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Ich wußte nicht, was die Pächter und Tagelöhner sagen würden, als mein Besucher in Verkleidung der von Sir Bayard gestohlenen Rüstung anfing, die Dörfer um die Wasserburg in sein eigenes, kleines Lehen zu verwandeln. Doch Plündern kam in ländlichen Gegenden nie gut an – Forderungen nach Tribut und Käse und Vieh, das auf der Stelle zu schlachten und zu braten war. Forderungen nach Geld und Töchtern. Obwohl ich nicht sagen konnte, wozu Verkleidung und Gewüte dienten.

Gleich am Tag nach dem Diebstahl begannen die Pächter, in der Wasserburg vorzusprechen, um meinen Vater zur Hilfe zu rufen. Jeder trug seinen Hut in der Hand, und jeder trug ihm zunächst einfach und demütig seine Bitte vor, daß »der Herr etwas gegen das Böse in unserem Dorf tun möge«.

Dieses »Etwas«, das sie erbaten, bedeutete normalerweise, daß Vater den schandbaren Ritter vierteilen und verschiedene Teile seines Körpers »auf einem Tablett« servieren sollte (welchen Körperteil, das hing von der Vorstellungskraft des Bauern ab).

»Wenn der Herr erlaubt, so würden viele von uns gern den Kopf des Schuldigen auf einem Silbertablett sehen.«

»Wenn es den guten Herrn nicht zu viel Zeit und Ärger kostet, dann würde es den geplagten Menschen von Hohleiche gut gefallen, diese diebischen Finger auf einem Bronzetablett aufgereiht zu sehen.«

»Ach, wenn dieses Herz doch nur auf einem Kupfertablett neben dem Brunnen in meinem Hinterhof schlagen würde!«

Und so weiter, während jeder versuchte, seinen Nachbarn zu übertrumpfen und die einfachen Leute sich zu Körperteilen verstiegen, von denen ich noch nie gehört hatte, bis ich mich fragte, ob sie bei der Feldarbeit noch an etwas anderes als an Folter dachten.

Vater hörte nur mit halbem Herzen zu, denn seine Gedanken galten zweifellos der Pflichtvergessenheit seiner Söhne. Er war ein Ritter von Solamnia aus der alten Schule, der sich eisern an Kodex und Maßstab hielt. Daß unter seinem Dach ein Gast beraubt worden war, verursachte ihm Krämpfe und stellte sicher, daß Alfrik für sein Versäumnis unter Hausarrest stand. »Bis auf weiteres« durfte er die Wasserburg nicht verlassen.

Und was noch schlimmer war, der beraubte Gast war Sir Bayard Blitzklinge, einer der vielversprechendsten Ritter von Nordansalon, dessen Tapferkeit und Kampfkunst (und offenbar Gutmütigkeit) selbst so hoch im Norden wie in unserem gottverlassenen Provinzlehen mitten in Küstenlund (das liegt nordöstlich des Vingaard-Gebirges und südöstlich von Nirgendwo) bekannt war. Bayard kochte still und höflich vor sich hin und regte sich zweifellos über die Verzögerung auf, die ihn bei uns festhielt, wo er doch viel lieber auf dem Weg nach Solamnia sein würde, um eines Mädchens wegen, das er noch gar nicht kannte, ein paar jungen Männern die Köpfe einzuschlagen, wenn ich richtig verstanden hatte.

Wahrscheinlich wurde ich deshalb mitbestraft.

Denn in jener Nacht, die jetzt Ewigkeiten her scheint, als der Eindringling mit den schwarzen Stiefeln zur Tür hinaus war, Alfrik mit dem Gesicht nach unten im Schrank lag und Vater und Bayard die Stufen hinaufeilten, mußte ich schnell handeln.

Es hätte zu viele Fragen gegeben, wenn man mich unversehrt mitten im Kampfgeschehen fand. Lieber anpassen.

Ich senkte den Kopf und rammte ihn gegen die Eichentür des Knappenraums. So kam es, daß die Ritter mich zuerst fanden und als ersten wachrüttelten. Und natürlich wußte ich von gar nichts, sondern stöhnte nur mitleiderregend, während Vater zu seinem Ältesten rannte, ihn an den Beinen in die Mitte des Zimmers schleifte und mit ein paar Ohrfeigen weckte.

Das war mein erster, genauerer Blick auf Sir Bayard Blitzklinge. Er bestand die Musterung.

Da stand ein Mann, der meinen Vater um einen ganzen Kopf überragte und deutlich dünner war als er. Schnurrbart, mindestens dreißig, aber noch keine Vierzig, schulterlanges Haar, wie es in Solamnia zu jener Zeit Mode war, Selbstbeherrschung – sein Gesicht war eine schöne, aber ausdruckslose Maske.

Bayard betrachtete mich kurz, um dann meinen Vater bedeutsam anzusehen, der mich barsch anfuhr.

»Kein Tamtam, Galen. Was war hier los?«

Alfrik hinter uns war noch nicht ganz bei sich. Er stöhnte, und Vater schaute besorgt in seine Richtung. Rasch fing ich an zu erzählen.

Die beiden Ritter bekamen dieselbe Geschichte serviert wie mein unglückseliger Bruder – von der huschenden Gestalt im Schatten vor dem Fenster, von meiner Sorge um den Gast. Daß ich aus Sorge um Sir Bayards Habe die Tür des Gästezimmers überprüft hatte und, als sie verschlossen war, meinen vorbeikommenden Bruder um Hilfe gebeten hatte.

»Mein Bruder und ich sind also in bester Absicht in das Zimmer eingedrungen, Sir Bayard. In unserer Sorge haben wir den fraglichen Kerl vielleicht nicht bemerkt, der hinter uns in einer dunklen Ecke im Gang gelauert haben mag oder…«, und ich machte eine bedeutsame Pause, um Alfrik möglichst die Suppe zu versalzen, »… oder sich vielleicht schon in Eurem Zimmer versteckt hatte, und den man dort vorher übersehen hatte.«

Ich machte eine Pause, damit sich das setzen konnte, und fuhr fort. »Wie auch immer, ich bin mir nicht sicher. Aber ich habe mich kurz umgedreht, weil ich etwas auf dem Gang hörte, und als ich wieder zurückschaute, da beugte sich eine Gestalt mit einer schwarzen Kapuze über meinen Bruder. Wer es auch war, er war schnell. Er stürzte sich auf mich, bevor ich begreifen oder klar sehen konnte. Das nächste, was ich weiß, ist, wie ihr mich geweckt habt und ich hier an der Schwelle liege und Alfrik mit dem Gesicht nach unten im Kleiderschrank und… jetzt wird mir ganz schwindelig, Vater.«

Mit gespielter Erschöpfung ließ ich den Kopf wieder sinken. Alfrik grunzte neben mir auf dem Boden.

»Ich hoffe nur«, seufzte ich, »daß mein lieber Bruder unversehrt ist.«

Unversehrt genug, um weitere zehn Jahre auf seine Knappensporen zu warten.

In den nächsten paar Tagen änderte sich einiges in der Wasserburg – Dinge, die ich von Anfang an bemerkte, die andere jedoch nur als schlechtes Wetter durch einen plötzlichen Klimaumschwung abtaten. Von dem Moment an, wo die Vögel in der Nacht des Banketts zu singen aufgehört hatten, fehlte etwas in der Luft. Wo man das Lied der Nachtigall, das Schimpfen der Eichelhäher, das Flattern und Gurren der Tauben erwartete, war jetzt nur Stille, und es kam mir irgendwie so vor, als ob die Vögel fortgezogen waren, obwohl noch Hochsommer war, um vielleicht in einer milderen Gegend zu überwintern.

Aufgrund der Jahreszeit erwarteten wir Sommer – Licht und Wärme und die Dunstschwaden, die aus den berüchtigten Sümpfen eine knappe Meile vor unseren Mauern aufsteigen –, doch das Wetter war anderer Ansicht. Wenn wir morgens aufwachten, war der Boden hart gefroren, und die Bäume warfen vorzeitig ihre Blätter ab. Wir hatten Schwierigkeiten, die Feuer am Brennen zu halten und die Kerzen sowieso, als ob Licht und Wärme geradezu aufgesaugt würden.

Gileandos hatte bei Gnomen studiert. Er ignorierte fast immer das Offensichtliche und nahm lieber etwas Nebensächliches, Unscheinbares an einer Situation wahr, woraus er fast immer die falschen Schlüsse zog. Als er den Vogelzug und den plötzlichen Temperaturabfall bemerkte, führte er das auf »eine vorzeitige Wirkung von Sonnenflecken auf die Marschdämpfe« zurück.

Ich kann mich jetzt noch daran erinnern, wie er ganz versunken durch sein Teleskop direkt in die Sonne schaute, so daß er anschließend zweifellos überall Sonnenflecken sah, die ursprünglich nicht dagewesen waren. Er war mindestens sechzig, ging jedoch sicher seit Jahren krumm und ergraute zusehends. Dennoch behängte er sich mit Schmuck, kämmte seinen Bart, trug schmierige Pomade und Duftwässerchen auf – ein Stutzer, der im Alter grauenhaft aussah. Dazu kam in letzter Zeit ein merkwürdig gehetzter Blick, weil ihn die vielen Liter Gin einholten.