schlachtroß vom Turnierplatz zu seinem Zelt am Westrand des Lagers.
Sein Gegner für den nächsten Morgen zieht seine Teilnahme am Turnier zurück. Es ist ein Ritter aus Ergod, Sir Lyndon von Rocklin. Ritter und Gastgeber stehen im großen Saal von Kastell di Caela. Ein Stuhl liegt zerschmettert vor Sir Robert, der ihn in seiner Wut auf den Boden geschmissen hat.
Seinem aufgebrachten Gastgeber erklärt Lyndon:
»Ich weiß, wie das aussieht, Sir Robert, und daß es ein schlechtes Licht auf mich wirft. Aber trotz der Versicherungen des verhüllten Herrn, trotz der Polsterung an der zerbrochenen Lanze ist irgend etwas hier überaus faul und unfair im Vorgehen dieses schwarz gekleideten Mannes.«