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Eines der Maultiere hinter uns wieherte, und durch den Regen sah man ein Bündel von seinem Rücken in den reißenden Strom rutschen. Der zahnlückige Junge griff vergebens danach.

»Ich rutsche!« schrie er und kippte ins Wasser.

»Brithelm!« schrie ich verzweifelt, als der Junge flußabwärts an meinem Bruder vorbeitrieb.

Vor dem brüllenden Fluß hörte sich mein Ruf dünn, schrill und feige an. Ich schämte mich fast dafür, denn irgendwer würde den Trottel sicher aus dem Wasser ziehen. Aber dann wurden wir selbst von einer Welle verschluckt, die mich vom Rücken der Stute riß.

Ich hing mit dem rechten Fuß am Sattel fest, denn ich hatte mich im Steigbügel verfangen, der sich in alle Richtungen drehte. Doch der Knöchel hielt, und der Steigbügel hielt, und mein Kopf war über Wasser, wo ich hustend spuckte.

Wild um mich schlagend dachte ich an die paar Male, wo ich Menschen schwimmen gesehen hatte, und hoffte, daß die Nachahmung mir irgendwie helfen würde, die Strömung zu beherrschen, die mich nach Süden in den Tod riß. Mehrmals ging ich unter, und weil ich zu schnell dachte, fielen mir auch die Legenden ein, wie Leute beim dritten Mal untergegangen waren.

Wieviel Mal war es gewesen? Sechs?

Wieder schlug eine Woge über mich hinweg.

Sieben?

Durch den Schleier von Wasser und Sonnenlicht entdeckte ich irgendwo über mir in der Luft eine große, ausgestreckte Hand, nach der ich griff. Mein Kopf tauchte gerade lange genug auf, um zu hören, wie Ledyard schrie: »Hier, Junge!«

Dann sah ich nur noch das dunkle Grün des Wassers, und ich hatte den Eindruck, frei im Strom dahinzutreiben.

Es war eigentlich gar nicht schlecht, so zu treiben. Einen Augenblick lang war es, als würde ich aus einem tiefen, unglaublich befriedigenden Traum auftauchen oder in ihn zurückkehren. Ich konnte nicht feststellen, was es nun war, und bald war mir das auch gleichgültig.

War es das, was die Fische sahen, wenn sie nach oben schauten?

Das grüne Licht, das dort golden wurde, wo das Sonnenlicht einstrahlte?

War das der letzte Eindruck der Ertrinkenden, bevor sie sich in den Pflanzen verfingen und erkalteten?

Es war mir egal. Ich entspannte mich, genoß die Bewegung und das Licht und bereitete mich darauf vor, sie alle zu vergessen: Enid und Danielle, meine Brüder und Sir Robert und…

Bayard.

Der mich an den Haaren aus dem Strom zog, in die Kälte und ins schmerzhaft helle Licht, wo das Atmen so weh tat und mir schummerig und schlecht wurde.

Er legte mich quer über seinen Sattel und klopfte dabei so heftig auf meinen Rücken, daß ich mindestens eine Stunde lang Wasser aushustete.

Über dem Wasser, im trockenen Element von rauher Luft und Pflicht und zu vielen Gedanken, vergaß ich den Strom und die gefährlichen Träume vom Fluß. Bayard setzte mich sanft am Südufer des Vingaard ab. Da erst fragte ich mich, was aus Sir Robert, den Ladys di Caela und meinen Brüdern geworden war. Da erst erinnerte ich mich an Bayard, der mich aus dem Wasser gezogen und vor dem sicheren Ertrinken gerettet hatte.

Da erst erinnerte ich mich an den Rest der Gefährten.

Deren Anzahl vom Fluß halbiert worden war.

Im östlichsten Arm des Vingaard gibt es mitten im Fluß einen plötzlichen Sog, der noch mächtiger ist als die starke Unterströmung. Das ist der ständige Fluch der Flußfischer und der Menschen, die dumm genug sind, ihn zu überqueren.

»Vingaardstrudel« nennen ihn die Fischer und versuchen, sich dagegen zu schützen, indem sie ihre Boote wie Flöße hinüberstaken und Anker setzen, wo der Sog am stärksten ist.

Man kann das An- und Abschwellen des Strudels weder vorhersagen noch genau einschätzen. Tatsächlich wissen außer den Menschen, die am Fluß leben, nur wenige davon.

Zufällig hatte der Strudel beschlossen, sich genau im Moment unserer Flußdurchquerung zu melden, und hatte viele von uns aus dem Sattel in die gnadenlose Strömung gerissen. Einen Augenblick, nachdem Bayard mich aus den Strudeln gefischt hatte, die um ihn herum tobten, war die große, rudernde Gestalt von Sir Ledyard meinem Schicksal gefolgt.

»Als ich nach ihm griff«, schloß Bayard mit von der Anstrengung zitternder Stimme, die von noch etwas atemlos war, was ihn mehr aufwühlte. »Da hat er den Arm weggezogen. Hat den Arm weggezogen, Galen, und geschrien, daß wir uns selbst retten sollen, daß er weiter unten an Land gehen würde.«

Irgendwo hinter Bayard hörte ich jemanden weinen. Ganz bestimmt Brithelm, auch wenn ich durch das Wasser und die Erinnerungen daran, nichts sehen konnte.

»Sir Robert? Sir Ramiro?« fragte ich.

»Die sind den Fluß hinabgeritten, weil sie hoffen, daß sie vielleicht auf eine Sandbank, einen umgestürzten Baum oder etwas anderes stoßen, woran sich unsere Freunde festhalten.«

»Wir haben keine Hoffnung. Sie sind inzwischen tief in den Ebenen von Solamnia. Im Land der Tapferen und Unschuldigen. Möge Sir Ledyard zuletzt doch noch ans Meer kommen.«

»An deine Brust nimm, Huma, sie«, ertönte eine bekannte Stimme hinter Bayard. Alfrik stand bei meinem Beschützer.

»Diese Decke ist trocken geblieben, Wiesel«, stotterte er und warf mir eine rauhe Wolldecke über.

Ich schäme mich nicht, zuzugeben, daß ich ein paar Tränen vergoß, nachdem Sir Robert schwermütig von seiner glücklosen Suche zurückgeritten kam. Der Strudel war angewachsen und hatte ein volles Dutzend von uns mitsamt Pferden, Rüstung und Waffen in seine dunkle, wilde Tiefe gerissen. Das berichtete Sir Ramiro, nachdem er schlammbedeckt und voller Wasserpflanzen von seiner Suche wiedergekehrt war. Knappen und Ritter waren nach Süden getrieben, bis sie im starken Sog des Flusses aus dem Blickfeld verschwanden.

Bayard hatte recht. Es gab keine Hoffnung, sie wiederzufinden.

Ich weinte um Ledyard, den ich nie richtig kennenlernen würde, um das Dutzend anderer, die mit ihm ertrunken waren, und besonders um den zahnlückigen, blonden Knappen, dem ich allzu leicht und allzu prompt Unheil gewünscht hatte.

Allmählich fragte ich mich, ob auch hier der Skorpion seine Hand im Spiel hatte, ob es sein Einfluß war, der den Strudel zur ungünstigsten Zeit hatte anschwellen lassen.

Die Strecke vor uns war unsicher; was uns in Chaktamir erwartete, war dunkel und unheimlich.

Sir Robert saß müde in seiner klirrenden Rüstung neben mir. Es war die Stunde des Wahnsinns.

»Es ist furchtbar früh, ich weiß«, fing er an. »Wir alle trauern. Wir alle sind immer noch… betroffen von dem, was heute morgen geschehen ist.

Aber es hängt noch ein weiteres Leben von unserer Schnelligkeit und Entschlossenheit und Ortskenntnis ab. Denkt dran, daß Enid irgendwo vor uns sein kann. Wir müssen die Verfolgung aufnehmen, bevor ihr im Osten womöglich etwas Schreckliches zustößt. Also faßt euch ein Herz. Wo müssen wir als nächstes hin?«

Seine Augen waren fest nach Osten gerichtet. Hinter uns hörten wir den Fluß toben, vor uns lagen die Ebenen von Ostsolamnia, die in das karge, kleine Land Trot übergingen – ein Gewirr von Wegen und Kanälen, von denen der Skorpion mit seiner kostbaren Beute jeden eingeschlagen haben konnte.

Wir wählten einen davon – den, der direkt zum Chaktamir Paß führte. Bayard erhob sich im Sattel, schirmte seine Augen ab und entdeckte ein Vallenholzbaumwäldchen am Osthorizont, das uns als Wegweiser dienen konnte.

Schweren Herzens zogen wir müde gen Osten.

Als das Wäldchen genau vor uns lag, drehte sich Bayard im Sattel um und rief uns zu:

»Von hier aus reiten wir nach Südwesten und kommen über zwei Straßen und durch ein Weizenfeld. Danach kommen wir an eine weitere Straße, wo wir nach Osten reiten, so daß wir die Trotylstraße zur Linken und die Berge zur Rechten haben.«

»Und dann sind wir bald in Chaktamir?« rief Sir Robert zurück.

Sir Robert kannte sich in den Ländern östlich seiner Burg anscheinend wenig aus. Stirnrunzelnd kam Bayard zu uns zurück und schüttelte den Kopf.