Das Pferd war gehorsam und tänzelte anmutig auf dem Pfad vor Agion her, der sich an einem Armvoll Äpfel guttat, den er gesammelt hatte. Ich saß auf seinem Rücken und führte das Packpferd am Zügel, dessen Schmollen seit dem Sumpf schwelender Wut gewichen war – seit Bayard die prunkvolle, schwere Rüstung von Solamnia wieder auf seinen Rücken gepackt hatte.
Irgendwann am Vormittag wurde die Straße ebener und es war, als hätte plötzlich eine andere Jahreszeit eingesetzt. Das Gras von Küstenlund, das noch nicht ganz herbstlich war, verblaßte zu Braun, als wir in die Ausläufer der Berge gelangten. Die fruchtbare Erde, auf der so viel langweiliges Grünzeug wuchs, wich unebenerem, felsigerem Grund.
Es wurde schon langsam Abend, und wir hatten noch immer nicht den Paß erreicht, an den sich Bayard erinnerte, als wir den Oger zum erstenmal sahen. Er war eine füllige Gestalt in voller Rüstung. Seine dicken, kräftigen Beine trugen einen Körper, der einen Umfang wie ein Vallenholzbaum hatte. Darauf saßen breite Schultern, auf denen ein überraschend kleiner Helm thronte. Seine Fangzähne waren gelblich und verdreht wie Zypressen. Seine knorrigen Füße schienen aus den metallenen Beinschienen seiner Rüstung zu wachsen, als würde er tiefe, groteske Wurzeln in die Felsen treiben. Er war mit Netz und Dreizack ausgerüstet, als käme er vom Meer. Sein Pferd sah ängstlich und unglücklich aus.
Die Luft um ihn herum schien grauschwarz zu schimmern. Es war, als würde etwas in der Rüstung in Flammen stehen. Die kahlen Zweige der struppigen Bergbäume, die den Pfad säumten, bogen sich von ihm weg, als bestände er aus Gift oder gnadenloser Kälte.
Bayard vor mir nickte und wollte einfach weiterreiten, doch das Monster stellte sich Valorus in den Weg und blieb dort stehen. Bayard grüßte und versuchte, auf der anderen Seite vorbeizukommen, doch der Oger stellte sich wieder in den Weg.
Agion rief unter mir aus: »Das Ding hat wenig Manieren, Sir Bayard. Leg Er Seine Rüstung an und bring Er ihm etwas Höflichkeit bei.«
Bayard versuchte noch einmal, an dem Wesen vorbeizureiten, und wurde wieder aufgehalten. Jetzt hörte sich Agions Vorschlag schon besser an. Bayard wendete Valorus und ritt zu dem Packpferd zurück, wo er abstieg, die Rüstung herunterzerrte und sich umzog.
»Nun, Knappe?« fragte er, wobei er von den am Boden verstreuten Metallteilen zu mir hoch sah.
»Nun, Sir?«
»Ist es nicht deine Knappenpflicht, mir hierbei zu helfen?«
Wir setzten uns vor das Monster hin und sortierten. Ich arbeitete wie verrückt, erriet, welche Schnalle wohin gehörte, welcher Riemen über welchen ging, sogar in welche Richtung das Visier zeigen mußte, als ich Bayard den Eisenhelm auf den Kopf setzte. Schließlich stand Bayard eingepackt vor mir, und ich hievte ihn wieder auf Valorus. Agion trat beiseite, denn er war zu ritterlich, um an dem Kampf teilzunehmen, der stattfinden würde, und zu blöd, um den großen Vorteil darin zu erkennen, daß man die Ritterlichkeit auch mal ablegen konnte.
Ich dachte natürlich daran, umzukehren und davonzurennen. Aber ich wußte, daß ich zu Fuß nicht weit kommen würde, und daß der große Wilde erst Bayard und dann Agion töten würde und dann mich über die felsigen Berge verfolgen würde, um meine abgeschnittenen Ohren nach Barbarenart an seine Zügel zu hängen. Wie Gileandos sagte, neigte meine Phantasie »am Rande der Katastrophe zum Überschäumen«, und jetzt schäumte sie über, durch alle Bereiche von Mord und Folter und jede Art von Verstümmelung, für die sich ein Körperteil anbot.
Bayard saß auf, zog sein Schwert und spornte Valorus zum Trab auf Sir Enormus an, der ruhig wartend dastand und mit beiden Händen seinen Dreizack hielt.
Die Katastrophe nahte schneller, als Valorus vollen Galopp anschlug und Bayard sein Schwert hob. Anstatt mit dem Dreizack anzugreifen, wich unser riesiger Feind vor Sir Bayards Ansturm zurück und schwang dann den Dreizack so beiläufig wie einen Teppichklopfer gegen die vorbeireitende Gestalt. Dabei erwischte er Bayard mit der flachen Seite der Zacken und fegte ihn rücklings auf den Felsboden, wo er still wie die Steine um ihn herum liegenblieb.
Es dauerte lange, bis sich Bayard wieder regte. Inzwischen war sein Gegner den Pfad etwas weiter hoch geritten und hatte an einer Stelle angehalten, wo der Weg enger wurde und durch eine Granitspalte führte. Dort reichte der Fels zu beiden Seiten des Weges weit über seine Schultern. Es war unmöglich, den Oger zu umgehen, so wie er da auf seinem Pferd saß und den Pfad wie ein Felsen versperrte.
Agion war sofort zu Bayard geeilt, hatte sich neben ihn gekniet – für einen Zentauren keine leichte Sache – und hatte ihn behandelt. Mit verschiedenen, stark duftenden Kräutern versuchte er, ihn wiederzubeleben.
Ich hingegen stand einfach nur da. Ich betrachtete das riesige Wesen, das da träge wie ein Gepäckstück auf seinem Pferd saß. Es bewegte sich nicht. Es drohte nur.
Aber ich hatte den Eindruck, es würde mich beobachten. Und ich war schon früher auf diese Weise beobachtet worden.
Ich hörte Bayard hinter mir husten und die Rüstung scheppern, als er auf die Beine kam.
»Was hast du da vor meiner Nase herumgewedelt, Zentaur?«
»Goldwurz. Damit kann man…«
»Ich weiß, ich weiß, den Atem rauben und den Patienten umbringen. Also, wenn du fertig bist mit deinem Mordversuch, dann könntest du vielleicht…«
Bayard brauchte einen Augenblick, bis ihm einfiel, wo er war. Plötzlich hielt er inne und sah den Pfad hoch, wo der Oger auf seinem Pferd saß und wie eine riesige Metallsperre wartete. Ich blieb, wo ich war, und hatte es nicht eilig, mich meinen Gefährten wieder anzuschließen. Aber als ich sah, wie Bayard auf dem steinigen Hang ins Stolpern kam, wie er sein Schwert zum solamnischen Gruß erhob und Agion winkte, damit der ihm wieder auf Valorus half, spürte ich so etwas wie Scham.
Scham, daß ich nicht half.
Nicht, daß mich das lange beschäftigt hätte. Schließlich konnte man zwischen diesen Ogern und Zentauren hier umkommen. Ich kauerte mich etwas abseits vom Geschehen an einen Baumstumpf und erwartete den Ausgang, immer bereit zum Davonrennen, falls sich das Blatt gegen meinen Beschützer wendete.
Hoch zu Roß wendete Bayard jetzt Valorus und schrie dem Monster, das da oben den Pfad einnahm, seine Herausforderung zu.
»Wer bist du, daß du uns so unverschämt unseren friedlichen Weg durch diese Berge verwehrst?«
Keine Antwort.
Bayard fuhr fort: »Wenn du einen Funken Anstand in dir hast, dann tritt beiseite und laß uns kampflos passieren. Aber wenn du Kampf willst, dann sollst du ihn bekommen. Mit Bayard Blitzklinge von Burg Vingaard, Ritter des Schwertes und Hüter der drei Orden von Solamnia.«
Das klang wirklich hübsch, doch der Wächter des Passes blieb, wo er war, eine düstere Gestalt vor dem dunklen Osthimmel.
Mit erhobenem Schwert griff Bayard den Oger erneut an.
Diesmal war es fast so schnell vorbei, wie es losging. Das Biest schwang beiläufig sein Netz, fing damit Bayards Schwert und warf es klirrend auf ein paar Felsen südlich des Pfades. Dann ließ es die flache Seite des Dreizacks auf Bayards Helm herunterdonnern, und wieder stürzte unser Held und blieb still auf dem Boden liegen. Der Sieger saß auf seinem Pferd und sah zu, wie Agion vorgaloppierte und Sir Bayard in die Arme nahm, um ihn mühsam den Weg hinunter aus der unmittelbaren Gefahr zu holen.
Das war eine tapfere und dumme Handlung von dem Zentauren, denn wer konnte sagen, wann der Dreizack heruntersausen würde?
Außerhalb der Reichweite des Dreizacks lief Agion zügig an mir vorbei, und ich folgte ihm sogleich, wobei ich das widerwillige Packpferd hinter mir her zerrte.
Ungefähr hundert Meter vor dem wartenden Oger hielten wir auf einer kleinen, nicht so steinigen Fläche neben der Straße an. Agion kniete sich wieder hin und hielt Bayard Goldwurz unter die Nase.
Dieses Mal funktionierte es nicht. »Ist er…«
»Nur bewußtlos«, versicherte Agion. »Sir Bayard wird wahrscheinlich einige Zeit nicht zu sich kommen.« Er blickte auf den Pfad vor uns. »Und unser Feind ist anscheinend verschwunden.«