Bayard nickte.
»Und dann muß ich zugeben, daß ›blitzende Klinge‹ zweifellos kein Zufall ist. Aber danach ist es zu verworren und unverständlich und sowieso schlecht gereimt. Habt Ihr eine andere Auslegungsmöglichkeit gefunden?«
»Absolut nicht, Galen. Jedesmal, wenn ich es lese, ergibt es dieselbe Bedeutung. Was, wie ich zugebe, für eine Prophezeiung ungewöhnlich ist.«
Der Wind heulte lauter, und Bayard rutschte näher ans Feuer und betrachtete mich ruhig über den zuckenden Flammen.
»Es kommt mir auch so vor, daß jemand, der in den zukünftigen Chroniken – ob in Soths prophetischen Gedichten oder in der Geschichte von Astinus von Palanthas oder in einem einfacheren Werk wie dem, das ich in der Großen Bibliothek entdeckt habe, seinen Namen findet und weiß, daß er eine Rolle in der Geschichte zu spielen hat – daß der diese Rolle übernimmt und darauf vertraut, daß diese Rolle etwas Gutes bewirken wird, weil er die besten Absichten hat.«
»Aber, Meister Bayard, was ist, wenn seine Rolle trotz seines guten Herzens und aller guter Absichten katastrophal ausfällt?« fragte Agion und legte mir dabei einen Umhang über die Schultern.
Der Zentaur wurde noch ein richtiger Philosoph. »Oder was ist, Sir, wenn Ihr wirklich eine gute Rolle habt, aber dabei zwei ebenso wohlmeinende Gefährten vernichtet, bloß weil Ihr Euren Platz in der Geschichte einnehmen wollt?«
Bayard lehnte den Kopf an Granit und Kalkstein. Er schloß die Augen. Der Wind sang sein verlorenes Lied rund um unser Lager. Außerhalb dieses Kreises aus Feuer und Stein war feindselige Nacht. Es war ungefähr so, wie ich es mir auf dem weißen Mond Solinari vorstellte, der angeblich einen guten Einfluß auf den Planeten ausübt, aber auf der Oberfläche kalt und rauh und lebensfeindlich ist.
»Glaubt ihr nicht, ich hätte mir solche Dinge auch überlegt?« fragte Bayard schließlich, und ein verlorener Ausdruck zog über sein Gesicht. Er wirkte jetzt doppelt so alt wie er war, und das bestürzte mich.
»Aber letztlich«, fuhr er fort, und der schmerzerfüllte Ausdruck ließ nach, »hilft es nichts, an solche Dinge zu denken, so lange sie nicht geschehen sind, und schon gar nicht«, er zeigte nach draußen, »an einem so traurigen Ort. Keine Sorge«, versicherte er leise, »ich werde euch nicht wegen persönlicher Vorteile oder aus Ehrgeiz in Gefahr bringen.«
Agion nickte und rückte näher ans Feuer.
Ich war weniger überzeugt.
»Was sagt denn Sir Robert di Caela zu der ganzen Sache?«
»Sir Robert di Caela«, antwortete Bayard zögernd, »weiß vielleicht gar nichts von dieser Sache, wie du es ausdrückst.«
»Weiß nichts von einer Prophezeiung, die seine Familie betrifft?«
»Eine Prophezeiung unbekannter Herkunft, Galen«, stellte Bayard richtig. »Die noch nicht einmal von einem Historiker stammt, sondern von jemandem an den Rand einer alten Geschichte gekritzelt wurde – mit anderer Handschrift und anderer Tinte.«
»Wie auch immer. Ihr wollt mir weismachen, daß Ihr der einzige seid, der dieses… dieses Orakel kennt, Sir?«
»Das könnte sein. Es stand weit hinten in der Großen Bibliothek. Ich bin zufällig darauf gestoßen – oder vielleicht nicht zufällig, sondern durch eine merkwürdige Vorsehung, wie ich lieber glauben möchte. Das Manuskript war fahrig und unordentlich geschrieben, so daß selbst die jungen, scharfen Augen, die ich damals besaß, Schwierigkeiten beim Lesen hatten. Ich nehme an, es war das Original, und es wird niemals von den Schreibern kopiert worden sein. Doch die Hand, die die Prophezeiung geschrieben hatte, war sicher und flüssig.«
»Aber ich könnte ein ganzes Buch voll Prophezeiungen schreiben, Sir, und mir die Zukunft mit Hilfe meiner ganzen Phantasie ausmalen, oder diese Würfel benutzen, mit denen ich eine Zukunft vorhersage, die Ihr als Schwindel bezeichnen würdet. Wer kann sagen, daß Euer Weiser ein echter Seher war? Daß er nicht ein Scharlatan war, der Kleinodien verkauft und einem zu Wucherpreisen Öl andreht, das angeblich das Augenlicht wiederherstellt, wenn man es sich auf die betroffene Braue reibt? Und in Wirklichkeit sind die Perlen aus Glas, und das Öl ist verwässertes Patschuli. Und was in dem Buch steht, könnte zur gleichen Kategorie von Wundern gehören.«
Bayard nickte ernst.
»Daran habe ich auch gedacht, Galen«, bestätigte er mit gerunzelter Stirn.
»Alles, was ich sage«, erklärte er dann, »ist, daß es Zufälle gibt, die keine Zufälle sind, die allem zugrunde liegen, was wir tun, und aus denen Geschichte entsteht. Es war Zufall, daß ich das Buch von Vinas Solamnus fand, aber es war kein blinder Zufall. Es war eine Möglichkeit, die in einem großen Plan stattfand, den ich damals noch nicht erkannte.«
»Wie der Wurf von zwei roten Würfeln«, beharrte ich stur. Bayard starrte mich lange an, setzte zum Sprechen an und schwieg dann doch wieder. Das Packpferd hinter mir stampfte auf die harte Erde, und Valorus wieherte, als ob jemand hinter der Wärme unseres Feuers lachte und tanzte.
»Im Augenblick«, beschloß Bayard, der sich in seine Decke wickelte und dessen Atem zu sehen war, obwohl er nur zehn Fuß oder so vom Feuer entfernt stand, »im Augenblick sollten wir uns lieber nicht über solche Dinge aufregen, sondern lieber schlafen.«Der Oger kehrte gegen Mitternacht zurück, wie Bayard es vorausgesehen hatte. Das vorherige Handgemenge hatte dem grobschlächtigen Kerl nichts ausgemacht, und er legte es offenbar schon wieder auf Ärger an.
Bayard hingegen war immer noch in einem schrecklichen Zustand. Trotzdem erhob er sich langsam – vorsichtig, fand ich – und grüßte seinen enormen Gegner mit dem altehrwürdigen Gruß von Solamnia. Das Schwert in der rechten Hand und den Dolch in der linken, stand er am Feuer, sah den dunklen Koloß auf dem Pferd an und verschränkte demonstrativ die Arme.
Nun, der dunkle Koloß machte keinerlei Anstalten zu antworten. Ich bezweifle, daß er aus einer gewissen Ehrfurcht vor solamnischen Bräuchen schwieg oder überhaupt irgendwelche Ehrfurcht hatte. Nein, er saß wahrscheinlich da und freute sich darauf, daß dieser kleine Kerl in seiner Rüstung wieder in die Reichweite seines Dreizacks reiten würde.
Agion und ich liefen Bayard nach, bevor er auf den Oger zuritt, und versuchten beide, ihn vom Kampf gegen Windmühlenflügel abzuhalten.
»Ihr seid nicht dazu verpflichtet, gegen diesen Burschen anzutreten, Sir Bayard«, drängte ich. »Soll er uns doch den Pfad hinunterjagen, und unten stellen wir ihm eine Falle.«
Das hörte sich vernünftig an, fand ich. Bayard jedoch zog eine Schnalle an seinen Beinschienen fester und drehte mir den Rücken zu.
»Aber wenn Er darauf besteht«, fügte Agion hinzu, »daß unser Weg über dieses Monster da führen muß, dann bedenke Er, daß es auch unsere Straße ist – meine und Galens –, nicht allein die Seine.« Er starrte den Oger an, um seinen Gegner einzuschätzen. »Und daß der Kampf vor uns ebenso unser Kampf ist wie Seiner.«
»Aber ich denke, wir müssen es jetzt zu Ende bringen«, warf ich geschwind ein und warf dabei Agion einen Blick aus reinem, blitzenden Haß zu, »und ich muß Euch wohl dringend an Eure eigenen Worte erinnern, daß ›dies ein Kampf zwischen Ritter und Gegner‹ ist. So gern Agion und ich auch helfen würden, wir können es wirklich nicht tun, ohne praktisch all Eure Prinzipien zunichte zu machen. Und damit wärt Ihr ja sozusagen der Ritterschaft von Solamnia unwürdig.«
»Und deshalb kann ich auch nicht auf eine List zurückgreifen, Galen.«
»Ich verstehe, Sir«, behauptete ich.
Diesmal ging es anders los. Valorus, der sich zweifellos an die Begegnung vor zwei Tagen erinnerte, war nicht nur unruhig, sondern tänzelte aufgeregt herum, weil er offenbar von ungleichen Kämpfen genug hatte. Obwohl Bayard so müde und wund wirkte, beruhigte er den großen Hengst mit einem einzigen Klopfen seiner Hand und drehte sich dann zu uns um.
Der Ausdruck auf seinem Gesicht war nicht der eines Verurteilten. Müde, ja, und bestimmt etwas Angst dabei, aber unter der Müdigkeit und der Angst lag eine Zuversicht, die ich zuvor nie bemerkt hatte. Die ich mir nie vorgestellt hatte.