»Was ist dir lieber: Abenteuer oder Gewinne?«
»Hmmm, das ist schwer zu sagen. Ich lasse mich manchmal auf Dinge ein, die interessant sein könnten; aber ich bin natürlich froh, wenn dabei ein Gewinn herauskommt.«
»Dann konzentrierst du dich bitte in Zukunft auf den Gewinn dieser Fahrt. Wenn du willst, sammeln wir hundert oder tausend Schiffsladungen Gewürze für dich und bringen sie an den früheren Liegeplatz der Bree. Als Gegenleistung erwarten wir nur, daß du auf weitere Abenteuer verzichtest.«
»Vielen Dank, ich verdiene auch so genug. Das wäre zu langweilig.«
»Ich kann dir nichts befehlen«, antwortete Lackland, »aber ich hoffe, daß du daran denkst, wie viel vom Erfolg deiner Reise abhängt.«
Barlennan versicherte ihm, er denke ständig daran, was in gewisser Beziehung zutraf, und setzte die weitere Fahrt in Richtung Süden fort.
An der Vierzig-g-Linie steuerte die Bree nach Südosten, um einem Festlandsvorsprung auszuweichen, der nach Osten ins Meer hinausragte. Tatsächlich segelte das Schiff jetzt durch eine verhältnismäßig schmale Meeresstraße, deren Küsten aber von Bord aus nicht zu sehen waren.
Als die Bree das andere Meer erreicht hatte und sich der Sechzig-g-Linie näherte, begann das Kanu, das noch immer im Schlepptau hing, allmählich tiefer zu sinken. Eine Untersuchung ergab, daß der Bootsboden unter Methan stand, obwohl der Rumpf kein sichtbares Leck aufwies. Barlennan ließ das Kanu ausschöpfen und bestimmte einen seiner Leute, der es regelmäßig kontrollieren sollte.
Diese Maßnahme genügte zunächst; das Kanu schwamm nach jedem Ausschöpfen so hoch wie früher, aber das unsichtbare Leck schien immer größer zu werden. Lackland wußte ebenfalls keine Erklärung für dieses Phänomen, meinte aber, das Holz sei vielleicht porös; in diesem Fall hätte das Boot jedoch von Anfang an leck sein müssen.
Die Entwicklung erreichte ihren Höhepunkt vor der Zweihundert-g-Linie, als die Bree ein Drittel ihrer Seereise runter sich hatte. Der Besatzungsangehörige, den Barlennan für diese Aufgabe abgestellt hatte, kletterte eines Tages wie gewöhnlich in das Kanu, um es auszuschöpfen. Das Boot sank unter seinem Gewicht selbstverständlich etwas tiefer, und die Bordwände gaben eine Kleinigkeit nach; als die Seiten nachgaben, sank es noch tiefer… Als es noch tiefer sank, gaben die Seiten weiter nach… Der ganze Vorgang dauerte nur Bruchteile von Sekunden. Der überraschte Matrose fand sich plötzlich im Meer wieder, stellte fest, daß das Boot dicht unter der Oberfläche schwamm, weil die Ladung genügend Auftrieb besaß, und kletterte an Bord der Bree zurück. Dort wurde er von der g esamten wachfreien Besatzung erwartet, die auf das Verschwinden des Kanus aufmerksam geworden war. Der Kommandant ließ es an Bord holen und entleeren; da das elastische Holz jedoch wieder seine frühere Form angenommen hatte, konnte niemand sich vorstellen, was geschehen war.
Lackland wurde um seine Meinung gebeten und ließ sich ausführlich schildern, wie das Boot versunken war. Als er dann erklärte, daß die Bordwände unter dem Druck der umgebenden Flüssigkeit nachgegeben haben mußten, wich Barlennan Dondragmers Blick aus und fühlte sich auch nicht getröstet, als der Maat hinzufügte, Reejaaren sei bestimmt nur deshalb mißtrauisch geworden.
Schwimmende Hohlkörper! Die Inselbewohner mußten längst erkannt haben, daß Boote dieser Art weiter im Süden nicht zu verwenden waren.
Das Kanu wurde am Deck vertäut, obwohl es dort wertvollen Platz einnahm, und Barlennan ließ es mit Nahrungsmitteln voll packen, die sonst nicht so hoch gestapelt werden konnten. Dondragmer brachte Bedenken vor, weil das Boot die Biegsamkeit des Schiffskörpers beeinträchtigte, da es sich über drei Flöße erstreckte, aber der Kommandant ließ sich nicht davon abbringen, es an Bord zu behalten. Die Zeit verging; erst Hunderte, dann Tausende von Tagen. Für die Meskliniten, die von Natur aus langlebig waren, bedeutete die Zeit wenig, aber die Beobachter auf Toorey hatten den Eindruck, sie stehe still, während die Bree unendlich langsam ihrem Ziel näherkam. Lackland und seine Freunde unterhielten sich mit Barlennan, verfolgten den roten Strich auf dem Globus, bestimmten die Position des Schiffes, gaben den Kurs durch, lehrten die Besatzung Englisch und warteten ungeduldig, bis vier Erdmonate – über neuntausendvierhundert Tage auf Mesklin – vergangen waren.
Die Bree erreichte die Vierhundert-g-Linie, segelte weiter, ließ die Sechshundert-g-Linie hinter sich zurück und drang weiter nach Süden vor. Die Tage wurden länger, bis die Sonne schließlich nicht mehr unterging, und der Horizont schien an allen Seiten über dem Schiff aufzusteigen, wie Barlennan Lackland vor langer Zeit erklärt hatte. Der Kommandant hörte auch jetzt geduldig zu, als die Beobachter ihm versicherten, dabei handle es sich nur um eine optische Illusion; aber als endlich Land vor ihnen aus dem Meer auftauchte, lag es offenbar ebenfalls über ihnen – wer konnte da noch von Illusionen sprechen?
Die Bree erreichte eine gewaltige Bucht, die dreitausend Kilometer weit nach Süden führte – über die Hälfte der Entfernung zum Ziel, wo die gestrandete Rakete lag. Das Schiff kreuzte durch die Bucht, die sich allmählich verengte, und lief in eine Flußmündung ein. Hier mußte abwechselnd ein Teil der Besatzung an Land gehen und die Bree treideln, denn die Strömung ließ sich nicht mehr mit Hilfe der Segel überwinden. Wieder vergingen Tage und Wochen, aber die Männer auf Toorey verfolgten jetzt mit zunehmender Spannung den Weg des Schiffes stromaufwärts. Das Ziel war fast in Sicht, und die Beobachter zweifelten nicht daran, daß es bald erreicht sein würde.
Dann kam die Enttäuschung, die nur mit dem Zwischenfall vor einigen Monaten vergleichbar war, als Lacklands Schlepper ein unüberwindbares Hindernis erreicht hatte. Die Barriere war ähnlich, aber diesmal befanden sich Schiff und Besatzung am Fuß einer Klippe, anstatt am oberen Rand. Die Felswand war hundert Meter hoch, nicht nur zwanzig, und hier an der Siebenhundert-g-Linie waren die Meskliniten nicht mehr imstande, rasch und leicht zu klettern, wie sie es am. Äquator getan hatten.
Die Rakete war nur achtzig Kilometer vom Fuß der Felswand entfernt; der Höhenunterschied betrug jedoch – auf menschliche Verhältnisse umgerechnet – etwa fünfundfünfzig entlang einer senkrechten Wand.
15
Die Erlebnisse der vergangenen Wochen und Monate waren nicht spurlos an der Schiffsbesatzung vorübergegangen; Barlennans Leute hatten ihre angeborene Höhenangst verloren. Das bedeutete jedoch nicht, daß sie vergessen hatten, wie sich selbst d er kleinste Fall in diesen Breiten auf ihre Körper auswirken mußte. Deshalb war ihnen die steile Felswand unheimlich, die nur wenige Meter vom Liegeplatz der Bree entfernt zum Himmel aufragte.
Die Beobachter auf Toorey starrten das neue Hindernis schweigend an und suchten nach einem Ausweg. Die Expedition verfügte über keine Rakete, die auf Mesklin in Polnähe hätte starten können; die einzige, die für diesen Zweck konstruiert worden war, stand irgendwo dort unten. Außerdem hätte niemand damit fliegen können: Menschen würden die Schwerkraft nicht lebend überstehen, und die Meskliniten waren nicht imstande, den komplizierten Mechanismus einer Rakete zu begreifen. »Die Reise ist also noch längst nicht zu Ende«, stellte Dr. Rosten fest und starrte nachdenklich die Bildschirme an, auf denen die Felswand zu sehen war. »Trotzdem muß es irgendeinen Weg auf die Hochebene oder die andere Flanke des Bergrückens geben. Ich sehe ein, daß Barlennan und seine Leute wahrscheinlich nicht hinaufkönnen, aber meiner Meinung nach müßten sie das Hindernis umgehen können.« Lackland fragte Barlennan danach.
»Ihr habt recht«, antwortete der Kommandant, »aber auch dabei gibt es verschiedene Schwierigkeiten. Der Fluß liefert nicht mehr allzu viel Nahrung; wir sind weit vom Meer entfernt. Außerdem wissen wir nicht, wie lang der Weg vor uns ist, so daß wir kaum vernünftig planen können. Habt ihr schon daran gedacht, eine Karte dieses Gebiets anzufertigen, damit wir gemeinsam nach dem besten Weg suchen können?«