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»Ich weiß, Lyndon, und wir haben, bei Huma, alles getan, um das herauszufinden. Wir haben die Lanze genauestens untersucht, sogar zweimal! Wenn meine Augen nicht trüb und die Marschälle selbst blind sind, hat Sir Gabriel nichts Regelwidriges getan. Entsetzlich, ja, in seiner sauberen, blinden… Brutalität. Aber nicht regelwidrig.«

»Dennoch«, beharrt Sir Lyndon, »wird weder Lady Enid, noch ihr beträchtliches Erbe ausreichen, damit ich meine Ehre beflecke. Und befleckt wäre sie, wenn ich gegen jemanden antrete, der im Turnier unfair gekämpft und dabei einen bewundernswerten Ritter durch seinen Betrug getötet hat.«

»Verwechselt nicht Ehre mit Angst, Sir Lyndon«, erschallt eine Stimme vom Saaleingang.

Es ist Prosper Inverno von Zeriak, der nach seinem Sieg über Sir Ledyard in den großen Saal von Kastell di Caela tritt.

»Beeindruckendes Schauspiel heute, Inverno«, bringt Sir Robert heraus, wobei er seinen Zorn wegen der Ankunft des ehrenwerten Gastes im Zaum hält.

»Ich danke Euch, Sir Robert«, erwidert Sir Prosper fröhlich. »Hätte ich Sir Ledyard nicht vom Pferd gestoßen, stünde er jetzt statt meiner hier. Ehrlich gesagt, habe ich wohl mehr abbekommen als er, aber er hat bestimmt einiges an der Stelle davongetragen, wo er morgen größte Schwierigkeiten haben wird, auf einem Pferd zu sitzen. Sein Sturz war schon komisch, und er hat ihn wie ein wahrer Ritter lachend hingenommen.«

Mit leisem, müden Lachen geht Sir Prosper in die Mitte des Raums. Seine dunkelgrüne Tunika ist an der rechten Schulter zerrissen, wo Ledyards Lanze gegen die unvergleichliche, durchscheinende Rüstung gestoßen ist. Prosper setzt sich langsam und vorsichtig. Seine Beine schmerzen von der Umklammerung des breiten Schlachtrosses.

»So, so, Lyndon. Ihr wollt also zurücktreten und diesen… Sensenmann mir überlassen?« Er lächelt, lehnt sich im Stuhl zurück und schlägt unter Schmerzen die Beine übereinander.

»Ihr könntet ihn wenigstens morgen noch ein bißchen erwischen – ihn weich machen für den Nachmittag, wo er gegen mich antreten muß.«

»A-aber, Sir Prosper!«

»Keine Sorge, Lyndon. Ich bin schon oft gegen fünf Gegner an einem Tag angetreten. Mit noch so einem Hochstapler, der von seiner eigenen Wichtigkeit zu sehr überzeugt ist, sollte ich leicht fertig werden.«

»Aber Eure Ehre, Sir Prosper. Gegen einen, der unfair gekämpft hat? Wenn es in der Schlacht wäre, wo es heißt töten oder getötet werden, keine Frage, das wäre etwas anderes. Aber ein Turnier ist schließlich etwas Sportliches, und ich glaube nicht, daß Sir Gabriel Androctus wirklich…«

»Schluß, Lyndon!« bricht Sir Prosper los. »Glaubt Ihr wirklich, das hier ist noch Sport, wenn Orban tot bei seinen Zelten aufgebahrt liegt und seine Diener und sein Knappe heulend seine Sachen einpacken? Wie würde es Euch gefallen, dieser Knappe zu sein, der dem alten Alban von Kern berichten muß, daß sein Sohn in einem Turnier mit stumpfen Waffen gefallen ist und daß der Mörder weitermachte, um den Preis zu gewinnen? Nein, Sir Lyndon«, beschließt Prosper. »Sir Gabriel Androctus kämpft heute nachmittag noch ein einziges Mal, und beim Orden, ich werde dafür sorgen, daß er verliert.«

Jetzt ist die Zeit für Abgesandte zum Zelt. Denn Sir Robert schickt heimlich einen Boten zu Gabriel Androctus, um darum zu bitten, daß der Schlußkampf bis zum nächsten Morgen verschoben werde. Damit, erklärt er, könne eine kurze Trauerzeit für Sir Orban einberaumt werden, bevor sein Gefolge mit dem Körper nach Kern aufbrechen würde.

Was Sir Robert bei seiner Bitte um Aufschub sicher auch im Sinn hat, ist die Hoffnung, daß eine Nacht Ruhe Sir Prosper helfen wird, Müdigkeit und Steifheit zu überwinden, damit er am Morgen bereit ist für den Kampf und diesen Gabriel Androctus in die Schlangengrube zurückjagen kann, aus der er gekrochen sein muß, um an diesem Turnier teilzunehmen. Doch das soll nicht sein.

Die Antwort ist ein Zettel mit kühner, bestechender Schrift – ganz sicher die Schrift eines Künstlers oder eines Mannes, der auf sich selbst vertraut und sich vor nichts fürchtet.Unsinn. Warum wegen einer launischen Leiche die Regeln ändern?

Das Turnier muß weitergehen. Sir Prosper hat heute morgen einen würdigen Gegner gezogen; ich einen unwürdigen. So geht es halt bei Turnieren. Wenn ich mich recht entsinne, hat er sein Los zuerst aus dem Helm geholt. Das sind Eure Regeln. Befolgt sie.Sir Robert sitzt an seinem Schreibtisch und liest die Botschaft, die man ihm gerade überreicht hat. Er entläßt den Boten und liest sie noch einmal, als der Junge fort ist.

Er seufzt tief und resigniert, hält den Zettel über eine verlöschende Kerze und sieht zu, wie er beim letzten Aufflackern Feuer fängt. Das brennende Papier hält er so lange wie möglich in der Hand, bevor er es in den Kamin wirft.

So beginnt der Schlußkampf des Turniers, immer noch bleibt Zeit, und die Hoffnungen von Sir Robert di Caela steigen und sinken und steigen, nur um wieder zu sinken.

Denn während der langwierigen Vorbereitungen der Ritter auf das Aufrufen und das Lanzenanlegen sucht Sir Robert wie immer den Horizont ab – fast automatisch inzwischen, denn eigentlich hat er die Hoffnung aufgegeben, daß Sir Bayard Blitzklinge aus dem Vingaard-Gebirge naht.

Was ist das, was da Meilen entfernt im Westen Staub aufwirbelt, dort, wo die Ebene am Rand der Berge lila wird?

Die Staubwolke kommt näher und entpuppt sich als Gestalt zu Pferd, die in vollem Tempo auf das Schloß zureitet. Als die Gestalt näher kommt und aus dem Schatten der Berge ins Sonnenlicht gelangt, erkennt Sir Robert den unverwechselbaren Glanz einer fernen Rüstung.

Blitzklinge?

Bei Humas Blut, wenn es doch so wäre! Denn in diesem Fall ist er Gabriel Androctus’ nächster Gegner. Es wird Stunden dauern, bis wir diesen kleinlichen Androctus, der so auf Regeln pocht, dazu bekommen. Wir werden stundenlang im Maßstab der Ritterschaft von Solamnia nach Präzedenzfällen suchen müssen. Ich wäre nicht überrascht, wenn der verhüllte Ritter darauf besteht, daß die Schreiber und Priester und Gelehrten des Schlosses alle siebenunddreißig Bände des Maßstabs durchforsten müssen, denkt Sir Robert. Aber selbst wenn ich den Appell an den Maßstab verliere, erkaufe ich damit Prosper wertvolle Zeit.

Das heißt natürlich, wenn die Gestalt dort auf der Straße Blitzklinge ist.

Sir Robert hebt die Hand und gebietet den Vorbereitungen Einhalt. Ein Reiter kommt, verkündet er. Kommt schnell von Westen. Es sind schlechte Zeiten, wo ein schnell herannahender Reiter einen Aufstand, eine Invasion oder was auch immer bedeuten kann. In solchen Zeiten und in dieser Situation bittet er daher darum, daß »die zwei letzten Wettbewerber ihren ersten Kampf noch etwas verschieben, bis der Reiter eintrifft und wir erfahren, ob es etwas Dringendes ist oder…«, und Sir Robert di Caela lacht, »… oder ob es bloß ein junger Kerl ist, der sich für einen guten Platz beim Schlußkampf verspätet hat.«

Prosper von Zeriak nickt höflich.

Androctus hingegen ist nicht erfreut. Er schickt seinen verhüllten Knappen mit einer Botschaft, daß der letzte Wettkampf jetzt angesetzt sei. Wenn Sir Robert zu seinem Wort stehen würde, würde der Kampf jetzt wie vorgesehen beginnen.

Das ist zu viel. Sir Robert lehnt sich in seinem Stuhl nach vorne und brüllt den Knappen an.

»Sag deinem Ritter, Gabriel Androctus, daß ich dieses Turnier auf meinem Land ausrichte. Auf meine Kosten. Um die Hand meiner Tochter. Und angesichts dieser Tatsachen sag Gabriel Androctus…«

Dabei wendet sich Sir Robert von dem Knappen an den Ritter, der am Rande des Platzes auf seinem schwarzen Schlachtroß sitzt, und er erhebt seine Stimme noch lauter, bis Sir Ramiro neben ihm zusammenzuckt und dessen unbekannte, aber hübsche Begleiterin sich die Ohren zuhält, und er schreit so laut, daß selbst die schwerfälligen Schlachtrösser hochschrecken:

»Daß ich aus diesem Grunde verdammt noch mal das tue, was mir gefällt!«Das ist wahres Drama – Sir Roberts bester Auftritt in den letzten drei leidvollen Tagen. Unglücklicherweise kommt bei all dem Gebrüll wenig heraus.