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Armanskij lehnte oftmals rundweg ab. Wenn die Tochter erwachsen war, hatte sie das Recht, nach Belieben mit verlotterten Kerlen zu verkehren, und er fand, dass Untreue etwas war, was Eheleute untereinander regeln sollten. Hinter derartigen Anfragen versteckten sich unzählige Fallgruben, die nur zu leicht Skandale auslösen und juristische Konflikte für Milton Security nach sich ziehen konnten. Dragan Armanskij hielt daher ein wachsames Auge auf diese Aufträge, auch wenn sie keinen nennenswerten Gewinn abwarfen.

Leider stand an diesem Morgen ausgerechnet eine solche Nachforschung zu persönlichen Verhältnissen auf der Tagesordnung. Dragan Armanskij zupfte sich die Bügelfalten zurecht, bevor er sich in seinem bequemen Bürosessel zurücklehnte. Argwöhnisch musterte er seine zweiunddreißig Jahre jüngere Mitarbeiterin Lisbeth Salander. Zum tausendsten Mal stellte er fest, dass in einem renommierten Sicherheitsunternehmen wohl kaum ein Mensch so augenfällig fehl am Platze sein konnte wie sie. Doch für Armanskij war Lisbeth Salander die fähigste Ermittlerin, die er in dieser Branche je kennengelernt hatte. Während der vier Jahre ihrer Zusammenarbeit mit ihm hatte sie weder bei einem Auftrag geschludert noch einen einzigen mittelmäßigen Bericht abgegeben - ihre Arbeit war eine Klasse für sich. Armanskij war überzeugt, dass Lisbeth Salander über ein einmaliges Talent verfügte. Jeder konnte Kreditauskünfte einholen oder beim Gerichtsvollzieher nachfragen, aber Salander besaß Phantasie und legte immer völlig unerwartete Ergebnisse vor. Wie sie das anstellte, hatte er nie verstanden, und bisweilen schien ihre Fähigkeit, Informationen ans Licht zu holen, die reine Magie zu sein. Sie war aufs Beste vertraut mit allen möglichen bürokratischen Archiven und konnte die zwielichtigsten Existenzen ausfindig machen. Vor allem besaß sie die Fähigkeit, sich in die Person hineinzuversetzen, die sie gerade untersuchte. Wenn da irgendetwas faul war, das ans Tageslicht geholt werden musste, schoss sie so treffsicher auf ihr Ziel zu wie ein programmiertes Cruisemissile.

Dieses Talent hatte sie wohl schon immer gehabt.

Ihre Berichte konnten für den Menschen, der auf ihren Radarschirm geraten war, allerdings eine Katastrophe auslösen. Armanskij brach immer noch der Schweiß aus, wenn er daran dachte, wie er ihr einmal den Auftrag erteilt hatte, vor einer Firmenübernahme einen Lebensmittelchemiker einer Routinekontrolle zu unterziehen. Für diesen Job war eine Woche angesetzt gewesen, aber er zog sich dann doch in die Länge. Nach vier Wochen Schweigen und mehreren Nachfragen, die sie einfach ignoriert hatte, legte sie einen Bericht vor, in dem sie nachwies, dass das betreffende Objekt pädophil war und in mindestens zwei Fällen Sex mit einer Dreizehnjährigen vom Babystrich in Tallinn gehabt hatte. Außerdem deuteten gewisse Anzeichen darauf hin, dass er obendrein ein unziemliches Interesse für die Tochter seiner damaligen Lebensgefährtin hegte.

Salander hatte Eigenschaften, die Armanskij manchmal an den Rand der Verzweiflung trieben. Nachdem sie entdeckt hatte, dass der Mann pädophil war, hatte sie nicht zum Hörer gegriffen und Armanskij alarmiert und war auch nicht in sein Büro geplatzt, um ihn um eine Unterredung zu bitten. Im Gegenteil - ohne im Mindesten anzudeuten, dass ihr Bericht Sprengstoff von geradezu nuklearen Ausmaßen enthielt, hatte sie ihn eines Abends stillschweigend auf seinen Schreibtisch gelegt. Er hatte den Bericht mit nach Hause genommen und ihn erst spätabends aufgeschlagen, als er sich vor dem Fernseher im Wohnzimmer seiner Villa in Lidingö gerade ganz entspannt eine Flasche Wein mit seiner Frau teilte.

Der Bericht war wie immer nüchtern geschrieben und mit fast wissenschaftlicher Sorgfalt erstellt, inklusive Fußnoten, Zitaten und exakten Quellenangaben. Die ersten Seiten referierten den Hintergrund des Objekts, seine Ausbildung, Karriere und finanzielle Situation. Erst auf Seite 24, unter einer Zwischenüberschrift, hatte Salander die Bombe mit seinen Ausflügen nach Tallinn platzen lassen, allerdings in demselben sachlichen Ton, mit dem sie auch von seiner Villa in Sollentuna und seinem blauen Volvo berichtet hatte. Um ihre Behauptungen zu belegen, verwies sie auf den umfangreichen Anhang, in dem sich auch Fotos fanden, die das dreizehnjährige Mädchen zusammen mit dem Objekt zeigten. Eines der Bilder war in einem Hotelflur in Tallinn entstanden; er hatte seine Hand unter ihr Oberteil geschoben. Irgendwie hatte Lisbeth Salander auch noch das betreffende Mädchen ausfindig machen können und sie dazu gebracht, einen detaillierten Bericht auf Tonband zu sprechen.

Dieser Bericht löste genau die Art von Chaos aus, die Armanskij gerne vermieden hätte. Zunächst einmal musste er ein paar von den Magentabletten schlucken, die ihm sein Arzt verschrieben hatte. Danach bestellte er die Auftraggeber unverzüglich zu einem unangenehmen Gespräch ein. Schließlich sah er sich - trotz ihres spontanen Protests - gezwungen, das ganze Material der Polizei zu übergeben. Was wiederum bedeutete, dass Milton Security riskierte, in einen einzigen Zirkus von Anklagen und Gegenanklagen verwickelt zu werden. Falls das Beweismaterial des Berichts nicht stichhaltig war oder der Mann freigesprochen wurde, konnte das Unternehmen durchaus wegen übler Nachrede belangt werden. Es war wirklich ein Elend.

Dabei war es nicht einmal Lisbeth Salanders bemerkenswerter Mangel an Emotionen, der ihn am meisten störte. Es ging ums Image. Miltons Image war konservative Stabilität. Salander passte in dieses Bild ungefähr so gut wie ein Schaufelbagger in eine Bootsausstellung.

Armanskij konnte sich nur schwer mit dem Gedanken versöhnen, dass seine Star-Ermittlerin ein bleiches, anorektisch mageres Mädchen war, das stoppelkurzes Haar und Piercings in Nase und Augenbrauen hatte. Auf ihren Hals war eine zwei Zentimeter große Wespe tätowiert, und um den Bizeps des linken Armes sowie um einen Knöchel wand sich je ein weiteres Tattoo. Als sie einmal ein Top trug, hatte Armanskij außerdem feststellen können, dass ihr Schulterblatt noch ein größeres Tattoo in Gestalt eines Drachen zierte. Sie war eigentlich rothaarig, hatte ihr Haar jedoch pechschwarz gefärbt. Sie sah aus, als wäre sie gerade nach einer einwöchigen Orgie mit einer Hardrockgang aufgewacht.

Sie hatte - da war sich Armanskij ganz sicher - keine richtigen Essstörungen, vielmehr schien sie ein Fall von Junkfood zu sein. Sie war ganz einfach dünn geboren und hatte diesen leichten Knochenbau, der sie mädchenhaft und feingliedrig aussehen ließ, mit kleinen Händen, schmalen Handgelenken und Brüsten, die man unter ihrer Kleidung kaum ausmachen konnte. Sie war vierundzwanzig, sah aber aus wie vierzehn.

Sie hatte einen breiten Mund, eine kleine Nase und hohe Wangenknochen, die ihrem Aussehen einen leicht orientalischen Touch verliehen. Ihre Bewegungen waren rasch und spinnenartig, und wenn sie am Computer arbeitete, flogen ihre Finger geradezu manisch über die Tastatur. Ihr Körper war völlig ungeeignet für eine Karriere als Model, doch mit dem richtigen Make-up hätte eine Nahaufnahme ihres ungleichmäßigen Gesichts jedes Werbeplakat zieren können. Unter ihrer Schminke - manchmal trug sie dazu noch einen abstoßenden schwarzen Lippenstift -, ihren Tattoos und den Piercings in Nase und Augenbrauen war sie durchaus anziehend. Auf eine ganz unbegreifliche Art und Weise.

Dass Lisbeth Salander überhaupt für Dragan Armanskij arbeitete, war an und für sich schon verblüffend. Sie war nicht die Art Frau, mit der Armanskij für gewöhnlich in Kontakt kam, von einem Jobangebot ganz zu schweigen.

Sie hatte eine Bürostelle als Mädchen für alles gehabt, als Holger Palmgren, ein kurz vor der Pensionierung stehender Rechtsanwalt, der sich um die persönlichen Angelegenheiten des alten J. F. Milton kümmerte, Armanskij plötzlich darauf hinwies, dass Lisbeth Salander ein ziemlich cleveres Mädchen wäre, das nur ein bisschen schwierig im Auftreten sei. Palmgren bat Armanskij, ihr eine Chance zu geben, was dieser ihm widerwillig versprochen hatte. Palmgren gehörte zu der Sorte Mann, die ein Nein als Ansporn betrachten würden, ihre Anstrengungen zu verdoppeln; da war es einfacher, gleich Ja zu sagen. Armanskij wusste, dass Palmgren eine Schwäche für schwierige Jugendliche und ähnlichen Sozialquatsch hatte, aber trotz allem ein gutes Urteilsvermögen besaß.