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»Hier verlasse ich dich, Bayard Blitzklinge. Und mögest du die Straße ins Herz von Solamnia… so frei finden, wie du magst. Ich wünsche dir eine sichere Reise und Vogelgezwitscher auf dem Weg. Denn mein Teil ist getan. Was heute geschah, hat sichergestellt, daß du nicht mehr am Turnier in Kastell di Caela teilnehmen wirst.«

»Wir haben noch Zeit!« protestierte Bayard, der einen unsicheren Schritt auf den sprechenden Kopf zu machte.

»Möglich. Wenn du deinen großen Freund den Aasfressern überläßt. Den Geiern und Raubvögeln. Aber das Turnier wird bald zu Ende sein. Sir Robert di Caela wird einen Erben haben und Lady Enid einen Mann. Und das alles ist mein Tun, denn meine Macht reicht weit. Gib nicht den Satyren im Sumpf die Schuld, obwohl deren einfache Bedrohung dich vielleicht eine Nacht aufgehalten hat; auch nicht deinem verräterischen Knappen, der kein wahrer Meister der Verzögerung ist…«

Ich konnte nicht aufblicken.

»Auch nicht diesem Oger hier, Sir Bayard, von dessen längst toten Lippen ich hier die Zukunft vorhersage. Nein, wenn es einen Schuldigen gibt, dann ist das deine mangelnde Entschlußkraft und deine Lust am Zögern. Nenn es, wie du willst. Aber denk dran: Ich bin diese Verzögerung.«

Bayard stürzte sich auf den Prahlhans in den Zweigen. Mit einem kräftigen Fußtritt ließ er den Kopf in das Unterholz abseits des Weges kullern.

Ich sah zu Agion zurück. Der noch jünger wirkte als zuvor. Warum auch, nach Rechnung der Zentauren war er nicht älter als ich.

Ich sah Bayard in die Augen. Wo wirklich nichts als Schmerz stand. Ein Schmerz jenseits von Wut, jenseits von Tränen.

»›Verräterischer Knappe‹?« fragte er. Dann kniete er sich neben Agion nieder.

Eine Stunde lang hockte er schweigend da, ohne mich zu beachten. Einmal, als ich nach seinem Arm griff, um ihn aus der Erstarrung zu schütteln, in die er gefallen war, schüttelte er meine Hand ab, als hätte ich ihm einen Skorpion auf die Schulter gesetzt.

Keine zwanzig Fuß entfernt dampfte der Ogerkopf und besudelte den Boden, auf dem er lag.

Nach einer Schweigestunde stand Bayard auf und wandte sich an Agion.

»Es tut mir leid, Agion. Furchtbar leid. Morgen werde ich meinen Weg zum Kastell di Caela fortsetzen, und wenn wir dorthin kommen, werde ich tun, was ich tun muß. Danach werde ich in den Sumpf von Küstenlund zurückkehren, um dort Archala und den Ältesten Rede und Antwort zu stehen, so gut ich kann. Aber jetzt muß ich ein bißchen schlafen. Halte solange Wache, guter Zentaur, sei so gut. Halte ein letztes Mal Wache.«

Dann drehte er sich zu mir um, starrte über meinen Kopf hinweg, als würde er nach Sternen Ausschau halten (obwohl es noch nicht einmal Mittag war), und als säße ich fern von dieser Zeit und diesem Land zusammengekauert auf den kalten Stufen eines Hauses.

»Mach, was du willst, Wiesel«, sagte er. »Ich habe dir nichts mehr zu sagen. Ich brauche dich nicht.«

12

Am nächsten Tag brachen wir das Lager ab und begaben uns mit dem Pferd des Ogers – wieder auf den schmalen Paßpfad. Unser Abstieg durch die Berge ging durch steile Hohlwege, wo die Pflanzen in der vorherigen Nacht überfroren waren. Die toten Zweige glitzerten vom Eis und vom Licht der aufgehenden Sonne. Bayard ritt ganz in Gedanken vorweg.

Egal wie schön die Zweige waren, sie waren tot. Und Bilder von Tod und Verlust stachen heute morgen schnell ins Auge, denn den gesamten vorherigen Tag und Abend hatten wir mit dem langen, traurigen Ritual von Agions Begräbnis verbracht.

Die Zeit nach Bayards Schlaf war scheußlich gewesen. Unter Tränen hatten wir den Körper des Zentauren gesäubert und nach einem Platz für das Begräbnis gesucht. Doch wir waren in den Bergen, und deren Boden war felsig – zu hart zum Graben.

Wir waren gezwungen, Agion dort liegen zu lassen, wo er gefallen war – wo er den scharfen Stahl empfangen hatte, der für Sir Bayard bestimmt gewesen war. So schichteten wir Steine über die reglose Gestalt unseres Gefährten, bis sich bei Sonnenuntergang ein großer Steinhügel über dem Körper erhob.

Bayard stand in Tunika und mit langem, staubigem Haar vor unserem Werk. Meine Hände und Schultern schmerzten vom Schleppen und Heben der Steine. Irgendwo im dichten Dickicht einer nahen Zeder meldete sich eine Eule.

»Auch das ist schlimm«, sagte Bayard nachdenklich.

»Sir?«

»Ich weiß nichts darüber, was Zentauren in diesem Fall tun«, fuhr er leise fort, als wäre ich nicht da.

»Aber es gibt die Form des Ordens. Und auch wenn er kein Solamnier war, sehe ich keinen Grund, warum diese Worte nicht zutreffen sollten, warum sie ihn nicht… miteinschließen sollten.«

Merkwürdigerweise wurden die Nachtvögel still, als Bayard neben dem Grabhügel stand und das alte Gebet sang:

»An deine Brust nimm, Huma, ihn Am Himmel, ungeteilt und wild. Gönn eines Kriegers Frieden ihm; Befrei den letzten Blick so mild Von den Wolken der Kriegesflammen Die von Sternenfackeln stammen. Laß seinen letzten Atemzug Ganz sanft in der Luft sich wiegen, Laß über Rabenträumen ihn fliegen, Wo Tod bringt nur des Falken Flug. Dann steig er auf zu Humas Schild Am Himmel, ungeteilt und wild.

«Als wir in die Vorberge herunter gelangten, wurde das Wetter immer wärmer, und die Temperatur stieg von eisiger Kälte zu dem an, was man frisch nennen könnte. Irgendwann waren wir in einem Land, das ganz nach Frühherbst aussah. Die vereisten Zweige der Berge wichen grünem Leben, als der Pfad sich durch Vallenholzbäume, Birnbäume und Ahorn wand, deren Blätter sich langsam rot, gelb und orange vom Hellblau des solamnischen Himmels abhoben.

Wir waren wirklich in Solamnia, der Heimat der Legenden. Fast jede Erzählung, die ich auf den Knien meines Vaters gehört hatte, hatte in diesem geschichtsträchtigen Land ihren Anfang und meist auch ihr Ende genommen.

Aber es kam mir so vor, als wäre Bayard auf dieser Seite der Berge eher noch rastloser. Man konnte sehen, daß Kastell di Caela ihm nicht nah genug war. Er hatte es eilig. Zum erstenmal gab er Valorus die Sporen, und der große Hengst trat aus, schnaubte und tat dann, was sein Reiter wünschte.

Ich fand das Tempo unangenehm, aber nach vielleicht vier Stunden merkte man es auch den Pferden an, die uns ja schließlich trugen. Schon nach ein, zwei Stunden begann das Packpferd zu schwitzen, zu schnauben und zu stinken, und als wir wirklich ebenes Land erreicht hatten, kamen mir Visionen, wie die Stute mitten im Laufen umkippte, weil ihr Herz aussetzte. Bayard würde allein weiterreiten.

Bayard zeigte kein Zeichen von Gnade oder Erschöpfung. Die Strapazen der Reise schienen ihm überhaupt nichts mehr auszumachen. Den ganzen Morgen und den ganzen Nachmittag lang trieb er den lahmer werdenden Valorus durch rauhes Gelände, als wenn wir eine Kavallerie wären – oder, noch schlimmer, Späher einer Bande von räuberischen Nomaden. Die Bauern oder Reisenden, auf die wir gelegentlich trafen, wichen vor uns zurück, weil sie zweifellos dachten: Gut, sie sind nur zu zweit, aber ihren Mienen nach sind sie die Vorhut einer schrecklichen Horde Plünderer.

So ritten wir bis tief in die Nacht weiter. Dann endete unsere gnadenlose Reise, und Bayard glitt von Valorus, als würde er es selbst mit dem Schlafen eilig haben, und sagte bloß: »Hier.«

Dann band er die Zügel an den tief hängenden Ast eines Apfelbaums, lehnte sich an den Stamm und fiel rasch in tiefen Schlaf.

Ich saß auf meiner Decke. Einen Augenblick lang dachte ich, ich wäre wieder in der Wasserburg und Opfer irgendeiner Strafe, aber dann klärten sich meine Gedanken, und die Umgebung kehrte wieder an ihren Platz zurück – die leicht gewellte solamnische Landschaft, die Sterne von dem Buch Gilean direkt über meinem Kopf, ein großer, bewaffneter Mann, der neben meiner Decke stand und etwas sagte, was ich zuerst nicht verstand. Aber dann…