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»Das sind Kampfläufer, du Banause.«

»Ich dachte, du wärst ein Kampfläufer.«

»Du denkst, ich sei eine Schnepfe.«

Sie lachten; sie gingen Hand in Hand. Der angekündigte Regen fiel überall außer in Unterleuten, hatte aber Bewegung in das Himmelsgemälde gebracht. Kompakte Wolken fuhren wie auf Schienen nach Nordwesten. Die Blätter der Pappeln zitterten silbrig. Im Lauf des Tages war die Temperatur auf erträgliche 22 Grad gefallen; der Wind roch herbstlich nach abkühlenden Sonnenstrahlen und feuchter Erde.

»Das sind die Vorstandsvorsitzenden einer Firma«, sagte Linda. »Kampfläufer incorporated. Sie besitzen 200 Hektar Land, beziehen EU-Subventionen, beschäftigen drei Vollzeitangestellte, zwei Halbtagskräfte und einen Praktikanten, verwalten die öffentlichen Angelegenheiten Unterleutens und betreiben ein kleines, aber feines Geschäft mit dem ornithologischen Tourismus. Außerdem sind sie gegen Windparks.«

»Entführen sie manchmal auch kleine Kinder?«

»Für weitere Informationen kann ich dich gern an meinen neuen Freund Gerhard Fließ vermitteln.«

Frederik lachte, küsste sie auf den Scheitel, roch ihr Haar und fragte sich, welcher Dämon ihn während der vergangenen Tage mit düsteren Gedanken gequält hatte. Heute war Samstag, der letzte Tag im Monat Juli. Seit dem Unglück auf der Loveparade war eine Woche vergangen, die Frederik komplett in Berlin verbracht hatte. Tag für Tag hatte er die Rückkehr nach Unterleuten hinausgezögert und Linda gegenüber behauptet, die Arbeit halte ihn in der Firma fest, dabei wusste sie so gut wie er, dass Timo nicht auf seiner Anwesenheit bestand. Linda fragte nicht, was ihn von zu Hause fernhielt; er hätte es auch nicht erklären können. Wenn er an Unterleuten dachte, sah er eine scharfkantige, nur entfernt lindaähnliche Frau durch die halb fertigen Räume von Objekt 108 tigern, während in allen Ecken Dorfbewohner saßen und ihr mit Blicken folgten. Als er sich endlich aufraffte und in die Regionalbahn nach Plausitz stieg, plagte ihn das Gefühl, in einen David-Lynch-Film hineinzufahren.

Aber dann hatte er Linda gesehen, die ihn auf dem Bahnsteig erwartete. Sie stand an genau der richtigen Stelle, als hätte sie gewusst, aus welcher Tür er steigen würde. Sie lächelte ihn an, war blond wie immer und hübsch wie immer, und als Frederik sie in die Arme schloss, fühlte er sich plötzlich erleichtert, wie von einer Krankheit geheilt.

Wie immer war sie hinter das Steuer geklettert, ohne zu fragen, ob er vielleicht fahren wolle. In der gefährlichen Kurve vor dem Wald hielt sie sich allerdings brav in der Spur. Der Kies in der Einfahrt von Objekt 108 knirschte, wie er knirschen sollte, dann waren sie angekommen. Zu Hause.

Frederik war nur eine Woche fort gewesen; trotzdem schien ihm die Villa heller und viel weniger heruntergekommen als in seiner Erinnerung. Sonnenlicht flutete die sparsam möblierten Räume. Sie liebten sich gleich im Wohnzimmer auf den Dielen. Er schürfte sich die Knie, aber das war es wert. Danach teilten sie, nackt auf dem Boden liegend, eine Zigarette. Das Fenster stand offen; draußen zwitscherten Schwalben auf der Regenrinne. Gelegentlich erklangen Hammerschläge aus Karls Garten, ansonsten war es still. Frederik dachte, dass er im Leben vielleicht weniger Fehler gemacht hatte, als er normalerweise glaubte.

Dann sah er den Karton unter der Couch.

»Was ist das?«

»Ein Glücksfall.«

»Du versteckst einen Glücksfall unter dem Sofa?«

»Wenn ich ihn verstecken wollte, hättest du ihn nicht gefunden.«

Frederik zog den Karton hervor und nahm den Deckel ab. Staunend holte er einen Gegenstand nach dem anderen heraus und legte ihn auf die Dielen. Als der Karton leer war, saßen sie inmitten eines improvisierten Gruselkabinetts. Ein Handschuh mit abgeschnittenem Finger. Eine Barbiepuppe ohne Kopf. Die Mumie einer vertrockneten Kröte. Ein Flugblatt mit Fahndungsphoto eines flüchtigen Vergewaltigers.

»Das hier hab ich nicht verstanden«, sagte Linda und hob einen gestreiften Kinderschal auf. »Vielleicht hat den wirklich jemand verloren?«

»Wo kommt das Zeug her?«

»Hab ich alles von unserem Zaun geerntet.« Linda grinste. »Er trägt gut dieses Jahr.«

»Was redest du da?«

»Ein Präsentkorb.« Linda drehte den Karton um, so dass noch der abgerissene Kopf eines Spielzeugpferds herausrollte. »Eine kleine Aufmerksamkeit Unterleutens an die neuen Mitspieler.«

»Erzähl mir bitte nicht, dass irgendwelche Dorftrottel den Kram vor unser Haus werfen.«

»Nicht irgendwelche. Und auch nicht einfach vors Haus.« Linda schlang sich den Kinderschal um den Kopf und posierte: als Indianer, als Pirat, als kleines Mädchen mit Zöpfen. »Sie stecken die Sachen auf Zaunstangen.«

»Wer – sie?«

»Krons Leute wahrscheinlich. Sie glauben, dass ich mit Gombrowski kooperiere.«

Frederik spürte, wie seine Finger zu zittern begannen. David Lynch war zurück.

»Hast du Anzeige erstattet?«

»Spinnst du?«

»Das sind Drohungen.«

»Messerscharf kombiniert.«

»Todesdrohungen.«

»Mach mal halblang.«

»Das sind«, Frederik wurde laut, »das sind mafiöse Praktiken!«

»Soweit ich weiß, steht die Mafia eher auf toten Fisch.«

Als Linda die vertrocknete Kröte mit spitzen Fingern aufhob und auf ihren nackten Oberschenkel setzte, hielt Frederik es nicht mehr aus. Er fegte die Kröte von ihrem Bein, riss ihr den Schal weg und machte sich daran, alles zurück in den Karton zu packen.

»Die Sachen heben wir auf«, sagte er.

»Und ob wir die aufheben.«

»Das sind Beweisstücke. Menschen, die so etwas tun, sind gefährlich!«

»Menschen, die so etwas tun, sind garantiert nicht gefährlich.« Sie nahm ihm den Karton weg und ließ ihn über den Boden schlittern, so dass er wieder unter die Couch rutschte. »Denk doch mal nach. Eine richtige Drohung funktioniert mit einem Gegenstand. Eine tote Katze oder eine Puppe ohne Kopf. Nicht jeden Tag etwas Neues. Diese Mischung aus Mafia und Vodoo ist die Karikatur einer Drohung, inszeniert von Leuten, die Bandenkrieg spielen. Wie kleine Kinder.«

»Willst du behaupten, es ginge um nichts?«

»Das hab ich nicht gesagt. Es ist ein Spiel, in dem es um einiges geht, jedenfalls für mich. Deshalb spiele ich mit.«

Sie lächelte. Sie sagte »für mich« und »ich«, nicht etwa »für uns« und »wir«. Mit nackten Hintern saßen sie auf dem Boden und taxierten einander.

»The winner takes it all«, sagte Linda.

»Mir ist kalt«, sagte Frederik.

»Hörst du jetzt mal zu?«

Frederik klemmte die Hände unter die Achselhöhlen und nickte. Solange ihm außer »David Lynch« kein Wort einfiel für das, was hier nicht stimmte, konnte er ebenso gut Linda reden lassen.

»Für mich kommt der Unsinn wie gerufen«, sagte sie. »Gombrowski denkt, dass er das Land auf der Schiefen Kappe von mir bekommt.«

»Von dir bekommt er gar nichts«, sagte Frederik. »Höchstens von uns. Soll ich dir einen Grundbuchauszug zeigen?«

»Dafür besorgt er mir die Baugenehmigung«, fuhr Linda unbeirrt fort. »In Wahrheit werde ich aber an Meiler verkaufen. Was brauche ich also?«

»Ein paar hinter die Ohren, weil du dich wie ein Amateur-Gangster benimmst.«

Sie kniff ihn in den Arm, so fest, dass er aufschrie vor Schmerz. Nie hatte sie gelernt, zwischen neckischen Gesten und Brutalität zu unterscheiden.

»Ich brauche einen Grund, um mich plötzlich anders entscheiden zu können. Und das da«, sie zeigte Richtung Karton, »ist ein Grund.«

Weil Frederik nicht gleich verstand, schlang sie die Arme um den Oberkörper und tat so, als zittere sie vor Angst.

»Die Drohungen schüchtern mich ein. Niemand kann von einer jungen Frau erwarten, dass sie einem solchen Druck standhält. Unter diesen Bedingungen kann ich unmöglich an Gombrowski verkaufen.«