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Alfrik riß sich von Sir Robert los, wobei er eine Handvoll rote Haare einbüßte, und sprang augenblicklich zur Tür hinaus – nur um schamrot zurückzukommen, als aus dem Gang weitere Geräusche kamen. Der erstickte, fast blökende Schlachtruf weiterer untoter Soldaten.

Ich begann, am Vorhang hochzuklettern, suchte auf dem Balkon nach Halt und fand auch einen festen Punkt, nachdem ich eine endlose Minute mit dem Fuß in der Luft herumgetastet hatte. Aber aus dieser Höhe konnte ich keine Unterstützung leisten, während die Zahl unserer Gegner wuchs.

Bayard und Sir Robert standen Rücken an Rücken, so daß die beiden den gesamten Saal und den Gang nach draußen überblicken konnten. Alfrik versuchte vergeblich, sich noch dazwischen zu quetschen. Sir Robert stieß ihn warnend mit dem Ellbogen weg: »Halte selbst die Stellung, Bursche! Jetzt brauchen wir selbst das armseligste Schwert!«

Alfrik jaulte und zog sein Schwert. Unaufhaltsam schloß sich der Kreis der nerakanischen Soldaten um meine Gefährten.

Inzwischen war der Skorpion von seinem Thron aufgestanden und zu Enids Stuhl gegangen, wo er ihr in aller Ruhe die Handgelenke losband. Obwohl sie die Wesen, die der Skorpion aus dem Boden gerufen hatte, offensichtlich beunruhigten, hatte sie nicht vor, in Ohnmacht zu fallen oder zu schreien. Statt dessen versetzte sie ihrem Entführer einen solchen Stoß gegen die Brust, daß er rückwärts taumelte und das Mädchen nur durch schlangenschnellen Zugriff am Entkommen hindern konnte.

»Komm mit«, sagte der Skorpion, während er die widerstrebende Enid auf das Podest zurückzog, wo der Dolch wartend auf der Armlehne lag. Ein wisperndes Meer von schwarzen Skorpionen versammelte sich um sie herum und teilte sich, um einen Weg vom einen zum anderen Platz freizugeben.

»Auf das Podest, Liebchen«, krächzte er.

In diesem Moment – zu spät, wie ich befürchtete, aber dennoch rasch – begann Bayard Blitzklinge, sich einen Weg durch die Männer aus Neraka zu bahnen. Eile schadet oft der Treffsicherheit eines Schwertkämpfers, doch die Wut spornte Bayard so an, daß er blindlings drauflos schlug. Im nächsten Augenblick waren fünf Nerakaner seinem Schwert zum Opfer gefallen, und Sir Robert blieb nichts anderes übrig, als dem jüngeren Ritter zu folgen. Alfrik wiederum folgte mit bleicher Miene Sir Robert, wobei sein Schwert in der ausgestreckten Hand zitterte.

Die Schreie, das Stöhnen, das Bellen, alles legte sich. Der Saal war still bis auf das Schlurfen längst toter Füße, das Wimmeln der Skorpione und den Klang von Bayards Schwert, das immer wieder sein Ziel fand.

Es war, als hätten sich die Nerakaner zur Hinrichtung aufgestellt. Aber auf halbem Wege durch die untoten Soldaten wurde Bayard langsamer, weil sich Körper über Körper türmte und die Nerakaner vor ihm in Bewegung kamen. Sie wichen zurück, stießen sich gegenseitig um und wurden von denen nach vorne geschoben, die sich hinter ihnen in den Kampf stürzten. Sie schraken vor ihm zurück, als würde dieser entsetzliche, strahlende Held vor ihnen sie immer noch einschüchtern, obwohl sie doch schon durch den Tod gegangen waren.

Hinter der Wand aus dem lebenden, fauligen Fleisch seiner Legion erhob der Skorpion sein Messer.

»Wartet!« rief ich, und meine Stimme klang beschämend piepsig und schrill in dem großen Saal. Bayards Schwert hielt inne, und Sir Robert stand wie angewurzelt hinter ihm, wobei seine Hand sich in schweigender Pein nach dem Skorpion ausstreckte. Die Soldaten von Neraka senkten die Waffen und starrten stumm und leblos ihren Führer an, der auf der Plattform stand.

Einen Augenblick hielt der Skorpion inne. Das rote Licht in seinen Augen flackerte, als er zu mir hochschaute.

Wieder einmal versuchte ich, durch Worte Zeit zu schinden, und hoffte inständig, daß Bayard sich etwas gewaltig Heldenhaftes ausdenken würde, ehe mir der Atem und die Argumente ausgingen.

»Ihr glaubt, Ihr hättet die Prophezeiung enträtselt, ohne daß eine Zeile unklar und ungelöst bleibt?«

Ich sah zu Bayard, der mich ansah und das Schwert über dem Kopf erhoben hatte.

Beweg dich, Bayard. Schnell, wie eine zuschnappende Schlange. Laß ihn sehen, was ein bißchen solamnische Kühnheit in diesem Nest von Skorpionen ausrichten kann!

Das dachte und hoffte ich, doch Bayard rührte sich nicht. Und der Dolch des Skorpions hing weiter über Enid.

»Und wenn Ihr Euch irrt, Benedikt? Schließlich habt Ihr bewiesen, daß Bayard die Prophezeiung völlig falsch verstanden hat. So wie anscheinend auch Sir Robert. Aber wenn Ihr Euch nun auch irrt? Was ist, wenn dieses kleine Versstückchen von Euch allen mißverstanden wurde – Bayard, Robert und Benedikt –, und wenn es noch eine Lösung für die Reime und die Vorhersagen gibt?

Letztlich tötet Ihr die Braut, ja, aber damit endet nicht das Geschlecht. Sir Robert kann noch mehr Kinder zeugen, mehr di Caelas, die Euch jedes Mal niederringen werden, wenn Ihr wiederkehrt, um Euer Erbe einzufordern.«

»Deshalb habe ich sie ja hierher gebracht, du Dummkopf!« posaunte der Skorpion heraus. »Jetzt sind alle di Caelas unter meinem Dach, und mit ihnen geht das Geschlecht unter!«

»Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht«, erwiderte ich triumphierend. Mir war gerade eine neue Idee gekommen, und so, wie ich das sah, konnte sie genauso wahr sein wie jede andere Geschichte, jedes Gedicht und jede Prophezeiung, die ich bisher gehört hatte. Denn während meine Gedanken sich überschlugen, waren sie im Lampenschein eines Fensters hängengeblieben, an einem blassen, winkenden Arm.

»Habt Ihr noch nichts von Danielle di Caela gehört, Sir?«

Die Hand mit dem Dolch bebte. Bayard wollte auf die Plattform stürmen, doch der Skorpion fuhr herum, zog Enid an sich und hielt ihr den Dolch an die Kehle. Wieder begannen die Kreaturen zu seinen Füßen herumzukrabbeln und zu zirpen.

»Zurück, Solamnier! Ob Prophezeiung oder nicht, wenn du einen Schritt näher kommst, schicke ich dieses Mädchen zu Hiddukel!«

»Dann fällt trotzdem alles ›an eine Maid‹, Benedikt«, beharrte ich schnell. »Denn wenn Ihr Enid tötet, wer anders als Danielle di Caela wird dann Sir Roberts Erbe antreten?«

»Nein«, sagte der Skorpion ruhig. Er drückte Enid so fest an sich, daß sie aufschrie und ihn damit erschreckte. Einen Augenblick lang ließ er los, so daß sie sich von seinem Arm losreißen konnte.

Enid di Caela aber war die Tochter ihres Vaters – keine hilflose, bedrängte Maid. Sie verpaßte dem Skorpion einen solchen Tritt vors Schienbein, daß er taumelnd zur Mitte der Plattform zurückwich, wo er sich an der Thronlehne festhielt, um sein Gleichgewicht wiederzuerlangen.

Das kurze Taumeln war alles, was sie brauchte. Enid schlüpfte durch die unorganisierten Nerakaner in die Arme ihres Vaters, während Bayard schnell zwischen sie und die grausige Armee des Skorpions trat.

»Tötet sie!« kreischte der Skorpion und zeigte mit seinem knochigen Finger auf die fliehende Enid, doch es war zu spät. Das Mädchen war in den Schutz von Bayard Blitzklinge zurückgekehrt, der vier Nerakaner so schnell erledigte, daß die Klinge nicht einmal mehr surrte, sondern unsichtbar wurde. Nur der Haufen Körper zwischen Bayard und dem Skorpion erlaubte es dem Schurken, umgeben von seinen knackenden, schwarzen Dienern zur jenseitigen Tür des großen Saals zu rennen.

Ich kletterte jauchzend am Vorhang hinunter, allerdings immer noch langsam, um das Gewebe auf Festigkeit und Ungeziefer zu prüfen.

Einen Augenblick lang sah es so aus, als würde der Skorpion entkommen. Bayard stieß einen weiteren Nerakaner zu Boden, duckte sich vor dem Hieb eines anderen und köpfte einen dritten mit einer raschen, blitzenden Bewegung seines Schwertarms. Nachdem Sir Robert einen langsamen Schlag von einem nerakanischen Krummschwert pariert hatte, schlug er die Hand ab, die es gehalten hatte. Der untote Soldat fiel auf die Knie, und Alfrik, der sich bei dem neuerlichen Ausbruch des Kampfes hinter Enid versteckt hatte, sprang hinter den halberledigten Nerakaner und stach ihm in den Rücken.