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Er fand mehrere Kuverts mit Bildern, die Greger offensichtlich selbst aufgenommen hatte. Sie zeigten verschiedene Personen und Familientreffen sowie eine ganze Menge typischer Urlaubsfotos vom Fischen oder von einer Italienreise mit der Familie. Sie hatten unter anderem den schiefen Turm von Pisa besucht.

Nach und nach fand er vier Aufnahmen vom Unfall mit dem Tanklaster. Trotz seiner ausgesprochen professionellen Kamera war Greger Vanger ein miserabler Fotograf. Die Bilder zoomten entweder den Tanklaster heran oder zeigten Leute von hinten. Er fand ein einziges Bild, auf dem Cecilia im Halbprofil zu sehen war.

Mikael scannte die Fotos ein, wusste aber schon, dass sie zu nichts führen würden. Er packte alles wieder in den Karton und aß ein belegtes Brot, während er überlegte. Gegen drei ging er zu Anna Nygren.

»Ich frage mich, ob Henrik wohl noch mehr Fotoalben hat als die, die sozusagen zu seinen Nachforschungen in Harriets Fall gehören.«

»Ja, Henrik hat sich schon immer für Fotografie interessiert, soviel ich weiß. Er hat viele Alben im Arbeitszimmer.«

»Können Sie sie mir zeigen?«

Anna Nygren zögerte. Es war eine Sache, den Schlüssel für die Grabkapelle herauszugeben - dort waltete jedenfalls Gott -, aber es war eine ganz andere, Mikael Zugang zu Henriks Arbeitszimmer zu gewähren. Dort waltete nämlich Gottes Vorgesetzter. Mikael schlug Anna vor, Dirch Frode anzurufen, wenn sie Zweifel hätte. Schließlich erklärte sie sich widerwillig bereit, Mikael hineinzulassen. Im untersten Regalfach nahmen die Fotoalben einen ganzen Meter ein. Mikael setzte sich an Henriks Schreibtisch und schlug das erste Album auf.

Henrik hatte alle möglichen Familienfotos aufgehoben. Viele waren offensichtlich lange vor seiner Zeit aufgenommen worden. Ein paar von den ältesten Fotos stammten aus der Zeit um 1870 und zeigten barsche Männer und reservierte Frauen. Da waren Bilder von Henriks Eltern und anderen Verwandten. Eine Aufnahme zeigte Henriks Vater, wie er 1906 in Sandhamn mit guten Freunden Mittsommer feierte. Ein anderes Foto aus Sandhamn zeigte Fredrik und seine Frau Ulrika zusammen mit Anders Zorn und Albert Engström an einem Tisch, auf dem geöffnete Flaschen standen. Er fand einen Henrik Vanger im Teenageralter, der im Anzug auf seinem Fahrrad saß. Auf anderen Bildern waren Menschen in Fabriken und Direktorenzimmern zu sehen. Er entdeckte den Kapitän Oskar Granath, der Henrik und seine geliebte Edith Lobach mitten im Krieg nach Karlskrona in Sicherheit gebracht hatte.

Anna brachte ihm eine Tasse Kaffee. Er bedankte sich. Er hatte sich bis in modernere Zeiten vorgearbeitet und blätterte mehrere Seiten mit Fotos um, die Henrik Vanger auf dem Höhepunkt seines Lebens zeigten, als er Fabriken einweihte und Tage Erlander die Hand schüttelte. Ein Bild aus den frühen sechziger Jahren zeigte ihn mit Marcus Wallenberg. Die zwei starrten sich grimmig an und schienen nicht gerade große Sympathie füreinander zu empfinden.

Er blätterte weiter und blieb plötzlich bei einer Doppelseite hängen, auf die Henrik mit Bleistift »Familienrat 1966« geschrieben hatte. Zwei Farbfotos zeigten Herren, die sich unterhielten und Zigarren rauchten. Mikael erkannte Henrik, Harald und Greger wieder sowie die meisten der eingeheirateten Männer aus Johan Vangers Familienzweig. Auf zwei Aufnahmen waren ungefähr vierzig Männer und Frauen zu sehen, die sich zum Abendessen an den Tisch gesetzt hatten und in die Kamera blickten. Mikael wurde auf einmal klar, dass diese Fotos nach dem dramatischen Ereignis auf der Brücke aufgenommen worden waren. Offenbar hatte noch niemand bemerkt, dass Harriet verschwunden war. Er studierte ihre Gesichter genau. Das war das Abendessen, bei dem sie hätte dabei sein sollen. Wusste einer der Herren schon, dass sie weg war? Die Bilder gaben keine Antwort.

Da verschluckte sich Mikael plötzlich an seinem Kaffee. Er hustete und setzte sich ruckartig auf.

An der hinteren Schmalseite des Tisches saß Cecilia und lächelte in die Kamera. Neben ihr saß eine andere blonde Frau mit langen Haaren und dem gleichen hellen Kleid. Sie sahen sich so ähnlich, sie hätten Zwillinge sein können. Und mit einem Schlag fiel das Puzzlestückchen auf seinen Platz. Nicht Cecilia hatte an Harriets Fenster gestanden - ihre zwei Jahre jüngere Schwester Anita Vanger war es gewesen, die nun in London wohnte.

Was hatte Lisbeth gesagt? Cecilia Vanger ist auf vielen Bildern zu sehen. Sie scheint zwischen verschiedenen Gruppen hin und her zu wechseln. Nicht im Geringsten. Es waren zwei Personen, und zufälligerweise waren sie nie auf demselben Foto zu sehen. Auf den Schwarz-Weiß-Fotos hatten sie gleich ausgesehen. Henrik hatte den Unterschied zwischen den Schwestern wahrscheinlich die ganze Zeit erkannt, aber für Mikaels und Lisbeths Augen war die Ähnlichkeit so groß gewesen, dass sie davon ausgegangen waren, es müsse sich um ein und dieselbe Person handeln. Und keiner hatte den Irrtum korrigiert, weil es den beiden nie eingefallen war, die entsprechende Frage zu stellen.

Mikael blätterte um und spürte, wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten. Ihm war, als wäre ein kalter Luftzug durch den Raum gegangen.

Diese Bilder waren am nächsten Tag gemacht worden, als die Suche nach Harriet schon angefangen hatte. Ein junger Kommissar Morell erteilte einer Gruppe mit zwei uniformierten Polizisten und zirca zehn Männern mit Stiefeln Anweisungen, bevor sie sich auf ihre Suche begaben. Henrik Vanger trug eine knielange Regenjacke und einen englischen Hut mit schmaler Krempe.

Ganz links am Bildrand stand ein junger, leicht pummeliger Mann mit hellem halblangem Haar. Er trug einen dunklen Steppanorak mit einem roten Einsatz an den Schultern. Das Bild war scharf. Mikael erkannte ihn sofort wieder, nahm das Bild aber zur Sicherheit heraus, ging damit zu Anna Nygren und fragte sie, ob sie ihn wiedererkannte.

»Ja natürlich, das ist Martin Vanger. Er ist wohl so um die achtzehn auf diesem Bild.«

Lisbeth Salander ackerte sich in chronologischer Reihenfolge durch die nach Jahrgängen geordneten Zeitungsausschnitte, die vom Vanger-Konzern handelten. Sie begann mit dem Jahr 1949. Das Problem war allerdings, dass der Vanger-Konzern in diesem Zeitraum fast jeden Tag in den Medien auftauchte - nicht nur in den landesweiten Medien, sondern vor allem in der lokalen Presse. Da gab es Wirtschaftsanalysen, Gewerkschaften, Verhandlungen und Kündigungsdrohungen, Fabrikeröffnungen und Fabrikschließungen, Jahresabschlüsse, Direktorenwechsel, neue Produkte, die eingeführt wurden … ein Strom von Nachrichten. Klick. Klick. Klick. Ihr Gehirn lief auf Hochtouren.

Nach ein paar Stunden kam ihr eine Idee. Sie wandte sich an die Archiv-Chefin Bodil Lindgren und fragte, ob es irgendwo eine Liste aller Vanger-Fabriken und Dependancen in den fünfziger und sechziger Jahren gäbe.

Bodil Lindgren sah Lisbeth Salander mit offensichtlichem Misstrauen und Kühle an. Sie war überhaupt nicht begeistert, dass ein wildfremder Mensch sich plötzlich in das Allerheiligste des Vanger-Archivs drängeln und nach Belieben alle Papiere einsehen konnte. Noch dazu ein Mädchen, das wie eine verrückte fünfzehnjährige Anarchistin aussah. Aber Dirch Frode hatte ihr unmissverständliche Anweisungen gegeben. Und sie hatte es eilig. Bodil brachte die gedruckten Jahresberichte, nach denen Lisbeth sich erkundigt hatte. Jeder Jahresbericht enthielt eine Karte der Außenposten des Konzerns in ganz Schweden.

Lisbeth warf einen Blick auf die Karte und bemerkte, dass der Konzern viele Fabriken, Büros und Verkaufsstellen besaß. Sie stellte fest, dass sich überall dort, wo ein Mord geschehen war, auch ein roter Punkt befand - manchmal auch mehrere -, der eine Niederlassung des Vanger-Konzerns bezeichnete.

Den ersten Treffer hatte sie 1957. Rakel Lunde, Landskrona, wurde tot aufgefunden, einen Tag nachdem das Unternehmen V&C Bau einen Großauftrag über mehrere Millionen für den Bau eines neuen Einkaufszentrums vor Ort ergattert hatte. V&C stand für Vanger & Carlén Bau und gehörte zum Vanger-Konzern. Die Lokalzeitung hatte Gottfried Vanger interviewt, der angereist war, um den Vertrag zu unterzeichnen.