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Weil ich an den Sumpf und die dortigen Illusionen dachte, schmiß ich einen Stein vor mir an die Mauern und hörte ihn von den Steinen abprallen.

Diesmal fest.

»Heißt das, daß wir hineingehen?« wimmerte Alfrik mit einem Blick nach hinten.

»Sei still, Alfrik«, schnappte Sir Ramiro. »Wir stehen schließlich vor seinen gottverdammten Toren.«

Flügelschlagen und das sanfte Gurren von Tauben kam links von der Wand herunter. Irgendwo da drüben am Haupttor des Schlosses tauchten große, tiefrote und schmutzig-metallisch glitzernde Vögel auf den Zinnen auf.

Im Schloß hörten wir Bewegungen, dann irgendwo drinnen einen schwachen Aufschrei.

Bayard zog sein Schwert, die anderen beiden Ritter desgleichen. Alfrik duckte sich hinter sein Pferd und zog sein bedrohlich langes Messer.

Bayard drehte sich zu mir um.

»Du auch«, mahnte er leise. »Es geht gleich los.« Ich zog mein Schwert.

Es ging wirklich los, aber auf neue, unerwartete Weise.

Ich war auf Satyre vorbereitet, auf andere, halb menschliche, halb tierische Wesen, wie sie der Skorpion anscheinend gern gegen seine Feinde ins Feld warf – Minotauren vielleicht oder gar Echsenmenschen, um die sich in jüngster Zeit Legenden rankten.

Aber nicht auf Zentauren.

Wegen der starken Steigung waren wir abgestiegen und führten unsere Pferde zu Fuß zum Burgtor. Da ging es auf, und zwei Zentauren traten heraus und kamen unstet und schwankend, fast wie betrunken, über den felsigen Abhang auf uns zu. Einen Augenblick fragte ich mich, ob die alten Sprichwörter über Zentauren und Wein der Wahrheit entsprachen.

Dann erreichte mich der Gestank, und ich fragte mich nichts mehr. Das war kein Wein- oder Schnapsgeruch, sondern einer nach Schimmel, nassem Gras und Verwesung. Sumpfgeruch – aber der Geruch von Verwesung unter all dem Moos und Schlamm und Vallenholz und Zedernholz – der Geruch, wenn totes Fleisch, das Luft, Feuchtigkeit und ungewöhnlich warmem Herbstwetter ausgesetzt ist, zu verrotten beginnt.

»Untote!« rief Sir Robert aus. »Von Chemosh ins Sonnenlicht gespuckt!« Er ging vorsichtig auf sie zu, Bayard und Ramiro folgten ihm.

Ich wedelte so bedrohlich wie möglich mit meinem Messer, obwohl ich keine Ahnung hatte, welchen irdischen Nutzen ein paar Schnitte bei Biestern dieser Größe haben mochten.

Ihren Kehlen entrang sich ein pfeifender Laut, als ob sie sich über das Atmen an sich lustig machten oder vergessen hatten, wie es ging.

Jetzt waren sie so nah, daß ich ihre Wunden sehen konnte.

Der sie fallen sah, Kallites und Elemon. Ich erinnerte mich an Agions Geschichte.

Mit Pfeilen bespickt, als wären sie durch eine Armee von Bogenschützen gelaufen.

Der sie fallen sah.

In der Flanke des Größeren (Kallites oder Elemon? – ich konnte mich nicht an die Einzelheiten der Geschichte erinnern) steckten noch Pfeile bis zu den Federn. Beim Kleineren sah es so aus, als würden ihm die Pfeile – mit Schaft und Federn – aus Brust und Schultern wachsen.

Meine Gefährten erhoben ihre Schwerter, als die Zentauren blindlings zwischen sie stolperten und dabei mit ihren riesigen Armen ihre Keulen schwangen.

Der größere Zentaur versetzte Sir Robert einen heftigen Schlag mit dem Unterarm. Der alte Mann wurde umgerissen und brach taumelnd an der Seite des Pfades zu einem fluchenden Haufen zusammen. In diesem Augenblick wäre Enid di Caela fast an ihr Erbe gekommen, denn das große Wesen bäumte sich auf, um mit seinen Vorderhufen Sir Robert den Schädel zu zermalmen.

Mit gezücktem Messer rannte ich auf Sir Robert zu.

Bayard hingegen schlüpfte unbemerkt – auch von mir – hinter den Zentauren und schlug ihm mit einem gewaltigen Schwerthieb beide Achillessehnen durch. Das große Vieh taumelte, stürzte auf die Seite und versuchte, wieder aufzustehen. Schon in der nächsten Sekunde blitzte Bayards Schwert wieder auf, und der Kopf des großen Zentauren rollte mehrere Meter den abfallenden Pfad hinunter.

Ramiro hatte die seltsame Anmut der Dicken – und eine Schnelligkeit und Beweglichkeit, die man bei jemandem seines Umfangs nie erwarten würde. Er nahm sich den kleineren Zentauren vor und umkreiste ihn wie ein tödlicher Fechtmeister mit vor sich ausgestrecktem Schwert. Sein erster, ernsthafter Hieb traf den taumelnden, ungeschickten Zentauren.

Der nicht fiel.

Der zischte, seine trüben, schwarzen Augen aufriß und an der Klinge entlang auf Ramiro zukam. Und zwar solange, bis die Klinge durch den Rücken wieder herauskam und er Ramiro in seiner übelriechenden, massiven Umarmung hatte.

Doch seine Arme waren nicht lang genug, um den dicken Ritter zu umfassen, viel weniger, um ihn zu zerquetschen. Rasch schüttelte Ramiro seinen Angreifer ab und zog sein Schwert zurück. Dabei machte es ein Geräusch, wie wenn man ein Messer durch eine vergammelte Melone zieht. Dann wirbelte er schnell herum und legte sein gesamtes, beträchtliches Gewicht in den nächsten Schlag.

Der Hieb war so sauber, daß der Kopf des Zentauren weiter auf seinen Schultern saß und dort einen Augenblick wackelte, ehe er herunterfiel.

Die Luft um uns war still und stank.

Sir Robert stöhnte, und seine Gelenke knackten, als Brithelm ihm aufhalf. Ramiro und Bayard steckten ihre Schwerter weg, während sie bei ihren geschlagenen Feinden standen. Und hinter uns schniefte etwas auf der Straße, das zu einem dunklen Häufchen zusammengerollt war.

»Alfrik?« rief Bayard.

»Alfrik?«

Aber es kam keine Antwort. Mein Bruder lag eingerollt und zitternd unter einer Decke auf einem Häufchen Steine. Bayard sah sich nach mir um.

»Alfrik?« fing ich an, doch ebenfalls ohne Erfolg.

»Reiß dich zusammen!« befahl Sir Robert und löste sich aus Brithelms Griff, um auf meinen verhüllten Bruder zuzulaufen. Robert di Caela neigt nicht zu Milde.

»Vielleicht«, bemerkte Alfrik einfach mit fest geschlossenen Augen, »ist diese ganze Rettungsaktion uns etwas aus der Hand geraten.«

»Das ist absurd, Alfrik«, meinte Bayard ruhig.

»Absurd und die Bemerkung eines Verräters«, murmelte Ramiro, als er sich umdrehte, um sich über Alfrik aufzubauen.

»Komm jetzt, Alfrik«, fiel ich ein. »Was glaubst du, was Enid von solcher Hysterie halten würde?« Daraufhin wickelte er sich nur noch fester in die Decke ein und zitterte noch stärker, als ob er von einem seltsamen, lebensgefährlichen Fieber befallen wäre. Brithelm legte Alfrik die Hand auf die Schulter.

Ramiro machte einen Schritt nach vorn und trat kurz gegen den Knoten aus Decke und Bruder. Alfrik grunzte, wimmerte und rollte sich noch enger ein.

Jetzt war Sir Robert dran, und wir alle fürchteten Schlimmes.

»Alfrik. Sohn.«

Keine Antwort. Sir Robert seufzte.

»Alfrik, wenn du nicht auf der Stelle da raus kommst, wirst du dem hier Rede und Antwort stehen müssen.«

Wenn etwas stärker war als Alfriks Furcht, dann war das seine Neugier. Er spähte unter seiner Decke hervor und sah Sir Robert mit dem Schwert in der Hand.

Unverzüglich war Alfrik aus der Decke heraus, und wir machten uns alle zusammen zu den Burgtoren auf. Dabei flüsterte Sir Robert Brithelm ein Urteil zu, das der Wind uns zuwehte, während wir ihnen folgten.

»Ein Glück, daß dein Bruder gekommen ist, als er gerufen wurde. Noch ein paar Minuten solcher Ungehorsam, und ich wäre gezwungen gewesen, ihn zu töten.«

Sir Robert ließ einen drohenden Blick zu Alfrik folgen, der wieder etwas zu zittern begonnen hatte. Dann wandte sich Sir Robert dem vor uns liegenden Schloß zu, und diesmal waren es seine Schultern, die bebten.

Doch von dort aus, wo ich ging, wirkte es wie das Schütteln vor Lachen, eine angenehme Erleichterung nach einem langen Nachmittag voller Sorgen.

In diesem Augenblick kam Agion aus dem Tor geschwankt. Zuerst schrien sowohl Bayard als auch ich auf vor Freude, weil wir glaubten, wir hätten uns damals im Vingaard-Gebirge in unserer Trauer geirrt. Der Dreizack durch sein großes Herz und das einfache, kleine Begräbnis hatten einfach nur in einem Alptraum stattgefunden, an den wir uns kaum noch erinnerten, als wir unseren Freund jetzt auf uns zukommen sahen.