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Mein Bruder war beunruhigend gelassen und regelrecht freundlich, als er mich im langen Flur von Kastell di Caela traf, auch wenn ich glaube, daß es Sir Robert verwirrte, daß zwei lang getrennte Brüder einander nicht glücklich in die Arme fielen.

Während uns Sir Robert in das Zimmer führte, das man uns zugewiesen hatte, begann ich die Hoffnung zu hegen, daß etwas meinen Bruder unterwegs verändert haben mochte. Vielleicht war er weiser und verzieh leichter als zu dem Zeitpunkt, an dem ich ihn bis zum Bauch im Wächtersumpf zurückgelassen hatte. Da Alfrik einen höflichen, ja, freundlichen Ton anschlug, beschloß ich, daß es Schlimmeres geben konnte, als heute abend sein Zimmer zu teilen.

Als er mich dann in der eindeutigen Absicht, mich zu erdrosseln, ansprang, sobald die Tür sich schloß, konnte ich bloß noch schwach Einspruch erheben.

»Bruder, bitte! B-bitte! Du bringst mich um!«

Das war doch hoffentlich laut genug gewesen, um Sir Robert zurückzurufen. Aber es kehrten keine Schritte zur Tür zurück und Alfriks Würgegriff wurde noch fester.

»Genau, kleiner Bruder. Diesmal ist es aus mit all den großen Tönen und Versprechungen und Hilferufen, denn ich werde dich umbringen. Dich erwürgen, weil du mich da unten im Wächtersumpf hast stecken lassen.«

»Aber was wird Sir Robert daz – « Meine Stimme quetschte sich zu Zischen und Pfeifen zusammen.

Alfriks Griff ließ nach.

»Du hast recht, Wiesel. Wenn ich dich fertigmache, könnte das meine Aussichten hier doch sehr beeinträchtigen.

Auch wenn ihr hier zur Zeit nicht gerade beliebt seid – du und dein feiner und mächtiger Sir Bayard Blitzklinge nämlich –, würde es mir nicht gut anstehen, etwas so Unsolamnisches anzustellen wie einen Brudermord, hm? Besonders da du keine Gefahr mehr für mich bist und nicht länger etwas hast, was ich haben will.«

Er erzählte mir, was er über das Turnier in Erfahrung gebracht hatte – von den Kämpfen und den Ängsten und der kalten Macht von Sir Gabriel Androctus und von Sir Robert di Caelas wachsender Ungeduld, als die Tage vergingen und kein Bayard Blitzklinge auftauchte. Breitbeinig stand er über mir und strahlte über unsere Verspätung.

»Ich schätze, es ist nur die solamnische Höflichkeit, die ihn davon abhält, euch beide zu teeren und zu federn und in einem Faß zum Vingaard-Gebirge zurückzurollen.«

»W-wie ist es dir überhaupt gelungen…«

»Euch zu überholen? Anscheinend haben dich und Bayard auf dem Weg zum Schloß alle überholt, was?«

Er stemmte die Hände in die Hüften und lachte. Lachte, bis er knallrot anlief und die Adern an seinem Hals anschwollen und ich mich allmählich fragte, ob mein Bruder wohl nicht alle Tassen im Schrank hatte. Ich nutzte die Gelegenheit, unter ihm weg zu schlüpfen und unter einen Tisch in der entferntesten Ecke des Zimmers zu kriechen.

»Brithelm«, erklärte er, als sein Lachen nachließ und er wieder Luft holen konnte. »Brithelm war es, der mich aus dem Treibsand geholt hat. Und ich habe ihm gesagt, daß ich nach Kastell di Caela müßte. Ich habe ihm von dem Turnier erzählt, und daß wir uns beeilen müßten, um rechtzeitig da zu sein.

Also sauste er zur Wasserburg zurück und ist ein paar Stunden später mit zwei von Vaters besten Pferden und Proviant für eine Woche wieder da. Wir also los nach Kastell di Caela. Ich habe mir keine großen Chancen für das Turnier ausgemalt, aber ich dachte, ich würde nebenbei Gelegenheit bekommen, dir die Haut vom Leibe zu ziehen, oder wenigstens deinen Platz als Bayards Knappe einzunehmen. Denn niemand will einen Knappen, der seinen eigenen Bruder ertränkt.

Jedenfalls verschafft mir Brithelm nicht nur Pferde und Proviant, sondern er kennt auch diesen Paß durch das Vingaard-Gebirge weit im Süden von Westtor. Ein Paß, der seiner Aussage zufolge, unsere Reise um mindestens drei Tage abkürzt.

Du kannst dir vorstellen, Galen, wie überrascht wir waren, als wir dich und Bayard und diesen Pferdemann…«

»Agion.«

»Wer auch immer… gegen diesen Oger oben auf dem Paß anrennen sahen. Ich hab’s mir von weitem angeschaut. Brithelm konnte nicht so weit sehen – daß er überall dagegen rennt, liegt einfach an seinen schlechten Augen, wußtest du das? Also sage ich, daß Bayard gewinnt, und er glaubt mir. Sonst wäre er bestimmt nach unten gestürmt, um sich einzumischen.

Als ich dann sah, daß ihr es euch für die Nacht bequem gemacht hattet, sind Brithelm und ich vorbeigezogen und weiter durch die Berge geritten.«

»Dann habe ich in jener Nacht am Feuer wirklich deine Stimme gehört!«

»Kommt mir anständiger vor, wenn man seinen Bruder mit zwei fähigen Begleitern auf einem Bergpaß zurückläßt, als allein und bis zum Bauch im Treibsand«, gab Alfrik weise von sich. »Denk darüber nach, wenn du zu fromm wirst.«

Ich rutschte hinter den Tisch zurück.

»Du kannst vielleicht jetzt deine Chance als Knappe bekommen, Alfrik. Wegen ein paar Sachen, die im Sumpf und in den Bergen vorgefallen sind, hat Bayard keine Verwendung mehr für mich. Wahrscheinlich sucht er sich gleich einen neuen Knappen. Du kannst ihn heute abend draußen in seinem Lager finden.«

»Das wär’s dann wohl, hm, Bruder?« feixte Alfrik, während er sich aufs Bett setzte. »Ich laufe aber nicht mehr Bayard Blitzklinge nach. Der ist zu spät gekommen. Der ist nicht mehr der Favorit.«

»Das heißt?«

»Gabriel Androctus ist es«, verkündete Alfrik frohlockend. »Er hat das Turnier und die Hand von Lady Enid gewonnen. Er wird der bedeutendste Ritter in diesem Teil von Solamnia werden.

Vielleicht braucht er ja gerade einen neuen Knappen, und wenn das so ist, dann werde ich dieser Knappe sein.«Vor der Tür meines Zimmers sangen in den Gängen von Kastell di Caela die mechanischen Kuckucks.

Ich wachte von meinem Nickerchen auf. Alfrik war immer noch fort. Zweifellos bereitete er sich auf das große Festessen des Polterabends vor, das den Trauungsfeierlichkeiten vorausging.

Zweifellos zog er sich viel zu fein an. Weil er zweifellos versuchen wollte, eine Audienz bei Gabriel Androctus zu bekommen – eine Chance, sich kriechend und stiefelleckend den Weg zum Knappendasein zu bahnen.

Brithelm war auch irgendwo in Kastell di Caela, obwohl niemand genau wußte, wo. Er war kurz nach der unseligen Begegnung von Gabriel Androctus mit Sir Prosper von Zeriak eingetroffen und fast unverzüglich abgezogen – ohne Frage auf der Suche nach einem stillen Plätzchen im Schloß, wo er meditieren konnte.

Was alles ganz gut war. Ich brauchte etwas Zeit zum Umdenken.

Ein guter, gesunder Schlaf war in diesen Räumen unwahrscheinlich bei all diesem Gezirpe und Gesinge und Gepiepse von den kleinen Metallvögelchen vor meiner Tür. Wäre es nur ein Vogel und ein weniger reiches Haus gewesen, so hätte ich an den Rufen die Zeit bis zum Essen ablesen können, denn Kuckucke kamen damals als so eine Art mechanischer Zeitmesser in Mode.

Modisch, ja, aber nicht zuverlässig. Da die meisten der Vögel von Gnomen stammten, riefen die meisten nicht so regelmäßig, wie es ihre Hersteller versprochen hatten. Statt dessen riefen sie mal gar nicht, mal unaufhörlich, bis sie kaputt waren, oder sie riefen zu unregelmäßigen Zeiten, wobei Metall über Metall kratzte, so daß der Zuhörer sich wünschte, die Zeit würde anhalten oder er hätte das ganze verdammte Zeug überhaupt nie gekauft.

Die di Caelas waren natürlich eine zu alte und zu reiche Familie, um sich um die genaue Uhrzeit zu scheren. Sie lebten in einem Herrenhaus, wo Vergangenheit und Gegenwart nebeneinander existierten und niemand je das eine dem anderen vorzog. Und darüber hinaus waren sie so reich, daß man, wenn sie wirklich mal zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein mußten, einfach mit dem wichtigen Ereignis wartete, bis sie kamen. Die Vögel dienten nur der Dekoration und den angenehmen Geräuschen, die sie nach Ansicht mancher di Caelas anscheinend von sich gaben.

Diese Geräusche waren für manchen Gast jedoch nicht angenehm. Die Kuckucksrufe rissen mich aus meinen Gedanken, die sowieso schon von Fragen gequält wurden, die früher oder später gestellt werden mußten.