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Er pfiff, und Valorus kam – seinem Namen getreu – gefolgt von den anderen Pferden aus den Felsen galoppiert. Der große Hengst war ruhig und gehorsam, doch die anderen waren der Panik nahe, schnaubten, schäumten und verdrehten die Augen. Als das Erdbeben begonnen hatte und die ersten Steine herunterprasselten, waren sie instinktiv dem Leithengst gefolgt – der glücklicherweise erstaunlich gelassen geblieben war. Nur ein Pferd und die Maultiere, die bis zuletzt störrisch waren, fielen dem Erdbeben zum Opfer.

In die aufgebrochene Erde marschierten oder kippten die toten Menschen. Sie kehrten in die Stille zurück, den Frieden, den jeder von ihnen, ob Nerakaner oder Solamnier, vor einer Generation so überaus kostspielig für sich errungen hatte. Der Erdboden schloß sich über ihnen und brodelte weiter, während meine Gefährten taten, was sie konnten, um ihre Tiere zu beruhigen, aufzusitzen und loszureiten.»Bayard!« schrie ich, als er Enid auf Valorus schwang. Mit seiner Dame hinter sich kümmerte er sich um die Sicherheit der anderen. Auf Valorus war also kein Platz mehr. Meine Brüder saßen zu zweit auf Brithelms Pferd, denn Alfriks Maultier war irgendwohin verschwunden. Bayard versetzte dem Pferd einen Schlag aufs Hinterteil und schickte so die beiden älteren Pfadwächter in gestrecktem Galopp über den bebenden Felsboden nach Westen in Sicherheit, dicht gefolgt von Sir Ramiro, der für mein kleines Packpferd schon schwer genug war. Die Stute hatte schwer an ihm zu schleppen.

»Spring, Junge!« rief Sir Robert zu mir hoch und stellte sich auf der tänzelnden Estrella in den Steigbügeln auf, als der Balkon, von dem ich wie der Kristall des Pendels herunterbaumelte, allmählich wankte und gefährlich knackte und zitterte.

»Nicht so nah, Sir Robert!« schrie Bayard. »Es bricht jede Sekunde zusammen! Schwing dich am Vorhang weg, Galen! Schwing dich zu Sir Robert rüber!« Der zähe, alte Ritter öffnete die Arme und nickte drängend. Ich begann, am Vorhang hin und her zu schwingen und kam höher und höher, während der Balkon über mir immer mehr aufribbelte.

Vor und zurück, vor und zurück schaukelte ich, bis ich schließlich losließ, weil hinter mir etwas einstürzte. Wie ein fliegendes Wiesel schoß ich durch die Luft genau auf Sir Robert di Caela zu, der mich auf jeden Fall auffangen und aus dem ganzen Chaos sicher in die Ebene bringen würde.

Ich hatte nicht mit Estrella gerechnet, die sich vor einem neuerlichen Beben unter ihren Hufen erschreckte und im unglücklichsten Moment nervös einen Satz nach vorn machte. Sir Robert langte verzweifelt nach hinten, doch seine Stute war zu weit gesprungen.

Der felsige Boden kam mir entgegen. Und die Finsternis.

Epilog

Mit Kopfverletzungen ist das so eine Sache, wie Bayard mir von seiner Zeit im Vingaard-Gebirge hätte berichten können. Darum sind meine Erinnerungen über alles, was nach dem Fall aus dem Nest des Skorpions geschah, etwas lückenhaft. Eigentlich funktionierte mein Gedächtnis erst wieder zuverlässig, als wir in Kastell di Caela waren und Vorbereitungen für das Hochzeitsbankett getroffen wurden.

Aber folgendes ist geschehen, soweit ich das aus Bayards Berichten und Alfriks grollenden Informationen, dem wenigen Zuverlässigen aus Brithelms Erzählungen und meinen eigenen, bruchstückhaften Erinnerungen zusammensetzen kann.

Als der Skorpion auf den Saalboden stürzte und von seinen blind zustechenden Dienern bedeckt wurde, und als das Schloß einstürzte, sahen wir eilig zu, das zu machen, was wir schon in Kastell di Caela hatten tun wollen – der Zerstörungswut des Skorpions zu entkommen und das Mädchen in Sicherheit zu bringen, um das sich die ganze Prophezeiung rankte.

Die Felsen von Chaktamir stürzten in die Schlucht und begruben den Skorpion und seine Skorpione, seinen Schlupfwinkel und all die Toten, die Nerakaner und die Solamnier. Alles ruhte in Frieden. Dann rasteten wir, und Sir Robert, der mich wie einen eingerollten Teppich unter den Arm geklemmt hatte, setzte mich ab. Bewußtlos glitt ich in die wartenden Arme von Brithelm und Enid.

Enid. Wäre ich bei Bewußtsein gewesen, so wäre ich vor verschämtem Entzücken rot geworden. Doch Enid ließ mich mit einem leisen Protestruf fallen. Das war das erste, was ich hörte, als der Sturz mich weckte. Dort, in den friedlichen Vorbergen von Estwilde, hätte Sir Ramiro um ein Haar Alfrik erledigt. Sie waren sich zwar einig gewesen, daß Bayard bei der Einnahme des Skorpionschlosses der wahre Held gewesen war, doch ihr Streit, wem der zweite Rang gebührte, war anscheinend von Anpflaumen zu offener Aggression übergegangen.

Beide schnauften vor Erschöpfung und Wut und waren rot vor Scham, als Enid selbst sie auseinander zog.

Dann folgte eine lange Prozedur von Wiederaufwärmen und Versöhnungen. Und bald gerieten Alfrik und Sir Robert aneinander. Wie man mir erzählte. Denn ich lag immer noch zerschunden auf dem Boden und brabbelte etwas von Zentauren und ihrer Gewohnheit, Leute zu ertränken, und fragte nach meinen Würfeln.

Erst als wir die Berge verlassen hatten, fiel mir ein, daß ich die kleinen, roten Propheten irgendwo in dem unwegsamen Gelände zurückgelassen hatte. Zweifellos liegen sie bis heute irgendwo in den Ausläufern der Berge von Estwilde.

Ich bat Bayard, anzuhalten und mit mir nach den Calantina-Würfeln zu suchen, aber er wollte nichts von »diesem Quatsch« hören. Er sagte, ich wäre aus den Spielchen herausgewachsen.

Ich neigte dazu, ihm recht zu geben. Was soll ich schon mit der Zukunft anfangen, auch wenn es meine Hände immer noch nach den roten Würfeln und den hölzernen Versen juckt? Obwohl sie die Dinge nicht erklärten, die geschahen, gaben sie einem doch eine Erklärung, in die man diese Sachen einfügen konnte, um sich dann besser zu fühlen.

Ich habe das Wahrsagen gelassen und vorläufig auch das Intrigieren.

Der Funke, der der allgemeinen Erwartung zufolge zwischen Bayard und Enid überspringen mußte, schaffte es schließlich auf der langen Rückreise nach Kastell di Caela. Funken flogen auch zwischen Sir Ramiro und Alfrik. Das Prahlen und Aufschneiden meines Bruders gefielen dem alten Ritter nach so vielen Meilen nicht besser. Noch am Tor von Kastell di Caela wurde Sir Roberts Vermittlungsgeschick gebraucht, weil Sir Ramiro Alfrik vom Pferd in den Wassergraben gestoßen hatte, einfach weil mein ältester Bruder »eine Visage hätte, die es verdient hat, im Graben zu landen«.

Er behauptete außerdem, daß Alfriks Gesicht sich besser auf einer Pike auf den Zinnen machen würde.

Alfrik überlebte es gerade so eben, aus dem Wasser gefischt zu werden, und kaum war seine Rüstung trocken, war er auch schon auf dem Heimweg nach Küstenlund. Zweifellos träumte er von dem Blick von einer Pike aus. Er jammerte ein wenig bei dem Gedanken, Vater in der jetzt zerbeulten Rüstung unter die Augen zu treten, die er aus der Wasserburg gestohlen hatte. Zweifellos hatte der alte Herr daraufhin das ganze Land durchkämmt und in Abwesenheit seines Ältesten den Sumpf trockengelegt, nur aus Furcht, daß Entführung, Ertrinken oder pure Dummheit ihm seinen Erben geraubt hätten.

Der Empfang würde nicht gerade herzlich sein.

Meine Erleichterung über Alfriks Abzug vermischte sich mit Traurigkeit, weil Brithelm ihn begleitete und ich auch die Gesellschaft meines Lieblingsbruders verlor. Brithelm sollte bis zum Sumpf von Küstenlund mit Alfrik reiten. Dort wollte er anhalten und die Einsiedelei gründen, nach der er sich während unserer gefahrvollen Jagd nach dem Skorpion gesehnt hatte.

Doch als meine Brüder die Berge überquert hatten und in die Ebenen meiner Heimat kamen, entdeckten sie – eigentlich zu niemandes Überraschung –, daß der Sumpf von Küstenlund verschwunden war.

Zentauren und Bauern waren sich einig: Baum um Baum und Schlingpflanze um Schlingpflanze war der Sumpf immer weiter zurückgegangen, bis nur noch ein komisches Haus auf Stelzen übrig war, das von allen anderen meilenweit entfernt war und immer noch nach Ziege und Fäulnis und etwas anderem roch, das nach Aussagen der Zentauren noch schlimmer war als diese anderen üblen Gerüche. Daher eskortierte Brithelm seinen älteren Bruder den ganzen Weg bis zur Wasserburg, wo er ein paar Tage lang beruhigend auf Vater einwirkte, der – wie ich vermutet hatte – nicht so zufrieden mit Alfrik war.