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Erst wenn am finstersten Wegesstück Die blitzende Klinge die Braut erreicht, Kehr’n Generationen vom Gras zurück, Auf daß der Fluch nun endlich weicht.«

Danach hielt er inne, denn er hatte von der Zukunft gesprochen und begriff sie nicht. Wir alle sahen einander an, während wir da an beiden Seiten von einem der langen, eleganten Tische von Sir Robert standen. Irgendwo in den Tiefen der Burg ertönte ein mechanisches Zirpen und Pfeifen. Dann herrschte wieder Stille.

Ein merkwürdiger, verwirrter Ausdruck legte sich über die Gesichter der Ritter.

Dann sahen sie natürlich mich an, als wäre ich ein unbeteiligter Beobachter oder jemand, der wahre Prophezeiung von falscher unterscheiden könnte.

»Ehrlich, Sirs. Es steckt irgendwo da drin. Ich bin ganz sicher.«

»Hör noch mal zu, Galen«, hakte Bayard nach. »Vielleicht ist es etwas, was ich ganz übersehen habe, was so offensichtlich ist, daß nur ein Kind es bemerken kann.«

Kein besonders schmeichelhafter Grund, nach meiner Meinung zu fragen, aber ich hörte trotzdem zu, als die gleichen abgelutschten, alten Verse mich mit ihren Rätseln und hölzernen Reimen überfluteten. Ich saß auf Sir Roberts gewaltigem Thron, ließ meine Füße über den Rand baumeln und spielte mit den Würfeln in der Tasche meiner Tunika herum.

Die Ritter standen nach den Versen aufmerksam da und erwarteten mein Urteil, meine Antwort. Ich duckte mich verlegen an die Rückenlehne.

»Um Humas willen, Junge«, begann Sir Robert gereizt, »dein Herr ist nicht zu einem Bardenwettstreit hier! Wir versuchen, meine Tochter wiederzufinden, und wir suchen nach Hinweisen und haben keine Lust, schlechte Reime anzuhören!«

»Wenn Ihr bedenken mögt, Sir, daß ich gerade ein fast tödliches Fieber hinter mir habe«, setzte ich an, doch Bayard mischte sich ein.

»Verzeiht, Sir Robert, aber ich glaube nicht, daß der Junge gerade literarische Spielchen treibt.«

Er drehte sich zu mir um und fuhr freundlich, aber drängend fort.

»Weiter, Galen.«

»Genau das hat der Skorpion gesagt. Oder nicht gesagt. Ich glaube nicht, daß er gesagt hat, die Prophezeiung wäre falsch, nur daß Ihr sie falsch versteht, Bayard. Jetzt, wo ich es genau bedenke, glaube ich sogar… nein, ich bin absolut sicher, daß er gesagt hat, es gäbe mehr als eine Art der Auslegung!

Also ist die Frage nicht, wie Ihr sie all die Jahre verstanden habt, Bayard, sondern wie der Skorpion sie verstanden hat.«

Ich hatte mich immer gefragt, ob ich jemals etwas von dem gebrauchen könnte, was Gileandos mir beigebracht hatte. Mit einem tiefen Atemzug erhob ich mich aus meinem Stuhl und begab mich auf die glitschigen Pfade der Mutmaßungen. Dabei lief ich vor den versammelten Rittern auf und ab.

»Seht mal, es liegt alles in dem, was er über seine eigene ›blitzende Klinge‹ zu mir sagte. Er denkt anscheinend, wenn Bayard nicht die blitzende Klinge der Prophezeiung ist, dann ist es ein richtiges Schwert.«

Ich wandte mich wieder an Sir Robert.

»Wie ich schon sagte, Sir, er hat das erwähnt, bevor er damit gedroht hat, Eure Tochter zu töten.«

»Aha?«

»Also versucht er auch, den Fluch aufzuheben. Seht mal, es macht ihm bestimmt keinen Spaß, in jeder Generation von den Toten zurückzukehren, um an Eurer Familie zu nagen. Ich glaube kaum, daß er da eine Wahl hat.«

»Dem kann ich nicht folgen«, meinte Sir Robert. »Wir laden ihn schließlich nicht ein. Er ist doch unser Fluch.«

»Und Ihr seid seiner!« rief Brithelm aus, und ich sah ihm an, daß er begriff, worauf ich hinaus wollte. »Schließlich haben die zwei Gabriels Benedikt di Caela damals in der Vergangenheit nicht gerade sehr fair behandelt. Der eine hat ihn enterbt, der andere hat ihn auf der Trotylhalde besiegt und ihn dann nach Osten zum Chaktamir Paß verfolgt, wo er ihn umgebracht hat. Egal was die di Caelas über seinen Tod in der Schlacht verbreiten.« Sir Robert nickte.

»Na schön. Die Pfadwächter haben recht bezüglich des Familien… pechs vor vier Jahrhunderten. Es ist beschämend – ja, fast unehrenhaft –, was Gabriel der Ältere und Gabriel der Jüngere taten, aber ich begreife nicht, warum wir diese Leichen aus dem Keller holen müssen.«

»Weil die Leiche von selber kommt und die Familie jede Generation heimsucht, Robert!« erwiderte Sir Ramiro feixend.

»Na schön! Na schön! Und was hat das, verdammt noch mal, mit der Prophezeiung zu tun?« fuhr Sir Robert auf.

»Die di Caelas sind ebenso Benedikts Fluch, wie er der ihre«, entgegnete Brithelm. »Und er glaubt, daß sein Vorhaben ihn befreien und die Familie zerstören wird, die ihm Unrecht getan hat.«

Sir Robert lehnte sich zurück und schwieg. Wieder surrte irgendwo im Erdgeschoß des Schlosses ein Kuckuck. Draußen donnerte es, und ich fühlte, wie sich Regen in der Luft zusammenbraute.

»Könnte der Skorpion recht haben?« fragte Sir Robert schlicht, wobei er seine Hände hinter den Kopf verschränkte und zum Balkon hochstarrte. »Sind wir, und nicht der Skorpion, der Fluch?«

»Um das herauszufinden, müssen wir nach Chaktamir, Sir«, erwiderte ich.

»Chaktamir?«

»Erinnert Ihr Euch an die Worte der Prophezeiung?« fragte ich. »›Erst wenn am finstersten Wegesstück‹?«

Sir Robert nickte abwesend, denn ihn beschäftigte immer noch die Umkehrung der Prophezeiung – die Vorhersage des Endes der di Caelas. Müde schüttelte er die Gedanken ab, baute sich zu seiner vollen, patrizischen Größe auf und marschierte durch den Raum.

»Ich kann mir nichts Finstereres vorstellen als den jetzigen Stand der Dinge«, erklärte er.

»Aber vielleicht heißt es nicht bloß, daß die Lage finster ist, Sir Robert. Vielleicht hatte derjenige, der die Prophezeiung schrieb, einen richtigen Hohlweg vor Augen.«

Sir Robert hielt inne, um das zu verdauen. In der Ferne donnerte es wieder.

»Vielleicht. Aber woher wissen wir, daß es Chaktamir ist, Galen. Warum nicht irgendwo in den Granatbergen oder auf der Trotylhalde?«

»Ich weiß nicht, Sir. Zumindest nicht mit Sicherheit. Aber es paßt doch zusammen, oder? Der Paß bei Chaktamir ist schon mal finster, denn seit Enriks Kampf mit den Männern von Neraka ist er nicht mehr viel begangen. Er ist dunkel vom Blut der Solamnier und Nerakaner.

Und natürlich auch von Benedikts Blut. Schließlich hat Gabriel der Jüngere ihn am Chaktamir Paß eingeholt.

Letztlich ist er finster, weil Eure Geschichte ihn dazu macht. Wenn die Geschichte verbreitet wurde, daß Benedikt auf der Trotylhalde fiel, dann kann man leicht annehmen, daß er in der Schlacht starb und nicht auf einer schäbigen und fragwürdigen Jagd der di Caelas.

Ich würde sagen, daß das finsterste Wegesstück auf jeden Fall Chaktamir ist, Sir Robert. Und ich glaube, Ihr werdet dort den Skorpion finden. Und Eure Tochter.«

Ich sah mich um. Brithelm saß lächelnd auf einem harten Stuhl mit hoher Rückenlehne. Die Füße hatte er auf den Tisch gelegt. Sir Ledyard und Sir Ramiro standen zu beiden Seiten von Sir Robert di Caela. Die beiden seltsamen, fremden Ritter nickten – sie stimmten mir zu. Bayard starrte mich mit undurchdringlicher Miene an.

Alfrik spielte mit einem Tischtuch, das zusammengelegt auf einem Stuhl lag. Sein Verstand hatte weitgehend abgeschaltet.

Sir Robert verschränkte die Arme und sah mich neugierig an.

»Und die ›Generationen vom Gras‹, Galen?« fragte er.

»Da habe ich keine Ahnung, Sir. Schlauheit bringt einen bei einer Prophezeiung auch nicht immer weiter, schätze ich. Vor allem weiß ich nicht, für wen die Prophezeiung gedacht ist – ob für Bayard oder für Euch oder für den Skorpion –, aber bei Chaktamir löst sich die ganze Sache auf, ob zum Guten oder zum Schlechten oder beides. Da bin ich mir sicher. Glaube ich.«