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Ich schrak davor zurück und setzte mich in die Mitte des Ganges, so daß die spiralenförmigen Dinger in der Wand auf sichere Armeslänge entfernt waren.

Ich schickte einen Seufzer durch den Gang, wo er sich mit einem fernen, merkwürdigen, doch entnervend bekannten Geräusch vermischte.

Ein Surren und Zirpen.

Also gab es doch mindestens einen.

Es war reine Neugier, Interesse an fremden Häusern, fremder Einrichtung und Dekoration, die mich dem Klang des Kunstvogels nachgehen ließen. Das und das Wissen, daß das Geräusch aus der Richtung der großen Galerie kam, unter der der Haupteingang der Burg lag, die Tür, die ich für Bayard entriegeln mußte.

Weil ich mich auf meine Erinnerungen an das Äußere des Schlosses verlassen konnte, fiel mir die Orientierung nicht schwer. Am Ende des Ganges traf ich auf einen größeren, breiteren Korridor. Beim Gehen musterte ich ständig achtsam den Boden, um bloß nicht in einen dieser Wirbel aus flüssigem Stein zu treten. Der breite Gang führte direkt zur Galerie, wo ich meine Hände erst vorsichtig auf das Geländer legte, bevor ich darauf vertraute, daß sie mein Gewicht tragen würde.

Danach kam ich rechts in den Gang mit den marmornen di Caela-Statuen, die jedoch anders waren als die bei Sir Robert Verewigten.

Das hier war die Familie in ihren schlimmsten Zeiten.

Denn hier ruhte Muriel di Caela auf einem Marmordiwan mit Marmorkatzen am Hals, an den Augen und an der Brust. Es war noch greulicher, weil alles so glatt und weiß war.

Und Denis di Caela mit einer Marmorratte in einem Marmorkäfig. Ganz zu schweigen von Simon di Caela, der zufrieden als riesige, weiße Eidechse ein ewiges Sonnenbad nahm.

Es war regelrecht obszön.

Sie alle wurden von einer weiteren Statue überragt, die ich noch nie gesehen hatte – die eines Mannes mit Kapuze auf einem skelettartigen Thron mit gemeißelten Skorpionen auf den Thronlehnen und den Armen des Mannes.

Der alte Benedikt di Caela. Hier, im Dunkel der brüderlichen Vernachlässigung, saß er auf dem Thron.

Ich kam an der Tür vorbei, die in einer sichereren Welt, an die ich mich liebevoll und geradezu verzweifelt erinnerte, Danielles war. Dann nahm ich den rechten Gang, wich einem Wirbel aus, dann nach links, dann nach rechts, bis ich vor dem Gang stand, wo zu meiner Rechten die Belagerung von Ergod für immer in Farbe eingefroren an der Wand tobte.

Am Ende dieses Ganges ratterte und pfiff, pfiff und ratterte wieder der mechanische Vogel.

Als der Vogel eine Pause einlegte, vernahm ich Stimmen. Zwei Stimmen, beide laut und wütend, die durch die Tür gegenüber des Wandbilds drangen.

Die Tür, die in Kastell di Caela auf den Balkon geführt hatte, von dem aus man den großen Saal überblicken konnte.

Ich machte die Tür einen Spalt weit auf, sah Dunkelheit und roch teuren Stoff und den muffigen Geruch von Zerfall. Ansonsten nur Dunkelheit und die Stimmen, die ich jetzt deutlicher hörte.

Eine war süß und hoch und melodisch, die andere tief und melodisch und tödlich.

Enid und der Skorpion.

Offensichtlich vertrugen sie sich nicht.

Ich stand keine sechs Fuß von den Vorhängen entfernt, die denen von Kastell di Caela bis hin zum Samt und zur Stickerei ähnelten – so weit ich das im grauen Zwielicht auf dem Balkon erkennen konnte. Hinter diesen Vorhängen hoben und senkten sich die Stimmen im Duett des Streits.

Ich machte die Tür hinter mir zu.

»Denk dran, du bist meine Gefangene, Liebling.« Die Stimme des Skorpions erhob sich kalt und drohend.

Enid – gesegnet sei ihr Mut – war nicht im mindesten eingeschüchtert.

»Du kannst nicht beide Seiten haben, Vetter Benedikt. Entweder bin ich deine Geisel, dann mußt du mich hinter Schloß und Riegel einsperren, wie das bei Geiseln so üblich ist; oder ich bin das einzigartige, wenn auch zurückhaltende Ziel deiner Träume und dann liegst du mir nicht mehr am Herzen als diese tickenden Untiere vor der Tür.«

»Und wenn ich dich losbinde, Lady Enid?« Die Stimme des Skorpions nahm wieder die alten Töne auf – weich, honigsüß und furchtbar einladend. »Wenn ich das tue, würdest du mich dann etwas mehr… schätzen?«

Langsam kroch ich zur Öffnung des Vorhangs, zu der mich ein dünner Lichtspalt führte. Weil ich mich immer noch an meine Abenteuer in den Zimmern und Gängen und an Alfriks Sturz vom Balkon erinnerte, wo Stein Stein und Vorhang Vorhang gewesen war, tastete ich den Boden vor mir mit den Händen ab.

Sie antwortete, als ich den Stoff berührte und anfing, den schweren Samt ganz, ganz vorsichtig beiseite zu ziehen. Enids Stimme wurde noch lauter, denn sie wurde von einer Welle von Zorn und Belustigung getragen.

»Oh, Benedikt, Benedikt. Du könntest mich losbinden und mich in deinem Schloß frei herumlaufen lassen, und du wärst mir immer noch gleichgültig. Allerdings würde ich dieses Entgegenkommen zu schätzen wissen und Sir Robert vielleicht bitten, weniger streng mit dir umzuspringen, wenn er mich retten kommt.«

Sie bluffte, aber sie bluffte gut und gezielt. Als ich durch die Vorhänge lugte, sah ich die beiden.

Enid saß blond und braunäugig und überwältigend schön – darüber hinaus furchtlos und überwältigend wütend – auf einem Holzstuhl mit hoher Rückenlehne.

Ihr gegenüber hockte der alte Benedikt – der Skorpion aus meinen Ängsten und Alpträumen – mit Kapuze auf seinem Skeletthron, der irgendwie kleiner, mickriger und weniger bedrohlich wirkte.

»Sir Robert! Sir Robert!« rief der Skorpion spöttisch. »Liebling, dein Vater ist ein prahlerischer, leichtsinniger Dummkopf.«

»Weshalb du seine Tochter rauben mußtest, anstatt ihm direkt gegenüberzutreten«, antwortete Enid freundlich ironisch.

»Du glaubst, er kommt dich retten. Oh, ja, Lady Enid, er wird meinen Soldaten in die Arme laufen, mitten in die Pfeile und Klingen der toten Männer aus Neraka – den ›Generationen vom Gras‹ aus der Prophezeiung. Er wird den Stich des Skorpions zu spüren kriegen, meine Süße.«

Der Skorpion lehnte sich in seinem Thron zurück und lachte volltönend und giftig. Aus den Falten seiner Robe zog er etwas Glänzendes, Glitzerndes, und er begann zu reden, während er das Pendel ins Licht hielt und es wie ein billiger Jahrmarktshypnotiseur hin und her schwang.

Ich übersah den grauen Wirbelstein an der Balkonbrüstung und konnte mich nur noch am Vorhang festhalten, als ich einbrach. Mein erstickter Schreckensschrei war nicht erstickt genug. Sowohl Enid als auch der Skorpion sahen von ihren Plätzen im großen Saal zu mir hinauf.

Jetzt erst sah ich, daß Enids Hände eindeutig an ihre Stuhllehnen gefesselt waren. Und die Augen des Skorpions glühten rot, dann blau, dann weiß.

»Willkommen, Wiesel«, schnurrte er, während er seine Lehne so fest umklammerte, daß seine Knöchel ganz weiß wurden. »Wir wollten gerade besprechen, was… aus dir werden soll.«

19

»Wir können das alles gerne später besprechen, wenn Ihr mögt«, bot ich an, doch davon wollte der Skorpion nichts wissen. Er beugte sich auf seinem Thron nach vorne, und seine Augen tanzten spiralig durch alle Farben des Feuers, bis sie so weiß waren wie das Zentrum des Feuers.

»Ich glaube, ich brauche dich nicht mehr«, schnarrte er. Ohne die tödliche Melodie darin klang seine Stimme irgendwie rauh und nur entfernt menschlich. Hier waren wir auf seinem Land, wo er keine Masken mehr brauchte.

Mit dem goldenen Pendel in der Hand, das von seinem blassen Zeigefinger baumelte, zeigte er vor mir auf den Boden.

Der Punkt auf dem Boden, auf den er zeigte, begann sich zu drehen, zu verändern und zu glitzern, so ähnlich wie die Wände und Böden der Gänge, durch die ich gekommen war. Aber dieser Wirbel war schwarz, er hatte nicht das Schiefergrau von Wänden und Böden.

Ich blinzelte und sah genauer hin.

Unter mir bedeckte ein Teppich aus Skorpionen den Boden. Im Fackellicht krochen sie glitzernd mit den erhobenen Giftstacheln herum. Wenn ich da rein fiel, würde ich noch auf dem Weg nach unten darum beten, daß der Fall selbst tödlich wäre.