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Manchmal kann die Idylle auch die Hölle sein. Wie das Dorf »Unterleuten« irgendwo in Brandenburg. Wer nur einen flüchtigen Blick auf das Dorf wirft, ist bezaubert von den altertümlichen Namen der Nachbargemeinden, von den schrulligen Originalen, die den Ort nach der Wende prägen, von der unberührten Natur mit den seltenen Vogelarten, von den kleinen Häusern, die sich Stadtflüchtlinge aus Berlin gerne kaufen, um sich den Traum von einem unschuldigen und unverdorbenen Leben außerhalb der Hauptstadthektik zu erfüllen. Doch als eine Investmentfirma einen Windpark in unmittelbarer Nähe der Ortschaft errichten will, brechen Streitigkeiten wieder auf, die lange Zeit unterdrückt wurden. Denn da ist nicht nur der Gegensatz zwischen den neu zugezogenen Berliner Aussteigern, die mit großstädtischer Selbstgerechtigkeit und Arroganz und wenig Sensibilität in sämtliche Fettnäpfchen der Provinz treten. Da ist auch der nach wie vor untergründig schwelende Konflikt zwischen Wendegewinnern und Wendeverlierern. Kein Wunder, dass im Dorf schon bald die Hölle los ist …

Mit »Unterleuten« hat Juli Zeh einen großen Gesellschaftsroman über die wichtigen Fragen unserer Zeit geschrieben, der sich hochspannend wie ein Thriller liest. Gibt es im 21. Jahrhundert noch eine Moral jenseits des Eigeninteresses? Woran glauben wir? Und wie kommt es, dass immer alle nur das Beste wollen und am Ende trotzdem Schreckliches passiert? Mehr zum Roman auf www.unterleuten.de.

Zur Autorin

Juli Zeh, 1974 in Bonn geboren, Jurastudium inPassau und Leipzig, Studium des Europa- und Völkerrechts, Promotion. Längere Aufenthalte in New York und Krakau. Schon ihr Debütroman »Adler und Engel« (2001) wurde zu einem Welterfolg, inzwischen sind ihre Romane in 35 Sprachen übersetzt. Juli Zeh wurde für ihr Werk vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Rauriser Literaturpreis (2002), dem Hölderlin-Förderpreis (2003), dem Ernst-Toller-Preis, (2003), dem Carl-Amery-Literaturpreis (2009), dem Thomas-Mann-Preis (2013) und dem Hildegard-von-Bingen-Preis (2015). Mehr über die Autorin auf www.julizeh.de.

JULI ZEH

UNTER

LEUTEN

Roman

Luchterhand

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Die Handlung und alle handelnden Personen dieses Romans sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

Mehr zum Roman auf

www.unterleuten.de

9. Auflage

© 2016 Luchterhand Literaturverlag, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: buxdesign | München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-641-16729-5

V003

www.luchterhand-literaturverlag.de

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Für Ada

»Alles ist Wille.«

Manfred Gortz

Teil I

Geliebte Babys

Unterleuten ist ein Gefängnis.

Kathrin Kron-Hübschke

1 Fließ

»Das Tier hat uns in der Hand. Das ist noch schlimmer als Hitze und Gestank.« Jule schaute auf. »Ich halte das nicht mehr aus.«

»Es bringt nichts, sich aufzuregen, Liebes.« Gerhard bemühte sich, seiner Stimme einen sicheren Klang zu geben. Je hysterischer Jule wurde, desto fester klammerte er sich an die Vernunft. »Wenn man jemanden hasst, stört einen alles, was diese Person tut.«

»Du meinst, ich soll versuchen, das Tier zu lieben? Und dann wäre es in Ordnung, dass es unser Leben zerstört?«

»Ich meine, dass du dich nicht reinsteigern sollst. Durch die Aufregung schadest du nur dir selbst, und …«

Er kämpfte auf verlorenem Posten. Jule war in sich zusammengesunken und hatte zu weinen begonnen, so dass ihm nichts übrig blieb, als sich neben sie zu setzen und ihr einen Arm um die Schultern zu legen. Auf dem Schoß hielt sie die kleine Sophie, die sich in ihren Armen wand und unentwegt quengelte. Das Baby fand keine Ruhe und wachte auch nachts ständig auf, was bei der Hitze im Haus kein Wunder war. Dass Jule die Kleine ständig an die Brust presste, machte die Sache nicht besser. Seit die Feuer brannten, raubten sie sich gegenseitig den letzten Nerv.

Mit einem Hemdzipfel trocknete sich Gerhard das Gesicht. Die Haut spannte über den Knochen. In letzter Zeit vermied er den Blick in den Spiegel. Jule sah erschöpft aus, aber sein eigener Anblick war verheerend. Das lag an den zwei Jahrzehnten, die er ihr voraushatte, und an der Hagerkeit, die ihm jede Anstrengung scharf ins Gesicht schnitt.

Als Jule vor fünf Jahren zum ersten Mal in einem seiner Seminare an der Humboldt-Universität aufgetaucht war, hatte er bei ihrem Anblick spontan »Willkommen!« gesagt und nicht nur die Lehrveranstaltung, sondern gleich sein ganzes Leben gemeint. Ruhig hatte Jule zwischen den anderen Studenten gesessen, rothaarig, hellhäutig und wie von Licht umgeben, was außer ihm niemand zu bemerken schien. Ihre offenen Haare und das fließende Kleid schienen von Woodstock zu erzählen und weckten in Gerhard die Sehnsucht nach einer Epoche, die er verpasst hatte. Statt mit Blumen im Haar auf Sommerwiesen zu liegen, hatte er als junger Mensch in kommunistischen Arbeitskreisen gesessen und sich Sorgen um den Zustand der Welt gemacht. Die Frauen in seiner Umgebung waren nicht halb nackt und auf LSD, sondern steckten in dunklen Rollkragenpullovern, trugen Brillen und rauchten Kette, während sie über den Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Endphase diskutierten. Vor der Kulisse dieser Erinnerung erschien Jule als Abgesandte aus einer anderen Welt.

Jetzt blickte er auf ihren gebeugten Nacken und die bebenden Schultern und wünschte, er könnte Hitze und Gestank einfach in sich einsaugen, alle Last auf sich nehmen, um Jule und Sophie zu befreien. Es war Hochsommer, 32 Grad im Schatten, und sie saßen seit vier Tagen eingesperrt im Haus, ohne Möglichkeit, in den Garten zu gehen oder auch nur ein Fenster zu öffnen. Nicht einmal bei Nacht konnten sie lüften, weil Schaller, den Jule nur noch »das Tier« nannte, die Feuer auch nach Sonnenuntergang nicht ausgehen ließ. Wenn Gerhard sich ausmalte, wie das Tier nachts alle zwei Stunden aus dem Bett kroch, um die Feuer in Gang zu halten, begannen seine Hände vor Hass zu zittern.

»Bald kommt die Mauer, Liebes.«

Seit das Tier auf dem Nachbargrundstück eine »Autowerkstatt« betrieb – ein Begriff, der sich angesichts von Schallers Müllhalde nur in Anführungszeichen denken ließ –, hörte sich Gerhard immer häufiger mit der Stimme eines Nahost-Diplomaten reden. Jule hob das verweinte Gesicht.

»Wann?«

»Sobald das Genehmigungsverfahren abgeschlossen ist.«

»Du meinst, wenn die Scheißämter zur Vernunft gekommen sind.« Jule wurde lauter. »Wenn sie einsehen, dass sie nicht dem Tier einen Schrottplatz erlauben und uns den Sichtschutz verbieten können!«