Bei Huma, sie war gut! Ich warf einen Blick über das Buch und die Bulldogge und gab mir größte Mühe, sympathisch zu wirken. Alfriks Aufmerksamkeit galt nicht länger seinem Messer. Er wand sich, fein. Ich grinste höhnisch hinter den Seiten des Buches.
»Nun, Jaffa reparierte gerade unser Dach – da, wo es vor erst einem Monat von dem seltsamen Feuer beschädigt worden war.«
Jetzt konnte Alfrik schäbig grinsen. Viel zu auffällig starrte er in meine Richtung. Ich vergrub mich hinter meinem Buchdeckel.
Schließlich hatte ich nie geplant, das Feuer außer Kontrolle geraten zu lassen.
Die alte Schrulle fuhr fort, weil sie segensreicherweise in ihrer blutrünstigen Geschichte gefangen war.
»Und dieser Ritter steigt ab – oh, wir hatten von ihm gehört, von Sir Rabe, der in den Dörfern umgeht und Käse und Vieh und die Tugend unserer Töchter fordert. Aber dennoch dachten wir nie, daß er zu uns kommen könnte! Aber denkt man jemals so etwas, bevor das Böse vor der Tür steht?
Jedenfalls fragt der Ritter nach Käse, und ich möchte, daß Ihr wißt, daß Jaffa gleich auf die Frage des Herrn vom Dach gerutscht ist, um ihm den Käse zu bringen. Ihn gerne zu bringen, weil er ja glaubte, er gehörte zu Eurer Familie oder Euren Freunden oder irgend jemand, der mit diesem Haus zu tun hat. Aber dann fragt Sir Rabe nach Ruby, unserer Kuh, und Jaffa wird klar, wer er ist, und er rührt sich nicht.«
»Hat sich ihm aber auch nicht widersetzt oder ihm irgendwie widersprochen«, piepste eine jüngere Stimme aus der Menge, die hinter der alten Frau versammelt stand. Hatten sie das zuvor verabredet?
Ich hätte nur zu gern nach diesem geheimnisvollen Ritter gefragt, um zu erfahren, ob er mit leiser, sanfter und gefährlicher Stimme geredet hatte. Aber das konnte ich nicht. Danach zu fragen hätte verraten, daß ich mehr wußte, als ich durfte. Ich nahm meine Augen vom Buch, als die Bulldogge aufgab und zu Alfrik hinüber watschelte. Heute morgen schienen alle regelrecht auf Schwierigkeiten aus zu sein.
»Wie das Mädchen sagt: Ohne sich zu widersetzen, genau, er hat sich nur nicht gerührt, bis der Ritter ungeduldig wurde und wieder nach Ruby fragte, diesmal mehr als Befehl denn als Frage, wenn Ihr versteht. Dann fragt er nach Agnes, und erst da antwortet ihm Jaffa mit harten Worten. Agnes ist selbst da, um das zu bestätigen«, sagte die alte Schachtel und schob ein blondes Mädchen meines Alters mit teigigem Gesicht und Froschaugen nach vorne, dasselbe, das hinter ihr wie ein heiserer Chor gepiepst hatte. Jaffas Frau oder seine Tochter? Ich wußte es nicht, und es war mir auch egal. Wie auch immer, der Besucher hätte sich lieber mit Ruby, der Kuh, begnügen sollen.
Diese Agnes nahm die Geschichte auf, wo die alte Frau sie abgebrochen hatte, baute sich vor den Leuten auf und zeigte ein blutiges Hemd herum.
Ich gebe zu, das war etwas zuviel für mich.
»Es war genau, wie die gute Frau sagt, Herr Ritter«, heulte das Mädchen, während es das blutige Hemd mit beiden Händen wrang. »Jaffa steht bloß da. Dann zieht er das Messer und sagt zu Sir Rabe, sagt: ›Ein hoher Herr mögt Ihr wohl sein, aber dem Mädchen krümmt Ihr kein Haar.‹ Genau das waren seine Worte, oder die Götter sollen meine Familie strafen bis ins fünfte Glied.«
Sie schienen alle eifrig ihre Familien mit ins Spiel bringen zu wollen. Die Leute wurden mir direkt sympathisch.
Von der alten Frau hörten wir den Rest der Geschichte. Wie Jaffa nicht zur Seite gewichen war, wie aus Worten Gebrüll wurde und aus Gebrüll Schläge wurden, und aus Schlägen ein gezogenes Schwert, das ungelenk in die Brust des Bauern fuhr. Als sie fertig war, folgte das übliche Geflenne vor dem Gutsherrn, sechs Versionen derselben Geschichte (alle mit demselben unglücklichen Ausgang) und die Vorführung der hilflosen Überlebenden – die alte Frau selbst und die Tochter (oder Frau oder was auch immer). Die Bauern boten sogar an, Ruby hereinzubringen (»die fragliche Kuh«, wie die Alte sagte), falls das Vaters Herz noch mehr erweichen könnte.
Vaters Gesicht lief rot an, als er von diesen Untaten hörte. Brithelm war ebenfalls außer sich, aber vor Mitleid. Alfrik fuhr herum und trat die arme Bulldogge, während Vater Vergeltung versprach.
»Bei meiner Ehre als Ritter«, rief er mit der Hand am Schwert aus, »ich werde nicht ruhen, bis dieses Unrecht gesühnt ist, bis der Schurke vor mir steht und seiner Bestrafung entgegensieht – und alle anderen, die etwas mit diesen schlimmen Vorkommnissen zu tun haben.«
Und nachdem die Pächter tränenüberströmt unter vielen Gott segne Euch, Sirs hinter der verwaisten Agnes und der fraglichen Kuh über die brüchige Zugbrücke, die die Diener nachlässigerweise weder reparierten noch deren maroden Zustand überhaupt bemerkten, die Wasserburg verlassen hatten, wandte sich Vater an meinen ältesten Bruder.
»Leg den Dolch weg und schau mich an, Junge.«
Ein rascher Blick verriet mir, daß der betroffene Junge Alfrik war, und ich versteckte mich wieder hinter meinem Buch, um frohlockend zu lauschen.
»Ob hier der Vater gegenüber dem Sohn seine Pflicht versäumt hat oder der Sohn gegenüber dem Vater, ist nicht zu entscheiden. Vielleicht habe ich dich in den letzten Wochen zu sanft behandelt, aber die Götter mögen mir vergeben, ich dachte, daß nichts wirklich Schlimmes aus deiner Pflichtvergessenheit entstanden war. Zwar haben wir tatsächlich die Pflichten des Gastgebers verletzt, und in alten Zeiten war keine Strafe hart genug für ein solches Versäumnis, aber da jetzt andere Zeiten herrschen, wo das Auge dazu neigt, solche Verfehlungen nicht als… Kapitalverbrechen anzusehen, dachte ich…«
Er stand auf. und im Morgenlicht schien er etwas von der Gestalt und dem Auftreten wiederzugewinnen, die er vor unserer Geburt gehabt haben mußte, als er zu den Edelsten von Küstenlund zählte. Bevor die Jahre ihn einholten, und er sich auf unser etwas abgeschiedenes Gut zurückzog.
So mußte er vor Jahren ausgesehen haben, und – bei den Göttern – er mußte beeindruckend gewesen sein! Hätte er damals gefragt, so hätte ich womöglich die ganze Geschichte hervorgesprudelt, all meine Missetaten mit dem Skorpion gebeichtet und sogar einiges, das schon Jahre zurücklag, nur weil es so aussah, als könnte er mitten durch uns hindurchsehen und würde uns noch viel härter bestrafen, wenn wir logen.
Aber Vater stellte keine Fragen mehr. »Doch das gilt nicht länger«, fuhr er fort. »Du hast etwas Schreckliches getan, das inzwischen immer schrecklicher wird. Ob Nachlässigkeit oder Schlimmeres, auf solche Taten hat allein der Maßstab eine Antwort. Der Kodex und der Maßstab.«
Vater starrte Ewigkeiten auf den Boden, bevor er weitersprach.
»Ich habe keine andere Wahl. Ich wünschte, es wäre anders, aber jetzt habe ich keine Wahl mehr.« Er erhob sein Schwert zum förmlichen Gruß von Solamnia.
»Bis Sir Bayard Blitzklinge von Vingaard, Ritter von Solamnia, den Dieb und den falschen Inhaber seiner Rüstung zurückbringt, damit wir ihn aburteilen und hinrichten können, muß ich meinen ältesten Sohn Alfrik Pfadwächter daher in den Kerker werfen. Bis wir für seinen schändlichen Beitrag zu dieser Sache eine gerechte und angemessene Strafe gefunden haben. In dieser Verlassenheit wird mein Sohn hoffentlich darüber nachdenken, welchen Anteil er an den Verbrechen hat, die den Namen unserer Familie und den des solamnischen Ordens beschmutzt haben.«
Ich muß zugeben, daß ich Vater so etwas nie zugetraut hätte. Ich sah Brithelm an, der achselzuckend zum Himmel aufschaute. Alfrik hingegen war so verblüfft, daß er nur lachen konnte. Und so lachte er zunächst, schüttelte ungläubig den Kopf und trat noch einmal nach der Bulldogge, die dann endlich zwecks Trost und Sicherheit zu Brithelm flüchtete.
Alfrik hörte erst auf zu lachen, als er begriff, daß Vater keine Witze machte, wie absurd sich die Strafe auch anhörte. Ernüchtert versuchte mein Bruder, etwas zu sagen – irgend etwas –, das seine eigene Schmach ausdrückte. Alles, was herauskam, war eine Art nasales Blöken.