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Vor Martins Haus blieb er unentschlossen stehen, schaltete sein Handy ein und wählte Lisbeths Nummer. Immer noch keine Antwort. Er stellte das Handy ab, damit es nicht überraschend zu klingeln begann.

Im Erdgeschoss brannte Licht. Mikael ging über den Rasen und blieb ein paar Meter vor dem Küchenfenster stehen, aber er konnte keine Bewegung ausmachen. Dann drehte er eine Runde ums Haus und blieb an jedem Fenster stehen, doch Martin Vanger konnte er nirgends sehen. Er entdeckte jedoch, dass die Hintertür der Garage nur angelehnt war. Sei kein Idiot, verdammt noch mal. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, einen kurzen Blick zu riskieren.

Das Erste, was er sah, war ein offener Karton auf einer Hobelbank, der Munition für einen Elchstutzen enthielt. Danach die zwei Benzinkanister auf dem Boden unter der Bank.

Vorbereitungen für den nächsten nächtlichen Besuch, Martin?

»Kommen Sie rein, Mikael. Ich hab Sie schon auf der Straße gesehen.«

Mikaels Herz setzte einen Schlag aus. Er wandte langsam den Kopf und sah Martin Vanger im Dunkeln an einer Tür der Garage stehen, die ins Haus führte.

»Sie konnten einfach nicht wegbleiben, was?«

Die Stimme war ruhig, fast schon freundlich.

»Hallo, Martin«, antwortete Mikael.

»Kommen Sie rein«, wiederholte Martin Vanger. »Hier entlang.«

Er ging einen Schritt nach vorne und zur Seite und streckte seine linke Hand in einer einladenden Geste aus. Er hob seine Rechte, und Mikael konnte einen Reflex auf mattem Metall ausmachen.

»Ich habe eine Glock in der Hand. Tun Sie jetzt nichts Unkluges. Auf diese Entfernung kann ich nicht vorbeischießen.«

Mikael kam langsam näher. Als er bei Martin Vanger angekommen war, blieb er stehen und sah ihm in die Augen.

»Ich musste einfach herkommen. Es gibt so viele Fragen.«

»Das verstehe ich. Bitte, durch die Tür.«

Mikael ging langsam ins Haus. Der Durchgang führte zum Flur und weiter in die Küche, doch bevor er dort war, hielt Martin Vanger ihn mit einer leichten Berührung an der Schulter zurück.

»Nein, nicht so weit. Hier rechts. Öffnen Sie die Tür hier auf der Seite.«

Der Keller. Als Mikael die Kellertreppe zur Hälfte hinuntergegangen war, drückte Martin Vanger auf einen Lichtschalter, worauf ein paar Lampen angingen. Rechts war der Heizungskeller. Von vorne kam Mikael der Geruch von Waschmittel entgegen. Martin lenkte ihn nach links, in einen Lagerraum mit alten Möbeln und Kartons. Weiter hinten war noch eine Tür. Eine Stahltür mit Sicherheitsschloss.

»Hier«, sagte Martin Vanger und warf Mikael einen Schlüsselbund zu. »Machen Sie auf.«

»Rechts ist ein Lichtschalter.«

Mikael hatte die Tür zur Hölle geöffnet.

Gegen neun Uhr ging Lisbeth Salander kurz hinaus, um sich an einem Automaten im Korridor vor dem Archiv einen Kaffee und ein in Plastik verpacktes belegtes Brötchen zu kaufen. Dann blätterte sie weiter in alten Papieren und konzentrierte sich darauf, 1954 in Kalmar eine Spur von Gottfried Vanger zu finden. Es gelang ihr nicht.

Sie überlegte, ob sie Mikael Blomkvist anrufen sollte, entschied sich aber, die Personalzeitungen auch noch durchzugehen, bevor sie Feierabend machte.

Der Raum war ungefähr fünf mal zehn Meter groß. Mikael vermutete, dass er an der nördlichen Schmalseite des Hauses liegen musste.

Martin Vanger hatte seine private Folterkammer sorgfältig eingerichtet. Links Ketten, Metallringe an der Decke und im Boden, ein Tisch mit Lederriemen, auf dem er seine Opfer festschnallen konnte, und eine Videoausrüstung. Ein Aufnahmestudio. Ganz hinten im Raum stand ein Stahlkäfig, in dem er seine Gäste längerfristig einsperren konnte. Rechts von der Tür ein Bett und eine Fernsehecke. Auf einem Regal konnte Mikael jede Menge Videofilme entdecken.

Sobald sie den Raum betreten hatten, richtete Martin Vanger die Pistole auf Mikael und befahl ihm, sich bäuchlings auf den Boden zu legen. Mikael weigerte sich.

»Okay«, sagte Martin Vanger, »dann schieße ich Ihnen in die Kniescheiben.«

Er entsicherte. Mikael kapitulierte. Er hatte keine Wahl.

Er hatte gehofft, dass Martins Aufmerksamkeit einmal für eine Zehntelsekunde nachlassen würde - er wusste, dass er einen Kampf gegen ihn gewinnen würde. Als Martin ihm oben an der Treppe die Hand auf die Schulter legte, hatte er eine kleine Chance gehabt, aber zu lange gezögert. Danach war Martin nicht mehr in seine Nähe gekommen. Und mit verletzten Knien hatte er gar keine Chance mehr. Er legte sich auf den Boden.

Martin näherte sich ihm von hinten und befahl Mikael, die Hände auf den Rücken zu legen. Er legte ihm Handschellen an. Dann versetzte er Mikael einen Tritt zwischen die Beine und begann, auf ihn einzuprügeln.

Was danach geschah, erschien Mikael wie ein Alptraum. Martin Vangers geistiger Zustand wechselte zwischen Vernunft und Wahnsinn. Phasenweise war er anscheinend ruhig. Im nächsten Moment lief er im Keller auf und ab wie ein Tier im Käfig. Mehrfach versetzte er Mikael Tritte. Mikael konnte weiter nichts tun, als zu versuchen, seinen Kopf zu schützen und die Schläge bestmöglich abzufangen. Nach wenigen Minuten schmerzte sein Körper von einem Dutzend Verletzungen.

Während der ersten halben Stunde sagte Martin kein Wort und war nicht ansprechbar. Danach schien er sich zu beruhigen. Er holte eine Kette, legte sie Mikael um den Hals und befestigte sie mit einem Vorhängeschloss an einem Metallring am Boden. Dann ließ er ihn eine knappe Viertelstunde allein. Als er wiederkam, hatte er eine Literflasche Tafelwasser dabei. Er setzte sich auf einen Stuhl und betrachtete Mikael, während er trank.

»Kann ich ein bisschen Wasser haben?«, fragte Mikael.

Martin Vanger beugte sich herab und ließ ihn großzügig aus der Flasche trinken. Mikael schluckte gierig.

»Danke.«

»Immer so höflich, Kalle Blomkvist.«

»Warum diese Tritte?«, fragte Mikael.

»Weil Sie mich so böse gemacht haben. Sie verdienen Strafe. Warum sind Sie nicht einfach nach Hause gefahren? Sie wurden bei Millennium gebraucht. Ich hatte es ernst gemeint - wir hätten ein großes Magazin daraus machen können. Wir hätten viele Jahre zusammenarbeiten können.«

Mikael zog eine Grimasse und versuchte, seinen Körper in eine bequemere Stellung zu bringen. Er war hilflos. Alles, was er hatte, war seine Stimme.

»Ich schätze, damit wollen Sie sagen, dass diese Chance endgültig verpasst ist«, sagte Mikael.

Martin Vanger lachte.

»Tut mir leid, Mikael. Aber Ihnen muss doch klar sein, dass Sie hier unten sterben werden.«

Mikael nickte.

»Wie zum Teufel seid Ihr nur auf mich gekommen, Sie und diese anorektische Hexe, die Sie hier mit reingezogen haben?«

»Sie haben gelogen, als man Sie fragte, was Sie gemacht haben, als Harriet verschwand. Ich kann beweisen, dass Sie beim Festzug am ›Tag des Kindes‹ in Hedestad waren. Sie wurden fotografiert, als Sie Harriet ansahen.«

»Sind Sie deswegen nach Norsjö gefahren?«

»Ja, um das Foto zu holen. Es war von einem Paar aufgenommen worden, das sich zufällig in Hedestad aufgehalten hatte.«

Martin Vanger schüttelte den Kopf.

»Der Teufel soll mich holen, wenn das wahr ist.«

Mikael versuchte, die Achseln zu zucken. Er überlegte angestrengt, was er sagen konnte, um seine Hinrichtung zu verhindern oder aufzuschieben.

»Wo ist das Foto jetzt?«

»Das Negativ? Das liegt in meinem Fach in der Handelsbank hier in Hedestad … wussten Sie nicht, dass ich mir ein Bankschließfach gemietet habe?« Die Lügen gingen ihm ganz leicht über die Lippen. »Kopien gibt es mehrere. In meinem und in Lisbeths Computer, auf dem Bildserver bei Millennium und auf dem Server von Milton Security, wo Lisbeth arbeitet.«

Martin Vanger wartete und versuchte einzuschätzen, ob Mikael bluffte oder nicht.

»Wie viel weiß Salander?«

Mikael zögerte. Lisbeth Salander war jetzt seine einzige Hoffnung auf Rettung. Was würde sie tun, wenn sie nach Hause kam und bemerkte, dass er verschwunden war? Er hatte das Foto von Martin Vanger im Anorak auf den Küchentisch gelegt. Würde sie die Verbindung herstellen können? Würde sie Alarm schlagen? Sie war nicht der Typ, der die Polizei anruft. Der Alptraum schlechthin wäre es, wenn sie bei Martin Vanger an der Tür klingeln würde, um sich nach ihm zu erkundigen.