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Lisbeth Salander blickte plötzlich von ihrem Computer auf. Ihre Stimme war schrecklich sanft, als sie das Wort an Dirch Frode richtete.

»Gibt es denn niemand im Konzern, der mich zum Schweigen bringen will?«

Frode sah verblüfft aus. Er hatte ihre Existenz wieder einmal ignoriert.

»Wenn Martin Vanger in diesem Moment noch am Leben wäre, dann hätte ich alles öffentlich gemacht«, fuhr sie fort. »Egal, welche Vereinbarung Mikael mit Ihnen getroffen hat, ich hätte jedes Detail an die nächste Abendzeitung weitergegeben. Und wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, dann hätte ich ihn in seinen eigenen Folterkeller mitgenommen, ihn auf diesem Tisch festgeschnallt und ihm Nägel durch den Sack getrieben. Aber er ist tot.«

Sie wandte sich an Mikael.

»Ich bin zufrieden mit der Lösung. Nichts, was wir tun, könnte die Leiden ungeschehen machen, die Martin Vanger seinen Opfern zugefügt hat. Allerdings ist jetzt eine interessante Konstellation entstanden. Auch du könntest unschuldigen Frauen Leid zufügen - nicht zuletzt Harriet, die du eben noch so feurig verteidigt hast. Ich frage dich also: Was ist schlimmer - dass Martin Vanger sie in Gottfrieds Häuschen vergewaltigt hat oder dass du dasselbe durch die Schlagzeilen tun willst? Nettes Dilemma. Vielleicht kann dir ja der Ethikausschuss des Journalistenverbandes weiterhelfen.«

Sie machte eine Pause. Mikael konnte Lisbeth plötzlich nicht mehr in die Augen sehen. Er starrte auf den Tisch.

»Aber ich bin natürlich keine Journalistin«, fügte sie schließlich hinzu.

»Was fordern Sie?«, fragte Dirch Frode.

»Martin hat seine Opfer mit einer Videokamera gefilmt. Ich will, dass Sie versuchen, so viele wie möglich zu identifizieren, und dafür sorgen, dass ihre Familien ein angemessenes Schmerzensgeld erhalten. Außerdem will ich, dass der Vanger-Konzern jährlich zwei Millionen Kronen für die ROKS, die Zentralorganisation der Frauenhäuser in Schweden, zur Verfügung stellt.«

Frode dachte ein paar Minuten über diesen Preis nach. Dann nickte er.

»Kannst du damit leben, Mikael?«, fragte Lisbeth.

Mikael war auf einmal verzweifelt. Während seines gesamten Berufslebens hatte er aufgedeckt, was andere zu vertuschen versuchten, und seine Moral verbot ihm, sich an der Vertuschung der schrecklichen Verbrechen in Martin Vangers Keller zu beteiligen. Sein Berufsethos verlangte, dass er sein Wissen der Öffentlichkeit mitteilte. Er hatte seine Kollegen immer kritisiert, wenn sie die Wahrheit nicht aussprachen. Und dennoch saß er jetzt hier und diskutierte das makaberste Vertuschungsmanöver, von dem er jemals gehört hatte.

Er schwieg lange. Dann nickte auch er. »Gut.«

Frode wandte sich an Mikael. »Was Henriks Angebot einer Entschädigung betrifft …«

»Die kann er sich in den Hintern schieben«, schnitt Mikael ihm das Wort ab. »Dirch, ich will, dass Sie jetzt gehen. Ich verstehe Ihre Verlegenheit, aber im Moment bin ich gerade so wütend auf Sie und Henrik und Harriet, dass unsere Freundschaft in die Brüche gehen wird, wenn Sie jetzt noch länger bleiben.«

Dirch Frode blieb am Küchentisch sitzen und machte keine Anstalten aufzustehen.

»Ich kann noch nicht gehen«, sagte er. »Ich bin noch nicht fertig. Ich habe noch eine Botschaft zu überbringen, die Ihnen nicht gefallen wird. Henrik besteht darauf, dass ich sie Ihnen heute ausrichte. Sie können morgen ins Krankenhaus fahren und ihn dafür zur Rechenschaft ziehen.«

Mikael hob langsam den Blick und sah ihm in die Augen.

»Das hier ist wohl das Schwerste, was ich in meinem ganzen Leben tun musste«, begann Frode. »Aber ich glaube, dass in der jetzigen Situation nur noch restlose Ehrlichkeit angebracht ist. Ich will die Karten offen auf den Tisch legen.«

»Was?«

»Als Henrik Sie zu diesem Job überredet hat, glaubten weder er noch ich, dass es wirklich Resultate geben würde. Es war so, wie er sagte - er wollte einfach einen letzten Versuch unternehmen. Er hatte Ihre missliche Lage gründlich analysiert, nicht zuletzt mit Hilfe des Berichts, den Frau Salander erstellt hatte. Er nutzte ihre Isolation aus, bot Ihnen eine gute Bezahlung und verwendete den richtigen Köder.«

»Wennerström.«

Frode nickte.

»Sie haben geblufft?«

»Nein.«

Lisbeth zog interessiert die Augenbrauen hoch.

»Henrik wird all seine Versprechen einlösen«, sagte Frode. »Er wird Interviews geben und einen öffentlichen Frontalangriff auf Wennerström starten. Die Details können Sie später erfahren, aber kurz gesagt verhält sich die Sache so, dass Wennerström während seiner Zeit in der kaufmännischen Abteilung mehrere Millionen für Valutaspekulationen eingesetzt hat. Das war lange, bevor das Day Trading zum echten Phänomen wurde. Er hatte dafür keine Genehmigung bei der Unternehmensleitung eingeholt. Die Geschäfte gingen in die Binsen, und plötzlich saß er mit einem Verlust von sieben Millionen da, den er teils durch frisierte Bücher auszugleichen versuchte, teils durch weitere, noch gewagtere Spekulationen. Er wurde erwischt und gefeuert.«

»Hat er etwa in die eigene Tasche gewirtschaftet?«

»Ja, er bekam ungefähr eine halbe Million Kronen, die dann bizarrerweise den Grundstock für seine Wennerstroem Group bildeten. Sie können diese Information verwenden, wie Sie wollen, und Henrik wird Ihre Behauptungen öffentlich bestätigen. Aber …«

»Aber diese Information ist wertlos«, vollendete Mikael seinen Satz und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

Frode nickte.

»Das ist dreißig Jahre her - das ist ein abgeschlossenes Kapitel!«, rief Mikael.

»Sie bekommen die Bestätigung, dass Wennerström ein Schwindler ist.«

»Dass es herauskommt, wird Wennerström ärgern, aber es wird ihm nicht mehr wehtun, als wenn ihn kleine Jungs mit Erbsen aus einem Blasrohr beschießen würden. Er wird mit den Schultern zucken und ein Ablenkungsmanöver starten, indem er eine Pressemitteilung rausschickt, dass Henrik Vanger ein alter Knacker ist, der irgendein Geschäft von ihm übernehmen will. Im selben Atemzug wird er behaupten, dass er damals auf Henriks Anordnung gehandelt hat. Selbst wenn er seine Unschuld nicht beweisen kann, kann er immer noch so viele Vernebelungstaktiken einsetzen, dass die Geschichte schließlich mit einem Achselzucken abgetan wird.«

Dirch Frode sah unglücklich drein.

»Sie haben mich beschissen«, sagte Mikael schließlich.

»Mikael … so war das nicht gemeint.«

»Ich bin selbst schuld. Ich habe nach einem Strohhalm gegriffen und hätte gleich merken müssen, dass es nur ein Vorwand war.« Er lachte kurz auf. »Henrik ist ein alter Hai. Er musste mir ein Produkt verkaufen, also hat er mir gesagt, was ich hören wollte.«

Mikael stand auf und ging zur Spüle hinüber. Dann drehte er sich zu Frode um und fasste seine Gefühle in zwei Worten zusammen.

»Verschwinden Sie!«

»Mikael … ich bedaure, dass …«

»Dirch. Gehen Sie.«

Lisbeth wusste nicht, ob sie zu Mikael gehen oder ihn in Ruhe lassen sollte. Er löste das Problem, indem er sich plötzlich wortlos seine Jacke griff und die Haustür hinter sich zuknallte.

Über eine Stunde tigerte sie in der Küche auf und ab. Sie war so unglücklich, dass sie sich das Geschirr vornahm und abwusch - eine Aufgabe, die sie sonst Mikael überließ. Ab und zu ging sie ans Fenster und hielt nach ihm Ausschau. Schließlich wurde sie so unruhig, dass sie ihre Lederjacke anzog und hinausging, um ihn zu suchen.

Sie eilte zuerst zum Kleinboothafen hinunter, wo in den Häusern immer noch Licht brannte, aber weit und breit war kein Mikael zu sehen. Dann lief sie am Wasser entlang, wo Mikael und sie abends oft spazieren gingen. Martin Vangers Haus war dunkel und wirkte bereits unbewohnt. Sie ging bis zu den Steinen auf der Landzunge, wo Mikael und sie bei anderer Gelegenheit gesessen hatten, dann lief sie nach Hause. Er war noch nicht zurückgekommen.