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Als sie Kron ins Auge fasste, schnappte etwas ein. Plötzlich konzentrierte sich ihre ganze Energie auf Kron, eine Willenskraft, die sie fast sichtbar wie eine Aura umgab. Kathrin staunte. Es verstrichen mehrere Sekunden, in denen ihr Vater und Linda sich anstarrten. Erst als Krons Blick zur Seite wanderte, entspannte sich Linda. Sie lockerte die Schultern und fing an, allen Anwesenden der Reihe nach und ohne Eile die Hand zu geben. Ihr Freund zog mit und stellte sich ebenfalls vor. Hände wurden geschüttelt, Namen gemurmelt.

Auch Kathrin sagte ihren Namen und lächelte die beiden an, so herzlich sie konnte. Sie hatte es bemerkenswert gefunden, dass Linda in der Dorfversammlung aufgestanden war und das Wort ergriffen hatte. Aber was sie hier mit Kron abzog, war noch ungewöhnlicher. Hätte jemand verlangt, dass Kathrin Eintritt dafür bezahlte, wäre sie gerne bereit gewesen.

»Jetzt pass mal auf, Linda«, begann Kron.

Der Vogelschützer schob sich dazwischen.

»Ich werd gleich morgen früh mit der Naturschutzbehörde reden«, sagte er atemlos. »Das muss sofort … die können doch nicht einfach …«

Kron sah ihn mitleidig an.

»Vergiss deine scheiß Behörde. Die stecken alle unter einer Decke. Ich sag dir, wie das läuft.« Er reckte die Krücke. »Da plant einer den großen Reibach. Einen gewissen Verdacht habe ich, wer das sein könnte.«

Björn und Ulrich lachten dreckig. Jakob war wie gewöhnlich betrunken, schwankte leicht und schaute Norbert an, um an dessen Miene abzulesen, wie er reagieren sollte. Wolfgang steckte die nächste Zigarette in seinen nach unten gezogenen Mundwinkel und nickte ununterbrochen.

»Es gibt hier einen alten Hund, der sich gern auf Kosten anderer mästet«, fuhr Kron fort. »Der hat irgendwo ein wertloses Stück Land, auf das er sich jetzt mithilfe des Bürgermeisters einen Windpark stellt. Die Propeller blasen ihm Kohle in die Taschen, während unsere Häuser das letzte bisschen Wert verlieren. Dafür gibt es ein Wort: Enteignung.«

Zustimmendes Johlen von den LPG-Veteranen. Auch Fließ nickte eifrig, obwohl es ihm vorhin noch um die Kampfläufer und nicht um den Wert seines Besitzes gegangen war. Seine Frau hatte sich auf die Bordsteinkante gesetzt und mit Stillen begonnen.

»Es wurde ein Bebauungsplan erwähnt«, sagte Linda, auf die Krons Ansprache offenbar nicht den geringsten Eindruck machte.

»Apropos Enteignung«, sagte Kron langsam.

Sein Blick verließ den Kreis der Umstehenden, suchte ein Ziel, sog sich voll mit bösem Vergnügen.

»He, du da!«

Der Typ, der wahrscheinlich Lindas Onkel war, sah von seinem Blackberry auf. Bitte nicht, dachte Kathrin. Sie wollte etwas sagen und konnte nicht. Wiederholte nur stumm im Kopf die beiden Wörter: Bitte nicht.

»Man muss Unterschriften sammeln«, sagte Linda. »Einen Bürgerprotest organisieren. Der Erlass eines Bebauungsplans ist ein demokratischer Prozess.«

»Tu nicht so, als wüsstest du nicht, wer ich bin!«, sagte Kron zu dem Blackberry-Mann.

»Sie sind also auch gegen Windkraftanlagen?«, fragte Fließ in Lindas Richtung.

»Kennst mich nicht mehr?« Kron ging auf den Blackberry-Mann zu, der sich umschaute, als könnte ein anderer gemeint sein. Oder vielleicht suchte er nach einem Fluchtweg.

»Auf der Versteigerung hatten wir schon einmal das Vergnügen.« Wie ein Schauspieler wandte sich Kron an die LPG-Veteranen, die langsam aufrückten. »Hat er vergessen. Dieser Kerl gibt 2,5 Millionen aus und vergisst es gleich wieder. Peanuts, was?«

Die letzten Worte waren wieder an den Blackberry-Mann gerichtet, der sein Gerät wegsteckte und einfach stehen blieb, die Mauer des Landmanns im Rücken.

»Was wollen Sie?«, fragte er und klang weniger gelassen, als er vermutlich beabsichtigt hatte.

»Pssst!« Kron hob einen Zeigefinger. »Einfach nur zuhören. Ist doch ein irrer Zufall, dass wir uns heute hier treffen. Kleine Landpartie nach Unterleuten? Ein Tag im Grünen? Alte Freunde besuchen?« Kron lachte künstlich. »Wo kommst du her? Baden-Württemberg?«

Der Blackberry-Mann schwieg und wippte in seinen rahmengenähten Schuhen.

»Jetzt darfst du reden«, herrschte Kron ihn an. »Ich hab dich was gefragt.«

»Ingolstadt«, sagte der Mann, und gleich darauf: »Was wird das hier eigentlich?«

Er wollte gehen, aber der Kreis der LPG-Veteranen hatte sich um ihn geschlossen. Schräg hinter Kron stand Linda, hielt die Arme vor der Brust verschränkt und beobachtete das Geschehen mit einem Gesichtsausdruck, als löse sie gerade eine Gleichung mit mehreren Unbekannten. Auch Fließ war herangetreten und wirkte handlungsbereit, auch wenn er offensichtlich nicht begriff, was vor sich ging. Seine junge Frau saß auf der Bordsteinkante und schien außer Brust und Baby nichts wahrzunehmen.

Lindas Freund, der sich als Frederik vorgestellt hatte, trat neben Kathrin. Er knickte seinen langen Körper in der Mitte, um ihr ins Ohr flüstern zu können.

»Läuft das hier immer so?«

Am Rand seines schmalen Gesichts schwangen die ungeschnittenen Haare vor und zurück. Er sah nett aus und ein bisschen albern, typischer Wahl-Berliner, mit ausgelatschten Turnschuhen, künstlerischen Ambitionen und dem festen Entschluss, lieber zu sterben als erwachsen zu werden.

Kathrin konnte sich vorstellen, wie er später im Kreis seiner Freunde, die vor lauter Individualität alle genauso aussahen wie er, die Anekdote mit den verrückten Dörflern vor dem Märkischen Landmann zum Besten geben würde. Sie hatte nichts dagegen. Sie wusste, dass Unterleuten aus Sicht der Städter ein Witz war. Gern hätte sie noch etwas Geistreiches gesagt, einen flotten Spruch, den Frederik später als Pointe zitieren konnte. Vielleicht würde er an sie denken und hinzufügen: »Aber einen trockenen Humor haben sie, die Landeier, das muss man ihnen lassen!«

Leider fielen Kathrin flotte Sprüche immer erst später ein. Wenn überhaupt.

»Ingolstadt!«, schrie Kron. »So weit fährst du, um uns die Erde unterm Hintern wegzukaufen. Hab mich ja schon bei der Versteigerung gefragt, was du mit 250 Hektar Ost-Prignitz willst.« Wieder wandte sich Kron an die Veteranen. »Kann es sein, dass dieses Rätsel mit dem heutigen Tag gelöst ist?«

Unsicheres Gemurmel zeigte an, dass die Gefolgschaft noch nicht wusste, worauf er hinauswollte. Da packte Kron den Blackberry-Mann am Kragen seines Freizeithemds.

»Papa!«, rief Kathrin und schlug sich gleich darauf die Hand vor den Mund.

Sie hasste es, wenn ihre Stimme schrill wurde. Es bedeutete, dass Krons Peinlichkeit auf sie übergriff. Geh nach Hause, befahl sie sich selbst. Sieh nach, ob Krönchen gut schläft. Trink ein Glas Wein, rede mit Wolfi über die Krise des deutschen Regietheaters.

Aber ihre Füße machten keine Anstalten, den Befehl auszuführen. Kron sprach dem Fremden aus wenigen Zentimetern Entfernung ins Gesicht. Kathrin konnte Bier und Essiggurken in seinem Atem fast selbst riechen.

»Ich werde deinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Vor zwei Jahren hast du irgendwie Wind von der Sache bekommen. Vielleicht kennst du jemanden im Ministerium. Bist in deinen A8 gestiegen und nach Dunkeldeutschland gefahren. Du hast doch einen A8, oder etwa nicht? Sag schon!«

»Mercedes.« Der Blackberry-Mann sah in die Runde, als hätte er einen Witz gemacht. Niemand lachte.

»Aus Ingolstadt und fährt Mercedes! Bist wohl kein Lokalpatriot, was? Hast überhaupt keine Werte im Leib?«

Kathrin sah Speichelspritzer fliegen. Normalerweise spuckte Kron beim Reden nicht, er machte das absichtlich.

»Weil du für deinen Deal Kontakte brauchst, hast du ein bisschen recherchiert, und siehe da, ein gewisser Gombrowski ist für jede Schandtat zu haben, solange die Kohle stimmt. Er hat den Bürgermeister in der Hand und regelt die Einzelheiten.«

»So ein Schwachsinn«, sagte Frederik vernehmlich. »Herr Meiler kennt hier überhaupt niemanden.«

Kron ignorierte den Einwand. Er griff fester ins Hemd des Blackberry-Manns, der jetzt einen Namen hatte, hob ihn halb von den Füßen und knallte ihn gegen die Mauer. Kathrin schrie, Meiler stöhnte, die Veteranen lachten. Die Frau des Vogelschützers blickte kurz auf, bewertete das Geschehen als irrelevant und kümmerte sich weiter um ihr Baby.