Wahrscheinlich muß man das Flotations-System überholen. Ich würde nicht riskieren, es großen Druckunterschieden auszusetzen, aber wir werden ja sehen. Verschaffen wir uns erst mal darüber Klarheit.“
Marie hatte unser Gespräch mitgelesen und nickte beistimmend. Unser Rudel machte sich also auf zum Boot.
Er hatte recht. Die Flotations-Flüssigkeit war ausgelaufen. Es war schon seit Monaten unbenutzt, da es hier keine Einrichtungen zur Herstellung des Kohlenwasserstoffs gab, den die Schwimm-Tanks brauchten. Die hier gebräuchlichen Maschinen benutzten dieselbe Art fester Körper von geringer Dichte, die in den Schwimm-Coveralls verwendet wurden. Und um diese in das U-Boot einzuführen, hätte es größerer struktureller Veränderungen bedurft. Das hatte man nicht für der Mühe wert befunden.
„Ich könnte ja eines der hier verwendeten Boote nehmen“, schlug ich vor.
„Das versuch erst, wenn du die Sprache verstehst“, laute te seine Antwort. Das kam mir unsinnig vor. Ein U-Boot bleibt ein solches, und man kennt sich damit aus oder nicht. Aber ein Blick in eines der Boote belehrte mich eines Besseren.
Ich begreife noch immer nicht, warum die Steuereinrichtungen hier so und nicht anders sind. Die physikalischen Gesetze gelten hier unten ebenso wie oben. Aber der Unterschied in der grundlege nden Denkungsart, die mit der merkwürdigen graphischen Sprache Hand in Hand geht, erstreckt sich bis auf Faktoren, an die man mit gesundem Me nschenverstand gar nicht denken würde.
Es sah nun ganz so aus, als müßten die anderen zwei allein nach oben gehen. Bert schien sich damit abzufinden, und sogar ich gewöhnte mich an den Gedanken. Aber als wir wieder bei Marie waren und es ihr beibrachten, hatte sie wieder eine ihrer brillanten Ideen. Langsam drängte sich mir der Verdacht auf, sie könnte mehr im Sinn haben, als mich bloß an die Oberfläche zu schaffen, aber sie ließ sich nicht in die Karten blicken. Vielleicht auch nur, weil sie mit mir nicht unter vier Augen sprechen konnte.
„In meinen Tanks habe ich ausreichend Schwimmkraft“, sagte sie unvermi ttelt und entschlossen. „Hängt einfach Berts Wrack an meine Schleppvorrichtung, und wir ziehen es mit hoch.
Ihr sagtet doch, der Rumpf könnte den verminderten Druck aushallen.“
Bert schien erschrocken, zweifellos, weil ihm das nicht selbst eingefallen war. Das vermutete ich jedenfalls. Aber er willigte prompt ein. Und damit war die Sache abgemacht. Er schwamm los, um Hilfe für das Abschleppen der Boote zu holen und den Umwandlungsraum vorzubereiten. Ich benutzte seine Abwesenheit und schrieb für Marie eine Mitteilung auf.
„Du scheinst dich in Bert getäuscht zu haben. Er hat die Probe bestanden, als er so prompt auf deinen Vorschlag einging.“
„Das habe ich auch gemerkt…“
Ich wartete auf einen weiteren Kommentar, aber es kam keiner. Ich hätte eigentlich wissen müssen, daß keiner zu erwarten war. Und als sie wieder etwas äußerte, war ein gänzlich anderes Thema an der Reihe, dachte ich.
„Vergiß nicht, die Poller zum Befestigen der Taue sehr sorgfältig nachzusehen.“
Ich nickte erstaunt. Das war eine Routinesache und bedurfte nicht eigens der Erwähnung.
„Und auch die Taue. Die sind neuer.“ Ich gab schweigend mein Einverständnis und wunderte mich und faßte auch ein wenig Hoffnung. Alles was von Marie kam und nach Interesse an meinem Wohlergehen klang, ließ mich hoffen. Ich hinkte noch immer meilenweit hinter ihren Überlegungen her, weil ich nicht von derselben Sammlung von Vorurteilen ausging. So wollte sie es wohl, schätze ich. Da wechselte sie wieder das Thema und fragte mich über die Leute aus, die neben mir im Wasser trieben.
„Was ist mit deinen Freunden? Ist die Dame einer der Gründe, warum du die Luftatmung aufgegeben hast?“
„Nein!“ schrieb ich mit Nachdruck. „Meines Wissens sah ich sie vor meiner Umwandlung gar nicht.“ Ich begriff nicht, warum Marie lachte. „Ich kann euch nicht miteinander bekannt machen, weil ich ihren Namen nicht kenne. Bei dieser Sprache kann man sich ja nicht vorstellen, wie ein Personenname aussieht. Vielleicht gibt es hier gar keine Namen.“
Zum erstenmal lachte sie hier unten.
„Ach, deswegen bist du also hier geblieben! Nein, mach dir nicht die Mühe, zu betonen, daß du bis vor kurzem von der Sprache keinen Schimmer hattest. Ich weiß es ohnehin. In deinen Augen sind die hiesigen Sprachbesonderheiten gewiß eine Empfe hlung.“
Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Sie hatte völlig recht. Eines der größten Ärgernisse meines Lebens war hier unten bedeutungslos. Marie ließ mich nicht aus den Augen und las in meiner Miene wie in einem offenen Buch. Und jetzt lachte sie noch lauter als vorhin. In dieser Umgebung klang es nicht wie Gelächter, unterschied sich aber von ihrem normalen Sprechton so stark, daß meine Begleiter aufmerksam wurden. Sie sahen abwechselnd zum Boot und zu mir und konnten sich keinen Reim auf die Situation machen.
Marie hatte recht. Falls ich aus irgendeinem Grund hier unten bleiben sollte…
Diesen Gedanken unterdrückte ich sofort. Wohin Marie ging, dahin wollte ich früher oder später auch gehen.
XXII
Unsere Party wurde direkt fröhlich, während wir auf Bert warteten. Marie und ich unternahmen Ve rständigungsversuche mit dem Mädchen und ihren Freunden, hatten aber nur mit den elementarsten Zeichen Glück, manchmal nicht mal mit diesen.
Wir versuchten ihnen sogar die Idee eines phonetischen Alphabets klarzumachen, wobei Marie die Geräusche und ich die Symbole beisteuerte. Es war hoffnungslos.
Das war nicht ausschließlich Schuld ihres ma ngelhaften Hintergr undes. Aber unter Wasser wurden die Laute so stark verzerrt, daß man beispielsweise ein „P“ und „S“ nicht genau unterscheiden konnte, geschweige denn die Lautverbindung „Sp“
verstehen. Das genügte, um Marie zu überzeugen, daß das Verständigungsproblem sehr ernst war und die Lösung nicht einfach.
Sie war nun gar nicht mehr sicher, daß sich eine Lösung lohnte. Denn sie neigte nun dazu, diese Menschen als Träger einer völlig andersgearteten Kultur zu sehen und nicht als Gruppe verbrecherischer Flüchtlinge unserer eigenen Kultur. Immerhin hielt sie von dieser Kultur so viel wie eine Bostoner Dame aus dem neunzehnten Jahrhundert von den Südseekannibalen, die sie von den Missionsvorträgen her kannte.
Zumindest wahrte sie ihnen gegenüber die Formen. Ihre guten Manieren wurden jedoch fadenscheinig, als Bert mit schlechten Neuigkeiten wiederkam. Der Rat wolle nichts davon wissen, Bert und mich gleichzeitig an die Oberfläche zu lassen.
Entweder der eine oder der andere, keinesfalls beide.
Ich war wie vor den Kopf geschlagen und konnte dies unmöglich mit dem Bild in Einklang bringen, das ich mir von der Situation gemacht hatte. Marie sagte nicht direkt „Hab ich doch gesagt“ aber ihr Blick sprach Doppelbände. Das war unfair, da sie zuvor überhaupt nichts dergleichen gesagt hatte.
Vielleicht hatte sie es vermutet, gesagt hatte sie mir nichts.
Vielleicht war es dieser Blick, der mich wieder aufrichtete. Ich sagte mir, die Hauptsache wäre, Marie gesund und wohlbehalten an die Oberfläche zurückzuschaffen. Sobald sie sich bei der Behörde zurückgemeldet hatte, würde man sicher mit dieser Anlage hier in Verbindung treten, gleichgültig was Bert darüber dachte, und es würden sich gewiß jede Menge Möglichkeiten für mich ergeben, wieder an die Oberfläche zu kommen.
Ich glaubte noch immer nicht an Berts Behauptung, die Behörde hätte frühere Berichte ignoriert oder totgeschwiegen. Mein Gefühl basierte größtenteils auf meinem persönlichen Urteil als langjähriger Behördenmitarbeiter. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß die Organisation dazu fähig gewesen wäre.
Mir erschien es daher als höchst vernünftig, die zwei anderen an die Oberfläche zurückgehen zu lassen, während ich vorübergehend hier blieb. Das teilte ich, ohne meine dazugehörigen Überlegungen, mit Hilfe der Tafel mit. Bert war sofort einverstanden.