Nachdem das geschafft war, zog Brithelm erneut nach Osten, um sich zwischen den riesigen Steingebilden im Vingaard-Gebirge niederzulassen, wo Bayard, Agion und ich eine Nacht verbracht hatten, und wo ich zum erstenmal von der Prophezeiung aus dem Buch von Vinas Solamnus gehört hatte.
Auch wenn ich nie im Leben zu dem Ort zurückfand, wo Brithelm zum Einsiedler wurde, und auch wenn Bayard geschworen hatte, nie den Weg zu diesem Ort zu verraten, glaube ich fest daran, daß mein Bruder sicher und in guten Händen ist. Etwas abwesend und blöd vielleicht, aber sicher und zuverlässig, falls wieder schwierige Zeiten nahen.
Schwierige Zeiten hatten, soweit ich weiß, eine Weile in der Wasserburg geherrscht. Nachdem er den armen Alfrik kurze Zeit eingesperrt hatte, ließ Vater ihn wieder frei und trainiert ihn jetzt täglich zum Knappen. Wie ich höre, hat Alfrik keine Zeit, die Dienstboten zu schinden oder Wein in sein Zimmer zu schmuggeln, und ich weiß aus sicherer Quelle, daß Gileandos seit der Rückkehr meines Bruders erst einmal in Flammen aufgegangen ist. Denn da hatte sein Ärmel im selbstgebauten Destillierlabor Feuer gefangen. Für diesen Unfall gab man Alfrik nicht die Schuld.
Ich hingegen hatte das perfekte Alibi: Ich war meilenweit weg in Solamnia.
Wer weiß, vielleicht ändert sich Alfrik eines Tages und wird ein halbwegs vorzeigbarer Knappe. In ein paar Jahren, wenn ich Ritter bin und jemanden brauche, der mein Pferd versorgt und mir Schwert und Rüstung poliert, reite ich vielleicht nach Küstenlund und rede mit Vater, ob ich seinen Ältesten und Erben dafür bekomme. Ich habe nichts gegen einen Knappen, der auf die Dreißig zugeht – ich kann viel verzeihen, selbst eine etwas langsame Auffassungsgabe.
Und außerdem würde es sein liebes Bruderherz ganz besonders wurmen, mein Knappe zu sein.
Es überrascht den Leser vielleicht, daß ich die Ritterschaft anstrebe, nachdem ich so viele schlimme Dinge über den Orden gesagt und gedacht habe. Nun, ich tu’s, weil ich gar keine Wahl habe, wenn ich das beträchtliche Erbe antreten will, das ich als Belohnung bekomme.
Denn schließlich werde ich nach dem heutigen Bankett und den Zeremonien Galen Pfadwächter Blitzklinge, angenommener Sohn und Erbe von Sir Bayard Blitzklinge.
Ende des Monats nach einem weiteren Bankett und weiteren, noch längeren und noch langweiligeren Zeremonien werde ich Galen Pfadwächter di Caela Blitzklinge, wenn Stiefvater und Stiefmutter endlich heiraten.
Die Werbung verlief scheu und anfangs geradezu lächerlich, denn beide, Bayard und Enid, hatten ihr Leben immer von der Prophezeiung und der Familiengeschichte leiten lassen und hatten überhaupt keine Ahnung, wie sie einander umwerben sollten.
Bayard wollte mich sogar um Hilfe bitten, um ein Liebeslied für Enid zu schreiben. Allerdings nur, bis ich ihm erklärte, wie wirksam meine Dichtkunst in der Nacht gewesen war, wo Alfrik sein Glück versucht hatte. Bayard beschloß, daß ich Unglück brächte und fragte mich in Herzenssachen nicht wieder um Rat.
Obwohl es so umständlich ging, verliebten sich die beiden dennoch. Es war erst eine Woche in Kastell di Caela vergangen, als sie »sich die Ehe versprachen«, wie es heißt, und Sir Robert und Bayard schon Pläne für die Hochzeit schmiedeten. Ich merkte, wie Danielle dämlich in meine Richtung schaute und zog deshalb in Lady Muriels Katzenturm um, wie ich ihn nannte, um so weit wie möglich aus der ehelichen Schußlinie zu sein.
Trotzdem konnte es nichts schaden, Danielle zum Hochzeitsbankett zu geleiten, wo das arme Mädchen seinen gehüteten Augapfel in solamnischem Prunk sehen konnte. Besonders nachdem ich sie da oben fast verkauft hatte, indem ich ihren Namen vor dem Skorpion erwähnte, um dessen wirklich dramatisches Vorhaben zu unterbrechen.
Außerdem ist sie ein hübsches, gescheites Ding. Solange es nicht ans Heiraten geht, sollte ich mit ihr wohl fertig werden.
Noch zwei Stunden, bis ich die rotgelbe Robe anlege, die Farben meiner neuen Familie, und durch den großen Festsaal von Kastell di Caela marschiere, wie ich in jener, lang zurückliegenden Nacht so viele Ritter hatte marschieren sehen.
Unten bereiten sie alles vor. Durch meine offene Tür hört man Geschirr und Besteck klappern, weil gerade die Eichentische im großen Saal gedeckt werden. Es ist ein feierlicher, festlicher Abend, der bevorsteht. Ein Abend mit Bankett.
Auf den ich mich von Herzen freue.
Aber wenn vorher noch jemand mit Vorschlägen oder Bestechungen oder Versprechungen oder Drohungen irgendwelcher Art in mein Zimmer kommt, dann sage ich: »Nein, danke, aus dem Geschäft ziehe ich mich gerade zurück.«
Ich habe den Bogen meines Glücks und meiner Geschichte so weit gespannt, wie es nur geht.