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»Und wenn ich einfach nicht unterschreibe?«, fragte Frederik.

Meiler hatte gar nicht gewusst, dass der Junge zeichnungsberechtigt war. Es bedeutete, dass er mindestens Miteigentümer des fraglichen Flurstücks sein musste, was Franzen wohlweislich verschwiegen hatte. Sie warf ihrem Lebensgefährten einen frostigen Blick zu. Weder Hass noch Wut, nicht einmal Nervosität lagen darin. Nur Gleichgültigkeit, die sich schon jenseits der Verachtung befand. Dass man einen Menschen, mit dem man Tisch und Bett teilte, auf solche Weise ansehen konnte, hatte Meiler nicht gewusst. Es gab nur eine Erklärung dafür: Linda liebte Frederik nicht. Sie war mit ihm zusammen, weil es sich irgendwie ergeben hatte. Frederiks Anwesenheit wurde nicht von bedingungsloser Zuneigung getragen, sondern von einem Vertrag, der an eine Bedingung geknüpft war: dass Frederik funktionierte. Sollte er beschließen, mit dem Funktionieren aufzuhören, folgte automatisch das Ende seiner Anwesenheit. Offensichtlich wusste Frederik das, er kapitulierte sofort.

»Ich meine ja nicht, dass wir gar nicht verkaufen sollen, sondern nur, dass es keinen Grund gibt, etwas zu überstürzen. Wir haben die Genehmigung, wir können jederzeit anfangen zu bauen. Wenn ich Timo und Ronny von Traktoria nature überzeugen kann, stehen wir finanziell bald so gut da, dass wir auf das Geschäft mit Herrn Meiler nicht angewiesen sind. Wir können warten, bis sich die Lage im Dorf beruhigt hat.«

Frederik probierte ein Lächeln, das unerwidert blieb. Dafür befreite ihn Linda endlich von ihrem eiskalten Blick, indem sie sich Meiler zuwandte.

»Keine Sorge«, sagte sie zu ihm.

Das war ein Vernichtungsschlag, so beiläufig geführt, dass Meiler kurz auflachte.

»Ich mache mir keine Sorgen«, erwiderte er im vollen Bewusstsein, damit in dieselbe Bresche zu schlagen, denn seine Antwort bedeutete: »Ich sehe doch, dass du diesen Waschlappen im Griff hast.«

Offensichtlich hatte er genau das gesagt, was Linda hören wollte. Sie tauschten ein Lächeln, und mehr als das: Da war ein komplizenhaftes Einverständnis, das alle Peinlichkeit zu Frederik hinüberwandern ließ. Frederik wurde fahl. Das knallige Rot seines T-Shirts konnte nicht verhindern, dass von Kopf bis Fuß die Farbe aus ihm wich. Indessen fühlte Meiler, wie das volle Farbspektrum durch seine Adern zu fließen begann. Er sprang aus dem Sessel und trat ans Fenster, das Linda eben verlassen hatte. Während er so tat, als betrachte er die Fassaden gegenüber, nahm er sich ein paar Sekunden Zeit zum Glücklichsein. Er hatte sich geirrt. Die entscheidende Grenze verlief nicht zwischen den Generationen, nicht zwischen Jung und Alt, sondern zwischen Gewinnern und Verlierern. Meiler stand auf der Gewinnerseite, schon immer und durch den Windkraft-Deal in besonderem Maße. Er nahm sich vor, auch in Zukunft den Kontakt zu Linda Franzen zu halten. Vielleicht konnte er sie bei der Konzeption ihres Pferde-Manager-Coachings unterstützen und gelegentlich in Unterleuten vorbeischauen. Er würde miterleben, wie sich die seltsame Villa von einer Ruine in ein modernes Landgut verwandelte, und vielleicht würde er als väterlicher Freund an dem Tag zugegen sein, an dem sich Linda von Frederik trennte.

Er lächelte noch immer dem desinteressierten Berlin zu, als hinter ihm die Tür aufging und die kleine Gruppe ins Amtszimmer gebeten wurde. Linda trat ein, ohne Frederik eines weiteren Blickes zu würdigen, gefolgt von Meiler, der im Türrahmen stehen blieb, um dem Jungen mit ironischer Geste den Vortritt zu lassen.

Das Verlesen der Verträge und die Belehrungen der Notarin ließen sie schweigend über sich ergehen, saßen mit gesenkten Köpfen und zusammengelegten Händen wie im Gottesdienst, jeder in seine eigenen Gedanken vertieft. Als die Papiere über den Tisch geschoben wurden, griff Frederik als Erster nach dem Stift, unterschrieb und ließ den Kugelschreiber fallen, als hätte er sich die Finger daran verbrannt. Er sprang auf und hielt die Hand auf.

»Autoschlüssel.«

Linda zog den Schlüssel aus der Tasche ihrer Jeans und ließ ihn auf den Tisch fallen.

»Du bleibst in Berlin und wohnst bei Timo«, sagte Frederik. »Ich fahre allein nach Unterleuten und kläre die Lage. Das Dorf muss erfahren, dass der Windpark gebaut wird und dass du schuld daran bist. Solange ich nicht weiß, wie die Leute reagieren, hältst du dich von diesem Irrenhaus fern. Verstanden?«

Linda schaute Frederik nicht nach, als er aus dem Raum rannte.

»Ich entschuldige mich für meinen Lebensgefährten«, sagte sie.

In aller Ruhe und Sorgfalt setzten sie die fehlenden Unterschriften unter die Verträge und nahmen die Standardgratulation von Frau Söldner entgegen, als hätten sie geheiratet. An der Garderobe half Meiler ihr in die grüne Lederjacke, die er bereits aus dem Adlon kannte. Linda schloss den Reißverschluss bis unters Kinn und stiefelte die Treppe hinunter.

Weil er um jeden Preis verhindern wollte, dass sie einfach verschwand, lief er ihr nach, überholte sie im Hauseingang und fragte, während er ihr die Tür aufhielt, nach einer Zigarette.

Amüsiert sah Linda ihn an.

»Sie rauchen doch gar nicht«, sagte sie. »Aber Sie können mich nach Unterleuten fahren.«

Statt einer Antwort wies Meiler einladend auf den Mercedes Roadster, der wenige Meter weiter im Halteverbot stand.

54 Fließ

Gerhard erschrak, als das Tor nach einem kleinen Stoß einfach aufschwang, so dass er eintreten und es hinter sich zuziehen konnte. Als wäre es normal, bei Schaller auf ein Schwätzchen vorbeizuschauen. So leicht hatte er sich das Betreten der Höhle des Löwen nicht vorgestellt.

In den vergangenen Wochen hatte sich Unterleuten als strenger Lehrmeister erwiesen. Gerhard hatte erlebt, wie an diesem Ort Probleme erzeugt und gelöst wurden. Mit Reden, Analysieren, Abwägen kam man nicht weit. Es ging darum, Fakten zu schaffen. Sein halbes Leben hatte Gerhard an dem Widerspruch zwischen Denken und Handeln gelitten. Er hatte sich als Intellektueller gefühlt und versucht, darin eine Auszeichnung zu sehen, die für andauerndes Scheitern entschädigte. Insgeheim war ihm schon lange klar gewesen, dass der Satz »Der Klügere gibt nach« eine Falle darstellte und dass es sich beim Zusatz »bis er der Dumme ist« nicht um einen Witz, sondern um eine logische Konsequenz handelte.

Vor vier Wochen hatte er zum ersten Mal versucht, mit Schaller zu reden, und war weggerannt, bevor das erste Wort gesprochen wurde. Beim zweiten Mal hatte er Schaller nach dem verschwundenen Krönchen gefragt und war danach weggerannt. Heute würde er den Hof erst verlassen, wenn eine Lösung gefunden war. Wegrennen stellte keine Option mehr dar – daran hatte Jule keinen Zweifel gelassen. Seit Sophies Verschwinden hatte sie kaum noch mit ihm gesprochen. Das war auch nicht nötig, denn die letzten Worte ihres Streits klangen ihm noch in den Ohren: Wenn du unser Zuhause nicht verteidigst, packe ich meine Sachen und bringe Sophie und mich aus dieser Hölle heraus.

Sie befanden sich wieder am Anfang. Obwohl die Luft im Garten sauber war, lebten sie hinter verschlossenen Türen und Fenstern. Es war heiß. Selbst im Haus ließ Jule das Baby keine Sekunde aus den Augen. Nachts schlief die Kleine wieder im Elternbett. Tagsüber trug Jule sie ständig auf dem Arm und rannte mit ihr im Wohnzimmer hin und her. Man konnte ab und zu lüften, aber das war, allen Kämpfen zum Trotz, die einzige Verbesserung.