Mit Hilfe von Sir Robert rappelte sich Bayard mühsam auf und wollte wieder auf die Tür einrennen. Alfrik ging schnell neben mich und zog mich am Ärmel.
»Da draußen ist etwas, Bruder, und ich schätze, daß es uns inzwischen im Visier hat.«
Ich war der gleichen Meinung und sagte: »Wir sollten lieber Sir Bayard ablenken, bevor er sich verletzt, und dann versuchen, durch ein Fenster einzudringen. Was uns im Schloß auch erwartet, durch diese Tür werden wir es nicht erreichen.«
Bayard krachte gegen die fragliche Tür und lag dann regungslos daneben, bevor er wieder begann, sich unter Schmerzen aufzurichten. Die Geräusche – das Schnüffeln, das Rüstungsklirren – kamen näher, und jetzt tauchten große, gehörnte Wesen dunkel im Nebel auf.
»Dämonen!« schrie Alfrik.
»Männer aus Neraka«, korrigierte Sir Robert, wobei er meinen ältesten Bruder festhielt, »mit ihren offiziellen Minotaurenhelmen. Sie rufen Kiri-Jolit an, ihre Feinde zu verjagen. Und dem Geruch nach zu urteilen, sind sie schon eine ganze Weile tot. Nimm dein Schwert, sie kommen auf uns zu. Schnell um den Bergfried. Wenn ich mich nicht irre, sind dort Fenster.«
Wir verstanden sehr gut, und liefen alle vier zur Seite, wo wir Fenster zu finden hofften. Sir Robert trampelte voraus und Alfrik nicht weniger laut rechts hinter ihm her. Ich folgte den beiden, wobei ich leise wie eine von Muriel di Caelas Katzen durch den Nebel huschte. Bayard humpelte mit blanker Klinge an hinterster Stelle.
Als wir schließlich den Ziergarten und das Fenster erreicht hatten, war nicht mehr zu leugnen, daß die Soldaten aus Neraka – oder was auch immer sie waren – Boden wettgemacht hatten. Als wir um eine Ecke bogen, glaubten wir, sie hätten uns eingeholt, und zogen die Waffen, da wir im Garten vor dem Fenster gehörnte Gestalten sahen. Doch es waren nur Sträucher in Eulenform, so daß wir uns einen Augenblick entspannten – bis wir durch den Nebel außerhalb des Gartens Schnüffeln und Bewegungen hörten.
»Weiter an der Mauer lang!« drängte Alfrik. »Hier kriegen sie uns auf jeden Fall! Es muß doch noch andere Fenster geben! Ihr müßtet das doch wissen, Sir Robert!«
»Oh, es gibt andere Fenster«, überlegte Sir Robert bedächtig, »aber auf dieser Seite keine mehr, die wir erreichen können. Hör doch: Vor uns an der Wand sind die gleichen Geräusche, vor denen wir wegrennen, seit wir sie zum erstenmal gehört haben. Ob es nun bewaffnete Männer oder Monster, Lebende oder Tote sind – wir sollten uns darauf vorbereiten, es hier mit ihnen aufzunehmen. Das Letzte, was sie erwarten, ist ein Kampf, darum ist das genau das, was sie bei uns bekommen.«
Da standen wir also und blickten einander an. Pfadwächter, Blitzklinge und di Caela.
Ganz plötzlich krachte und knackte es im Garten, als sich etwas Großes näherte und das Atmen und Schnüffeln zu leisem Grollen mit gelegentlichem Gebell wurde. Die verfaulten Kehlen versuchten, den lang vergessenen Stierschrei der nerakanischen Krieger auszustoßen.
Der Feind kam durch den Obstgarten, wobei er Zweige brach und Blätter zertrat, als er die Büsche beiseite schob, und manchmal grunzte, weil er gegen Baumstämme lief. Die Gestalten waren wie die Burgmauern im Nebeclass="underline" Sie entstanden, lösten sich auf, entstanden erneut. Aber dabei bewegten sie sich unablässig auf uns zu.
»Galen!« schnappte Bayard. »Kannst du von meinen Schultern aus das Fenster erreichen?«
Das Fenster erreichen? Meine Gefährten verlassen?
Meine Gefährten verlassen? Was für solamnische Gedanken hatten mich befallen, daß ich mich selbst verdammte, weil ich einen sicheren Ort aufsuchte? Hätte ich meine Antwort gehört, so wäre mir vielleicht jenes selbstgerechte, kleine, solamnische Zittern in meiner Stimme aufgefallen.
»Ich kann es versuchen, Sir, wenn Ihr irgendeinen tieferen Sinn darin seht.«
»Dann ab auf meine Schultern«, zischte Bayard drängend. »Wenn du drin bist, suchst du dir einen Weg zur Haupttür zurück und machst sie auf. Das sollte nicht schwierig sein. Die Gänge und Räume da drin sind wahrscheinlich ebenso ein Abbild des Stammschlosses der di Caelas wie die Fassade.«
»Ich weiß, Sir. Aber, um Humas willen, was passiert, wenn – «
»Da drin bist du auch nicht toter als hier.«
Keine besonders ermutigenden Aussichten. Da oder hier. Aber Bayard war es todernst mit der ganzen Sache.
»Faß dir ein Herz und klettere auf meine Schultern.«
Das tat ich, und überraschenderweise war es nur ein kurzer Satz zum Fenster, das mir irgendwie niedriger vorkam als Enids Fenster in Kastell di Caela. Ich sprang, packte das Fensterbrett und zog mich hinein. Der Raum vor mir war finster.
Hinter mir hörte ich Alfrik Bayard anbetteln und hörte, wie Bayard mit Nein antwortete. Alfrik sei viel zu schwer für solche Turnereien, und außerdem brauchten sie ihn für den bevorstehenden Kampf.
»Jetzt hör auf zu jammern und halt die Augen auf«, fiel Sir Robert ein. »Aus der Richtung kommen sie zuerst, oder ich will kein Taktiker sein.«
Ich legte meinen Dolch aufs Fensterbrett, stand in dem finsteren Raum und sah dann ein letztes Mal hinunter zu Bayard, der mit kampfbereitem Schwert hochblickte.
»Wir versuchen, uns wieder zur Tür durchzuschlagen«, murmelte er.
»Viel Glück, Sir«, meinte ich zaghaft.
»Los jetzt«, schoß er zurück. Dann lächelte er und zwinkerte mir zu – eine höchst unsolamnische Geste.
»Ich wünsch dir Wieselglück, Junge. Das dir, soweit ich das sehe, bisher am meisten geholfen hat.«
Ohne nachzudenken rannte ich in den unbeleuchteten Raum. Was ein Fehler war.
Ich machte nur zwei Schritte, dann sank ich bis zu den Knien in den dunklen Boden. Ich schrie nach Bayard, verschluckte den Schrei jedoch, als ich hörte, wie er durch die Gänge der Burg hallte, und als ich vor dem Fenster Rufe und Waffengeklirr vernahm. Die Geräusche schienen so weit weg zu sein.
Tiefer und tiefer sank ich ein und dachte an den Treibsand im Sumpf von Küstenlund. Ich stellte mir vor, daß ich in das Herz des Skorpions sank, darum ruderte ich wild mit den Armen auf dem Zimmerboden herum, bis ich in Armeslänge Abstand festen Stein fand. Indem ich mich wie ein Schwimmer in einem zähen, finsteren Teich durch das Nichts schob, das irgendwie fester war als Wasser, aber flüssiger als der Boden, erreichte ich schließlich den Boden und zog mich aus dem Morast. Dabei stellte ich erstaunt fest, daß ich völlig trocken war.
»Was ist das?« flüsterte ich und tastete dabei den Boden vor mir ab, um sicherzugehen, daß in dem Raum keine weiteren Fallgruben waren. Meine Hand fand eine heile Sturmlaterne, die umgefallen war.
Ich hob die Lampe auf und tastete in meiner Tasche nach dem Zunderkästchen, förderte aber nur die Handschuhe zutage. Fluchend wie ein Stallknecht machte ich mich in die ungefähre Richtung der Tür auf – zumindest dorthin, wo im entsprechenden Raum von Kastell di Caela Enids Tür war. Wie eine Riesenkrabbe schob ich mich über den dunklen Boden und tastete vor mir alles nach weiteren Plätzen ab, die nicht ganz fest sein mochten.
Ich fand die Tür durch das Licht, das unter ihr durchschien. Der Gang davor war in unheimliches Fackellicht getaucht, entsprach aber ansonsten dem in Kastell di Caela. Doch auf den zweiten Blick war etwas anders. Irgendein Detail fehlte.
Nach knapp fünf vorsichtigen Schritten den Gang entlang fiel es mir ein. Die mechanischen Vögel. Jene, die Enid während ihrer verwöhnten Kindertage verrückt gemacht hatten.
Die Gänge des Schlupfwinkels des Skorpions waren still.
Ich hockte mich hin und sah nach vorn und hinten den Korridor entlang. Dabei bemerkte ich, daß die Wände hin und wieder rotierten, als wären knapp faustgroße Wirbel wie bizarre Ornamente in sie eingelassen. Die Wirbel drehten sich hypnotisierend im Uhrzeigersinn. Sie waren so grau wie die Steine drumherum, doch in sich flüssig und schimmerten auch wie eine Flüssigkeit, wenn sie das Fackellicht aufnahmen und zurückwarfen.
Wände, die einen vollständig verschlucken konnten wie der Boden.