»Für uns wäre es wahrscheinlich ohne weiteres genießbar«, erklärte ihm der Mesklinit. »Ich kann es ja versuchen, wenn dir damit geholfen ist.« Er wartete Lacklands Antwort nicht ab, sondern spannte seine Muskeln an und sprang zu Boden; dabei unterschätzte er seine Kräfte und machte einen weiten Satz. Einen Augenblick lang war er vor Schreck wie erstarrt, aber dann beherrschte er sich und landete weich im Sand. Er kroch auf den Schlepper zu und wartete dort, bis Lackland die Tür geöffnet hatte und mühsam ins Freie kletterte.
Das Fahrzeug besaß keine Luftschleuse, die auch überflüssig war, denn Lackland brauchte nur den Helm seines Schutzanzugs zu schließen. Als der Flieger ausstieg, folgte ihm ein Schwarm weißer Kristalle – Eis und Kohlenstoffdioxyd. Barlennan hatte keinen Geruchssinn, spürte aber ein Brennen in seinen Atemporen, als die sauerstoffhaltige Wolke ihn erreichte, und sprang hastig rückwärts.
Lackland entschuldigte sich bei ihm, weil er vergessen hatte, Barlennan rechtzeitig davor zu warnen.
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, wehrte der Kommandant ab. »Ich hätte selbst daran denken müssen – an den Luftschleusen deines Hügels ist es ähnlich, und du hast mir oft genug e rklärt, wie sehr sich der Sauerstoff, den du atmest, von dem Wasserstoff unserer Atmosphäre unterscheidet.« »Aber es war trotzdem mein Fehler«, stellte Lackland fest. »Zum Glück scheint es dir nicht geschadet zu haben; ich kenne die chemischen Vorgänge in deinem Körper so wenig, daß ich nicht einmal vermuten kann, wie sich Sauerstoff auf deinen Organismus auswirken könnte. Deshalb möchte ich dem Kadaver Gewebeproben entnehmen.«
Lackland hatte verschiedene Werkzeuge in einem Netzbeutel vor der Brust hängen, und während er mit den schweren Handschuhen unbeholfen danach tastete, entnahm Barlennan die erste Probe. Vier Zangenpaare zertrennten die Haut, rissen einen Fleischfetzen los und führten ihn zum Mund; er kaute einige Sekunden lang nachdenklich darauf herum. »Gar nicht übel«, meinte er schließlich. »Wenn du nicht das ganze Tier für deine Untersuchungen brauchst, rufe ich die Jäger hierher. Wir haben nicht mehr viel Zeit, bevor der nächste Sturm losbricht, und hier liegt reichlich Fleisch, das nur noch getrocknet werden muß.«
»Gute Idee«, murmelte Lackland geistesabwesend. Er achtete kaum auf seinen Begleiter, denn er bemühte sich eben, die Spitze eines Skalpells durch die zähe Haut des Meeresungetüms zu stoßen.
Selbst die Vorstellung, er könne das ganze Tier für seine Untersuchungen brauchen – der Mesklinit hatte einen merkwürdigen Sinn für Humor –, lenkte ihn nicht davon ab.
Lackland hatte selbstverständlich damit gerechnet, einen zähen Brocken vor sich zu haben; aber er hatte sich auch eingebildet, die größten Schwierigkeiten seien vorüber, sobald die Haut durchgetrennt sei. Aber das Fleisch war so unnachgiebig wie Teakholz, und er mußte sich schließlich damit begnügen, nur einige Fasern abzukratzen und sie in eine Flasche zu stecken.
»Hat das Tier auch weicheres Fleisch?« fragte er Barlennan. »Auf diese Weise bekomme ich nie genügend Proben zusammen, um meine Kameraden auf Toorey zufriedenzustellen.«
»Am besten versuchst du es mit dem Rachen und der Zunge«, schlug Barlennan vor. »Aber vielleicht kann ich einfach ein paar Stücke für dich abbeißen.
Oder bestehen deine Kameraden darauf, daß die Stücke mit einem Metallinstrument abgetrennt werden?«
»Davon weiß ich nichts«, sagte Lackland, »und wenn es ihnen nicht paßt, können sie selbst herunterkommen und sich ein Stück abschneiden. Am besten versuchen wir es gleich mit der Zunge, wie du vorgeschlagen hast. Wahrscheinlich habe ich hier nicht einmal die Haut durchtrennt.« Er ging voraus und zeigte Barlennan, welche Stücke er brauchen konnte. »Ziemlich kleine Brocken, die leicht in diese Flaschen passen.«
Der Mesklinit machte sich bereitwillig an die Arbeit, und Lackland füllte seine Behälter mit Gewebeproben. Dann richtete er sich auf und warf einen bedauernden Blick auf die gewaltigen Zähne.
»Wahrscheinlich braucht man eine ordentliche Ladung Nitroglyzerin, um einen davon herauszubekommen«, meinte er dabei.
»Was ist Nitroglyzerin?« wollte Barlennan wissen.
»Ein Sprengstoff – ein Stoff; der sehr rasch in den gasförmigen Zustand übergeht und gleichzeitig hohen Druck erzeugt, der von einem Knall begleitet wird. Mit diesem Material kann man Felsen sprengen, Kanäle ausheben und alle möglichen Hindernisse beseitigen.«
»War das eben der Knall eines Sprengstoffs?« erkundigte Barlennan sich.
Lackland war im ersten Augenblick sprachlos.
Ein lauter Knall auf einem Planeten, dessen Bewohner nicht einmal wissen, was Sprengstoffe sind, und auf dem man der einzige Mensch ist, kann recht verblüffend sein, wenn er so passend kommt.
Lackland war allerdings nicht nur verblüfft, sondern vor Schreck geradezu gelähmt. Er wußte z unächst nicht, aus welcher Richtung die Explosion gekommen war, da er sie gleichzeitig aus seinen Kopfhörern und Barlennans Funkgerät gehört hatte, aber zwei oder drei Sekunden später fiel ihm eine unangenehme Möglichkeit ein.
»Vielleicht hast du recht«, beantwortete er Barlennans Frage ziemlich verspätet, während er sich auf den Rückweg machte. Als der Schlepper wieder in Sicht kam, seufzte Lackland erleichtert auf; aber diese Erleichterung verwandelte sich in Entsetzen, als er die Tür des Fahrzeugs öffnete – sämtliche Instrumente waren zerstört, die Abdeckung des Unterbodenantriebs war aufgerissen und gab den Blick auf hoffnungslos demolierte Maschinenteile frei.
»Du hast also Sprengstoff mitgebracht«, stellte Barlennan fest, der die Zerstörung neugierig betrachtete. »Warum hast du ihn nicht benützt, um den Zahn zu lockern? Und weshalb hat er sich selbst zerstört?«
»Du bist ein Genie, wenn es um schwierige Fragen geht«, antwortete Lackland. »Die Antwort auf deine erste Frage lautet: Ich habe keinen Sprengstoff mitgebracht. Und auf die zweite Frage kann ich nur antworten: Das ist mir ebenso rätselhaft wie dir.«
»Aber du mußt es irgendwie mitgebracht haben«, stellte Barlennan fest. »Sogar ich sehe, daß es dort unten gesteckt haben muß, und auf Mesklin gibt es nichts, was auf diese Art reagiert.«
»Selbst wenn du recht hättest, kann ich mir nicht vorstellen, was dort unten explodiert sein soll«, antwortete Lackland. »Elektromotoren und Akkumulatoren explodieren nicht einfach! Aber das ist vorläufig meine geringste Sorge, Barl. Ich habe ein wesentlich schwierigeres Problem zu lösen!«
»Welches?«
»Ich bin hier dreißig Kilometer von meiner Kuppel entfernt, aber der Schlepper ist erledigt. Vielleicht gibt es Menschen, die bei drei g und acht Atmosphären Druck in einem geheizten Schutzanzug dreißig Kilometer marschieren können – ich kann es jedenfalls nicht. Mein Luftvorrat ist praktisch unbegrenzt, weil er immer wieder regeneriert wird, aber ich würde verhungern, bevor ich den Stützpunkt erreicht hätte.«
»Kannst du nicht deine Freunde benachrichtigen und dich mit einer Rakete abholen lassen?«
»Das ist natürlich möglich, aber wenn ich darauf angewiesen bin, läßt Doc Rosten mich nicht hier unten überwintern. Es war schon schwierig genug, ihn dazu zu überreden. Ich muß ihm die Sache mit der Explosion klarmachen, aber das möchte ich erst von der Station aus tun – nachdem ich sie ohne seine Hilfe erreicht habe. Und das ist eben das große Problem!«
»Am besten rufe ich meine Leute hierher«, warf Barlennan ein. »Sie können sich hier sattessen und noch Fleisch mitnehmen. Ich habe außerdem noch eine andere Idee.«
»Wir sind bereits unterwegs, Barl.« Dondragmers Stimme erschreckte Lackland, der vergessen hatte, daß die anderen Funkgeräte ständig in Betrieb waren, und verblüffte Barlennan, der nicht geahnt hatte, daß sein Maat schon soviel Englisch verstand, daß er ihrer Unterhaltung folgen konnte.
»Wir brauchen nur noch einige Tage«, erklärte Dondragmer, und der Kommandant gab diese Information an Lackland weiter.
»Zumindest braucht ihr keine Angst zu haben, daß ihr verhungert«, stellte der Flieger fest und sah zu dem Fleischberg neben sich auf. »Wie war das mit deiner anderen Idee? Betrifft sie mein Problem?«