»Ach mein Gott! mein Gott!« antwortete die Alte seufzend, »ich würde ihm ja gern ein Säckchen mit Reliquien um den Hals hängen, aber er leidet es nicht.«
Wassili Iwanowitsch machte wiederholt Versuche, Bazaroff vorsichtig über seine Beschäftigung, seine Gesundheit, über Arkad auszufragen. Aber Bazaroff gab ihm unfreundliche Antworten und sagte schließlich ärgerlich:
»Das ist ja, wie wenn du immer auf den Zehen um mich herumschlichest, diese Manier ist noch schlimmer als die frühere.«
»Nun, nun! ich will es nicht mehr tun,« fiel der arme Wassili Iwanowitsch rasch ein. Die Unterhaltung über Politik hatte auch keinen bessern Erfolg. Als er eines Tages bei Gelegenheit der bevorstehenden Aufhebung der Leibeigenschaft die große Frage des Fortschritts berührte, bildete er sich ein, daß dies seinem Sohne Freude machen werde; aber dieser antwortete ihm gleichgültig: »Als ich gestern an der Gartenhecke hinging, hörte ich anstatt ihrer alten Lieder ein paar Bäuerlein mit dem Singsang sich heiser schreien: ›Der treuen Liebe Zeit ist da, die Herzen spüren sanfte Regung...‹ Da hast du deinen Fortschritt.«
Bazaroff begab sich manchmal ins Dorf und fing dort nach seiner Gewohnheit in spöttischem Ton ein Gespräch mit dem ersten besten Bauern an. »Setz mir einmal deine Gedanken auseinander,« sagte er zu ihm; »man will behaupten, ihr bildet die Kraft und die Zukunft Rußlands, mit euch beginne ein neuer Abschnitt unserer Geschichte; ihr werdet uns unsere wahre Sprache und gute Gesetze schaffen.« Der Bauer schwieg oder stotterte, wenns hoch kam, einige Worte wie: »In der Tat, wir könntens wohl, weil überdies... nach der Vorschrift zum Beispiel, die wir haben.«
»Erkläre mir, was euer ›Mir‹ ist?« fragte Bazaroff, »ist es der, der auf drei Fischen ruht?«
»Die Erde ists, die auf drei Fischen ruht,« entgegnete der Bauer im Tone der Überzeugung und mit singender Stimme, was seinen Worten etwas Patriarchalisches und Naives gab, »und jedermann weiß, daß der Wille des Herrn gegenüber unserm ›Mir‹ allmächtig ist, denn ihr seid unsere Väter. Je strenger der Herr, um so liebenswürdiger der Bauer.«
Als er einmal eine solche Rede hatte anhören müssen, zuckte Bazaroff verächtlich die Achseln und ließ den Bauern stehen, welcher ruhig nach seiner Hütte zurückging.
»Worüber hat er mit dir gesprochen?« fragte letzteren ein anderer Bauer, ein Mann in mittleren Jahren mit abstoßender Miene, der ihn von seiner Haustür aus mit Bazaroff hatte reden sehen; »wahrscheinlich von den rückständigen Abgaben?«
»Ach, er wird wohl!« erwiderte der erste Bauer, und seine Stimme hatte nichts mehr von dem patriarchalischsingenden Ton, sondern im Gegenteil etwas Rauhes, aus dem man die Geringschätzung heraushörte; »er hat mit mir geschwatzt, weil ihm ohne Zweifel die Zunge prickelte. Die Herren sind alle gleich, versteht denn einer etwas?«
»Wie sollten sie was verstehen!« sagte der andere, und damit schüttelten sie ihre Mützen, ließen ihre Gürtel herunter und unterhielten sich über Gemeindeangelegenheiten.
Ach, der junge Mann voll Selbstvertrauen, der sich eben mit verächtlichem Achselzucken entfernt hatte, dieser Bazaroff, der so gut mit den Bauern zu reden wußte, wie er sich in seinem Streit mit Paul Petrowitsch gerühmt – er hatte entfernt keine Ahnung, daß diese ihn für eine Art von Hanswurst ansahen.
Schließlich fand Bazaroff doch eine Beschäftigung, die ihm behagte. Eines Tages verband Wassili Iwanowitsch in seiner Gegenwart einen Bauern, der am Bein verwundet war; die Hände des alten Mannes zitterten, und es fiel ihm sichtlich schwer, den Verband zu befestigen; Bazaroff kam ihm zur Hilfe. Von da an half er seinem Vater regelmäßig bei dessen ärztlichen Verrichtungen, wobei er es aber nicht unterließ, über die Mittel, die er selbst anordnete, und über den Eifer, mit dem sein Vater sie anwandte, zu spotten. Diese Scherze brachten übrigens Wassili Iwanowitsch nicht aus der Fassung, er fand sie im Gegenteil ganz nach seinem Geschmack. Seine Pfeife rauchend und mit zwei Fingern die Schöße seines alten Schlafrockes zurückhaltend, hörte er Bazaroff mit wahrer Glückseligkeit zu; je giftiger die Worte seines Sohnes waren, desto herzlicher lachte der vergnügte Vater, daß man all seine schwärzlichen Zähne sah. Er wiederholte sogar die manchmal ungesalzenen oder sinnlosen Ausfälle seines Sohnes; so sagte er zum Beispiel mehrere Tage lang bei jeder Gelegenheit: »Das ist zum Nachtisch!« nur einzig und allein deshalb, weil sein Sohn diesen Ausdruck gebraucht hatte, als er hörte, daß der Alte in die Frühmesse gegangen sei.
»Gottlob!« sagte er im Vertrauen zu seiner Frau, »Eniuscha hat seine Hypochondrie vergessen. Wie er heute mit mir umgegangen ist!« Anderseits war er außer sich vor Behagen, einen solchen Gehilfen zu haben, der Gedanke daran flößte ihm ein Gefühl begeisterten Stolzes ein. »Ja ja,« sagte er zu irgendeiner armen Bäuerin, die in den Armiak ihres Mannes gehüllt war und eine Kitschka mit Hörnern trug, als er ihr ein Glas Gulardsches Wasser und ein Töpfchen Bilsenkrautsalbe einhändigte, »du solltest Gott jeden Augenblick danken, meine Liebe, daß er meinen Sohn hierhergeführt hat, man behandelt dich jetzt nach der gelehrtesten und neuesten Methode, verstanden? Der französische Kaiser Napoleon selbst hat keinen besseren Arzt.« Die Bäuerin, der er diese trostvolle Versicherung gab – sie hatte geklagt, daß es ihr sei, als ob sie »von Fäustchen in die Höhe gehoben werde« (ein Ausdruck, dessen Sinn sie übrigens nicht weiter erklären konnte) –, hörte Wassili Iwanowitsch zu, indem sie sich bis auf den Boden verneigte und aus ihrem Brusttuch drei in die Ecke einer Serviette eingewickelte Eier zog, welche ihre Opfergabe ausmachten.
Bazaroff riß sogar einem fremden Kaufmann einen Zahn aus, und obgleich dieser Zahn nichts Besonderes hatte, bewahrte ihn Wassili Iwanowitsch doch wie eine Rarität auf und wiederholte, als er ihn dem Pater Alexis zeigte, mehrmals:
»Sehen Sie, Pater, welche Wurzeln! Eugen muß eine famose Faust haben! Ich sah den Kaufmann in die Luft gehoben, es war prächtig, ich glaube wahrhaftig, ein Eichbaum hätte ihm nicht widerstanden.«
»Das ist verdienstlich!« erwiderte der Priester, der dem Entzücken des Greises nicht anders ein Ende zu machen wußte.
Ein benachbarter Bauer führte eines Tages seinen Bruder, der den Typhus hatte, zu Wassili Iwanowitsch. Der Unglückliche lag sterbend auf einem Bund Stroh, schwärzliche Flecken bedeckten seinen Körper, er war seit lange bewußtlos. Wassili Iwanowitsch bedauerte, daß man nicht früher daran gedacht, den Arzt zu dem Armen zu holen, und erklärte, daß es keine Möglichkeit gäbe, ihn zu retten. In der Tat konnte der Bauer nicht mehr nach Hause zurückgebracht werden, er starb unterwegs in seiner Telege.
Zwei oder drei Tage später kam Bazaroff zu seinem Vater und fragte ihn, ob er keinen Höllenstein habe.
»Ja! was willst du damit machen?«
»Ich brauch ihn, um eine kleine Wunde zu ätzen.«
»Wer hat sich verwundet? Wie! du? wo ist die Wunde, zeig sie mir.«
»Hier, an diesem Finger; ich habe mich heute morgen nach dem Dorfe begeben, von wo man uns den Bauern gebracht hat, der am Typhus gestorben ist; ich weiß nicht, warum man ihn öffnen lassen wollte; ich habe diese Art von Operation schon lange nicht mehr ausgeführt.«
»Nun, und?«
»Ich bat den Distriktsarzt, mich damit zu betrauen, und habe mich geschnitten.«
Wassili Iwanowitsch erbleichte plötzlich, lief, ohne eine Silbe zu äußern, in sein Arbeitszimmer und kam mit einem Stück Höllenstein wieder; Bazaroff wollte es nehmen und das Zimmer verlassen.
»Ums Himmels willen!« rief Wassili Iwanowitsch, »erlaub mir, daß ich es mache.«
Bazaroff lächelte.
»Welche Leidenschaft für die Praxis!«
»Scherze nicht, ich beschwöre dich. Zeig mir deinen Finger; die Wunde ist nicht groß. Ich tu dir doch nicht wehe?«
»Drücke fest darauf, sei ohne Furcht.«