Выбрать главу

Damit hatte ich auch mich selbst überrascht.

»War mir ein Vergnügen«, stammelte ich, und Sir Ramiro grinste höhnisch am Fenster. Ich warf ihm einen haßerfüllten Blick zu. Bayard ergriff das Wort, denn er spürte meine Verlegenheit.

»Trotzdem, meine Herren, ist an dieser Geschichte noch vieles zu entschlüsseln. Vielleicht könnten wir uns anderswo zusammensetzen, wo wir Zeit und Ruhe haben und über die Situation nachdenken können. Dazu überlassen wir die, die uns teuer sind, den fähigen Händen der Zofen und Ärzte. Laßt uns zusammenkommen und gemeinsam nachdenken, meine Herren. Wir müssen eine angemessene Taktik finden.«Und dann überlegten sie alle im großen Burgsaal, den wir erreichten, nachdem wir durch ein halbes Dutzend Gänge gelaufen waren; dann über eine gewaltige Steinbrücke, die durch einen Wintergarten führte, wo Sir Robert exotische Pflanzen züchtete, die für meinen Geschmack viel zu süß dufteten; durch bekanntes Territorium, wo die di Caela Statuen und der Klang der mechanischen Vögel vor uns lagen; und schließlich die Treppe zum Erdgeschoß in den großen Saal hinunter.

Hier berieten wir, wohin der Skorpion Enid gebracht haben könnte. Wir standen an den Tischen, die erst vor wenigen Nächten im Kerzenlicht und zwischen polierten Rüstungen geglänzt hatten, und mir kam es so vor, als wäre in der einen Stunde Beratung jeder nur vorstellbare Ort auf ganz Krynn erwähnt worden. Kein Vorschlag war ermutigend, und es fiel mir schwer, aufmerksam dem zu lauschen, was die Ritter sagten.

Denn die ganze Zeit hatte ich diese Stimme im Ohr, daß ich mich an etwas erinnern mußte, was mit dem Raben damals in meinem Zimmer zu tun hatte…

Sir Ledyard glaubte, daß wir den Skorpion und seine Gefangene gut irgendwo im Südwesten auf der Sirrion-See vermuten konnten. Niemand zollte ihm Aufmerksamkeit; jeder hatte gewußt, daß seine Antwort irgend etwas mit dem Meer zu tun haben würde, und außerdem war die Sirrion-See viel zu weit weg.

Sir Robert war dafür, in Estwilde zu suchen, weil er zuvor die weißen Opale gesehen hatte. Nach diesem Vorschlag betrachtete er die Frage als erledigt.

Sir Ramiro fand diese Lösung zu naheliegend. Jemand vom Schlag des Skorpions würde sich nicht so leicht ertappen lassen. Er schlug vor, daß wir zuerst in den Granatbergen südlich des Schlosses suchen sollten, und zwar allein deshalb, weil es dort kalt und hoch und die Luft dünn war – der abschreckendste Ort der ganzen Gegend und damit, Sir Ramiro zufolge, das ideale Versteck für den Skorpion. Die beiden alten Männer begannen, sich herumzustreiten, und sie hätten sich gewiß noch geschlagen, wenn Bayard nicht eingegriffen hätte.

Bayard tippte auf das Vingaard-Gebirge, weil dort seiner Ansicht nach die Magie des Skorpions am stärksten gewesen war. Und hieß es nicht, daß Magie um so stärker wird, je näher man an ihre Quelle kommt?

Keiner der Ritter kannte sich in Sachen Magie aus. Alle Augen gingen zu Brithelm, der hilflos lächelnd die Achseln zuckte.

»Ich weiß nicht genug über die Sorte Magie, die der Skorpion benutzt, meine Herren«, erklärte er entschuldigend. »Schließlich übersteigen Wolken und sprechende Vögel meine Macht.«

»Was machen wir also?« fragte Sir Ramiro ungeduldig. »Ausschwärmen und den ganzen Kontinent durchkämmen? Das kann Jahre dauern.«

»Und der Skorpion, wie Ihr ihn nennt, kommt mir nicht so geduldig vor«, stimmte Sir Ledyard zu, wobei sein breiter, östlicher Dialekt im großen Saal nachhallte.

Wären die Dinge so weiter gegangen, so wären wir vielleicht nie auf die Antwort gestoßen. Die Ritter hätten sich noch Ewigkeiten herumgestritten und ihre Meinung kundgetan, und ich hätte dagesessen und versucht, mich an das zu erinnern, woran ich mich erinnern sollte – was der Skorpion mir an dem Abend im Dunkeln offenbart hatte, bevor Brithelm hereingeplatzt war.

Doch unmittelbar nach Sir Ledyards Bemerkung hörten wir über uns etwas zerreißen und einen Schrei. Die Ritter fuhren herum und zogen ihre Schwerter, während ich mich wie ein Windhund aus Vaters großem Saal unter dem Stuhl verkroch, weil ich ganz sicher war, daß der Skorpion zurück war.

Alfrik baumelte an einem Vorhang vom Balkon, fluchte laut und strampelte wild mit seinen stämmigen Pfadwächterbeinen.

Anscheinend war ich nicht der einzige, der dieses spezielle Versteck und seine Vorteile entdeckt hatte. Es stellte sich heraus, daß Alfrik die ganze Zeit dort oben gelauscht hatte, während hier Wege vorgeschlagen und Fragen aufgeworfen wurden. Als er sich nach vorne gelehnt hatte, um besser verstehen zu können, was gesagt wurde, und wie weit das ihn betreffen mochte, war er auf etwas getreten, was er für einen schmalen Sims um den Balkon jenseits der geschnitzten Brüstung gehalten hatte. Doch nicht einmal eine Katze hätte sich auf diesem Sims halten können.

Da hing er nun, nur an dem Vorhang, den er im Fallen noch erwischt hatte, unter ihm diverse verdiente Ritter, die sich momentan nicht sonderlich für sein Schicksal interessierten, und ein Bruder, der flüsterte: »Bitte laß ihn doch auf den Hals fallen, Paladin!« Keine beneidenswerte Lage. Als der Vorhang nachgab und mein Bruder langsam auf den Boden des Saals sank, sah man, wie er den Raum verzweifelt nach Ausgängen absuchte.

Sir Robert erwischte Alfrik am Arm und hatte ihn vor mir auf einen Tisch geworfen, ehe die zappelnden Füße meines ältesten Bruders den Boden berührt hatten, und ehe Bayard eingreifen konnte.

»Eine feine Bande von Gästen habe ich die letzten Tage beherbergt! Der eine stiehlt meine Tochter, der andere belauscht mich von meinem eigenen Balkon! Da soll ich doch dem alten Benedikt vertrauen, ehe ich wieder meine Gastfreundschaft anbiete!«

Alfrik kauerte sich zwischen die Tellerscherben. Er hatte sich in einem feinen, leinenen Tischtuch verwickelt. Bayard trat zwischen Sir Robert und meinen in die Enge getriebenen Bruder, der sich anklagend gegen mich wandte.

»Wieder einmal ein Ritterrat, und nur der alte Alfrik wurde nicht eingeladen. Du hast ihnen gesagt, daß sie mich übergehen sollen, Wiesel, damit ich keine Chance habe, Enid zu retten und um ihre Hand anzuhalten.«

»Um Humas willen, Bursche«, setzte Sir Robert an, »nun schieb doch deine Werbung ein bißchen auf.«

Das war typisch Alfrik. So tun, als würde er verfolgt, und mich beschuldigen, daß ich irgendwie eine Ritterversammlung einberufen hätte, deren einziger Sinn und Zweck auf diesem Planeten es war, ihn von Abenteuern auszuschließen.

Mir fiel seine merkwürdige, fast krankhafte Version dessen ein, was in der Wasserburg während unserer Kindheit abgelaufen war – daß er sich für den lieben Ältesten hielt, der ständig von unausstehlichen, jüngeren Brüdern bedrängt wurde.

Es war unglaublich, wie jemand derart die Vergangenheit verdrehen konnte.

Ein Windzug bauschte eine Fahne im Saal auf. Ein einzelner Metallkuckuck krächzte über uns irgendwo an dem jetzt unverhüllten Zugang zum Balkon.

Die Vergangenheit verdrehen.

Ich spürte die Erinnerung an Dunkelheit, an die Berührung eines Flügels. Ich roch Parfüm und Verwesung. Einen Augenblick lang verschwamm der Raum um mich herum. Dann kehrte er wieder zurück. Die Lichter waren noch heller, die Farben noch intensiver.

Jetzt hatte ich sie, die Erinnerung.

»Bayard, schnell! Wie war das noch mit Eurer Prophezeiung?«

»Das ist nicht die rechte Zeit für Mystik!« brüllte Sir Robert. »Bei den Hörnern von Kiri-Jolit, ich häng mich auf, ehe ich jemals wieder einen Pfadwächter über die Schwelle meines Hauses lasse!« Sir Ramiro ergriff seinen alten Freund und zog ihn von mir weg.

»Bitte, Bayard! Ich bin mir sicher, daß es wichtig ist!«

Bayard sprach nach einer kurzen Stille, in der der große, fackelerleuchtete Raum noch verlassener erschien.

»Wie ich sie aus meiner Jugend kenne, als ich die Bibliothek von Palanthas durchstöbert habe, ging die Prophezeiung so:

Und Sohn auf Sohn bringt dieser Fluch Dem Hause di Caela Leid, Doch niemals kommt es schlimm genug, Bis alles fällt an eine Maid.