Выбрать главу

Die Diskussion ging ohne mich weiter, und die beiden Ritter trafen die schlimmstmögliche Entscheidung.

Vater war überzeugt, daß der Einbrecher uns im Raum aufgelauert hatte, in den er durch Alfriks Mangel an Aufmerksamkeit hatte eindringen können. Trotz Bayards Zureden, daß Alfrik Verständnis verdiente, fällte Vater sein Urteil rasch und im Zorn.

Mein großer Bruder würde unter Hausarrest stehen und mußte innerhalb der Mauern der Wasserburg bleiben. Ganz anders als am Ende eines Stricks oder in den Tiefen eines Kerkers konnte er von dort aus meine Wenigkeit mit jeder verfügbaren Waffe angreifen.

Denn Alfrik war der Meinung, daß ich hätte reden sollen – und die Schuld für das ganze Unheil auf mich nehmen.

Das ist der Undank unter Brüdern.

Ich brauche wohl nicht zu sagen, daß es mich damals jedesmal beunruhigte, wenn ich die Schritte meines Bruders auf dem Gang hörte. Alfrik war stinksauer und gab irgendwie mir die Schuld an dem Verschwinden der Rüstung, obwohl er sich durch den Wein und den Schlag auf den Kopf gar nicht richtig erinnern konnte, was eigentlich in jener unglückseligen Nacht geschehen war.

Er würde deshalb jedoch weder Faust noch Fuß von einem wohlgezielten Schlag oder Tritt zurückhalten. Darum versteckte ich mich stundenlang in geheimen Tunneln und Alkoven, kauerte in der Asche und trat gelegentlich einem neugierigen Hund eine Ratte hin, denn ich wußte, daß von allen Lebewesen in der Wasserburg ich in der größten Gefahr schwebte. Ich verkleidete mich und kam einmal wirklich als Schornsteinfeger durch. War ich nicht verkleidet oder versteckt, so setzte ich eine Unschuldsmiene auf und hielt mich in der Nähe von Vater oder Brithelm auf.

Meine Hände hatte ich immer in den Taschen, damit mich niemand fragte, was aus meinem Namensring geworden war.

Meine einzige Gesellschaft war Brithelm, und ich gab mir Mühe, nicht einzuschlafen, während er mir seine Ideen über die Götter erklärte.

»Galen, was hältst du von Prophezeiungen?« fragte er zum Beispiel mit gutmütigem Lächeln beim Vogelfüttern im Hof. Sein rotes Haar fiel schief über die geflickte, rote Robe, so daß er für alle Welt wie ein grellrotes Huhn aussah, das zwischen die Tauben geraten war.

»Ich weiß nicht, Brithelm. Vorsicht, der Trog.«

Im letzten Moment wich mein Bruder aus, während er weiterhin Korn verstreute und vor sich hin pfiff.

»Ich denke, Prophezeiungen sind eine Halle voller Spiegel, die sich gegenseitig spiegeln und alles in das zusehende Auge im Zentrum reflektieren.«

»Du weißt, daß du recht hast, Brithelm. Tritt nicht auf den Hund.«

»Diese Vögel, Galen«, setzte Brithelm an, während er einen Schritt über den Terrier machte, der im Schatten des Wassertrogs schlief. Der Hund bewegte im Traum paddelnd die Füße.

»Im Zeitalter des Lichts haben die Kleriker Katastrophen aus dem Vogelflug vorhergesagt. In meiner Einsiedelei habe ich mitunter…«

»Hinten im Wächtersumpf? Ich habe gehört, daß er ganz überwuchert ist, und daß dort ein Zypressenschößling in wenigen Wochen zu einem richtigen Baum heranwächst. Die Luft ist so feucht, daß menschenfressende Fische auf der Suche nach Beute durch die Gegend fliegen.«

Brithelm hielt inne und sah mir in die Augen, während er auf die Zisterne zulief. Ich nahm seinen Arm und lenkte ihn behutsam zur Treppe, die die Südmauer unserer kleinen, heruntergekommenen Festung hochführte.

»Der Sumpf des einen…«, begann er leise lachend, während er den uns verfolgenden Tauben eine letzte Handvoll Körner hinwarf, »ist die Zuflucht des anderen. Morgens sieht man manchmal ein Dutzend Wachteln, kleiner Bruder. Sie fressen dir aus der Hand. Es gibt auch dunklere Dinge, aber die Legenden bauschen sie auf. – Also, Vögel sind am gebräuchlichsten bei Weissagungen. Dann gibt es noch Blätter, die stille Oberfläche eines Teiches, in den du so lange starrst, bis du unter den Spiegelbildern…«

So verbrachte ich meine Zeit mit völligem Blödsinn, während mein ältester Bruder intrigierte und Gemeinheiten plante, heulte und bettelte, obwohl er sich nie an genug erinnerte, um mich beschuldigen zu können. Dennoch gewann er mit seinen Mutmaßungen Vaters Ohr. Nach einem abergläubischen Morgen mit Brithelm sah ich mich häufig zwischen Vater und Alfrik gefangen, die mich vom Kopf der Tafel und vom Katzentisch am hintersten Ende des Saals beide argwöhnisch musterten. Es war, als säße ich zwischen zwei Spiegeln fest.

So war Vater wütend wegen Alfriks Nachlässigkeit und hegte einen wachsenden Verdacht gegen mich, obwohl nie ein Beweis auftauchen wollte. Bayard schien ebenfalls seine gute Laune zu verlieren, als die Wasserburg wochenlang vor Verdächtigungen brodelte.

Erst als wir von dem Mord hörten, verlor Vater endgültig die Geduld.

Wieder kamen ein paar Pächter in die Wasserburg, diesmal eine kleine Menschenmenge, die die bisher schlimmsten Nachrichten brachte. Es war kurz nach Sonnenaufgang. Bayard war bereits zu seiner täglichen Fahndung nach dem plündernden Rüstungsdieb aufgebrochen, doch die Bauern erwischten Vater, der gerade die Hunde von seinem Stuhl im großen Saal verscheuchte, damit er in voller Würde Leute empfangen konnte.

Die Dorfälteste, eine grauhaarige Frau von mindestens achtzig Jahren, war ihr Sprachrohr. Gegen die unnatürliche Kälte trug sie einen selbstgewebten Mantel, und sie wirkte wie eine Hexe, wie sie im Buche steht. Sie verschwendete keine Zeit, sondern begann schon mit ihrer Rede, bevor der letzte Mastiff heulend vor meinem Vater geflohen war.

»Es war nämlich so, Herr Ritter, und mögen die Götter mich und meine Kinder strafen bis ins fünfte Glied, wenn nicht jedes meiner Worte der Wahrheit entspricht.«

Rotgesichtig und schnaufend setzte Vater sich hin und setzte sein interessiertestes Gesicht auf. Ich versuchte zu raten, wo der himmlische Blitz zuerst einschlagen würde, wenn die alte Schreckschraube log, was sie gewiß tun würde, weil sie es immer taten.

»Ich zittere, wenn ich Euch dies sagen muß, Herr Ritter, aber auf Eurem Land hat ein Mord stattgefunden, ein überaus gemeiner, unaussprechlicher Mord. Mord durch einen Angehörigen Eures eigenen Ordens.

Sie war gut. Vater ergriff wütend die Armlehnen. Brithelm stand am Kamin und unterdrückte einen erschrockenen Schrei. Alfrik und ich hingegen blieben sitzen. Alfrik schärfte demonstrativ seinen Dolch, während ich meine Nase in ein Buch steckte, das ich nicht las.

Ich hörte die ganze Zeit zu. Doch ich kann nicht behaupten, daß die Klagen der alten Frau »meine Augen für das traurige Los der Bauern« öffnete, wie das jedem mit nur einem Funken edler Gesinnung in der Seele gehen sollte. Ich wußte sehr gut, daß die Armen ein Leben voller Sorgen führten, das mit unserem nichts zu tun hatte.

Um ganz ehrlich zu sein, war es mir so auch lieber.

Wenn sich ihr Leben und unseres nämlich doch einmal kreuzten, dann war Vater zornig, und seine Söhne mußten es ausbaden. Ich machte mich hinter dem Tisch kleiner, während die alte Fledermaus gelassen fortfuhr, da sie bereits in ihrer Geschichte von Unheil und willkürlicher Gewalt gefangen war. Wenn ich Glück hatte, würde Alfrik den Ärger abbekommen.

Mein ältester Bruder, Erbe des gesamten Grundbesitzes, saß da und wischte sich mit dem Ärmel die Nase ab, ohne zu merken, daß ihm noch härtere Zeiten bevorstanden. Eine Bulldogge, die die Stille als ein gutes Zeichen ansah, wagte sich in den Saal zurück und bettelte an meinem Stuhl um Schinken.

»Es ist eine schreckliche Geschichte, die ich Euch bringe«, redete die alte Schachtel weiter. »Gestern, als der Abend nahte, ritt ein Mann in der Rüstung von Solamnia zu Pferd zum Haus meines Neffen Jaffa. Ihr erinnert Euch doch an Jaffa, Herr Ritter? Der, wo letztes Jahr beim Streit um die Abgaben durch Euren Sohn ein Ohr eingebüßt hat? Nicht, daß ich dem Jungen die Schuld geben würde, oder daß Jaffa, er ruhe in Frieden, böse Gedanken gegen den jungen Herrn Alfrik gehegt hätte! ›Jungens lieben nun einmal Schwerter‹, hat er immer gesagt, ›und meinem Gehör hat es nie nicht geschadet.‹«