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»Ihr konntet keinen Rückzieher machen und die Wahrheit erzählen. Ihr hattet überhaupt keinen Beweis, dass Wennerström selbst hinter dieser Fälschung steckte.«

»Es war noch schlimmer. Wenn wir versucht hätten, die Wahrheit zu erzählen, und wenn wir auch noch verrückt genug gewesen wären, Wennerström als Urheber dieser Fälschung zu bezeichnen, dann hätte uns kein Mensch geglaubt. Es hätte ausgesehen wie ein verzweifelter Versuch, auf Gedeih und Verderb einem unschuldigen Industriellen die Schuld in die Schuhe zu schieben. Wir hätten dagestanden wie die größten Verschwörungstheoretiker und Vollidioten.«

»Verstehe.«

»Wennerström war doppelt abgesichert. Wäre der Fake aufgeflogen, hätte er behaupten können, einer seiner Feinde habe ihm einen Skandal anhängen wollen. Und wir bei Millennium hätten alle Glaubwürdigkeit eingebüßt, weil wir auf eine Fehlinformation hereingefallen waren.«

»Also hast du dich entschieden, dich gar nicht erst zu verteidigen und eine Gefängnisstrafe in Kauf zu nehmen.«

»Ich hatte die Strafe verdient«, sagte Mikael bitter. »Ich hatte mich einer Ehrverletzung schuldig gemacht. Nun weißt du Bescheid. Darf ich jetzt schlafen?«

Mikael machte das Licht aus und schloss die Augen. Lisbeth legte sich neben ihn. Sie schwieg eine Weile.

»Wennerström ist ein Verbrecher.«

»Ich weiß.«

»Nein, ich meine, ich weiß, dass er ein Verbrecher ist. Er arbeitet mit allen möglichen Leuten zusammen, von der russischen Mafia bis hin zu kolumbianischen Drogenkartellen.«

»Wie meinst du das?«

»Nachdem ich meinen Bericht für Frode abgegeben hatte, erteilte er mir noch einen Extraauftrag. Er bat mich herauszufinden, was bei deinem Prozess eigentlich passiert war. Ich hatte gerade angefangen, daran zu arbeiten, da rief er Armanskij an und stornierte den Auftrag.«

»Aha.«

»Ich nehme an, sie haben diese Nachforschungen fallen lassen, nachdem du Henriks Angebot akzeptiert hattest. Da war das alles nicht mehr interessant.«

»Und?«

»Tja, ich mag nun mal keine unabgeschlossenen Sachen. Im Frühjahr hatte ich ein paar Wochen frei. Armanskij hatte gerade keinen Job für mich, und da hab ich zum Spaß weiter an einer persönlichen Untersuchung von Wennerström gearbeitet.«

Mikael setzte sich auf, schaltete das Licht an und blickte in Lisbeths große Augen. Sie wirkte tatsächlich schuldbewusst.

»Hast du was rausgekriegt?«

»Ich habe seine ganze Festplatte auf meinem Computer. Wenn du willst, kriegst du beliebig viele Beweise, dass er ein Schwerverbrecher ist.«

28. Kapitel

Dienstag, 29. Juli - Freitag, 24. Oktober

Mikael Blomkvist hatte drei Tage über ihren Ausdrucken gebrütet. Das Problem war nur, dass sich die Details pausenlos veränderten. Ein Optionsgeschäft in London. Ein Valutageschäft durch einen Bevollmächtigten in Paris. Eine Briefkastenfirma in Gibraltar. Eine plötzliche Verdoppelung des Kontostandes auf einem Konto bei der Chase Manhattan Bank in New York.

Und weitere verblüffende Fragen taten sich auf: Ein Handelsgeschäft mit 200000 Kronen auf einem unberührten Konto, das fünf Jahre zuvor in Santiago de Chile registriert worden war - eines von zirka dreißig ähnlichen Unternehmen in zwölf Ländern -, und keine Spur davon, was für Geschäften diese Firmen eigentlich nachgingen. Ruhende Geschäfte? Worauf warteten sie? Waren sie nur eine Fassade für andere Aktivitäten? Der Computer konnte keine Auskunft darüber geben, was in Wennerströms Kopf vor sich ging. Was für ihn selbstverständlich war, wurde wahrscheinlich niemals in Form eines elektronischen Dokuments festgehalten.

Salander war überzeugt, dass die meisten dieser Fragen unbeantwortet bleiben würden. Sie konnte die Botschaften lesen, aber ohne den passenden Schlüssel konnte sie sie nicht deuten. Wennerströms Imperium ähnelte einer Zwiebel, deren Haut man Schicht für Schicht abzog - ein Labyrinth von Firmen mit undurchsichtigen Eigentumsverhältnissen. Unternehmen, Konten, Fonds, Wertpapiere. Sie stellten fest, dass keiner - nicht einmal Wennerström selbst - einen völligen Überblick über dieses Labyrinth haben konnte. Wennerströms Imperium führte ein Eigenleben.

Es gab allerdings ein Muster oder zumindest die Andeutung eines Musters. Alle Firmen schienen sich quasi gegenseitig zu besitzen. Das Wennerström-Imperium konnte man auf das irrwitzige Spektrum zwischen 100 und 400 Millionen Kronen schätzen. Je nachdem, wen man fragte und wie man rechnete. Aber wenn die Firmen ihr Vermögen gegenseitig besitzen - was sind diese Firmen dann in Wirklichkeit wert?

Als sie diese Fragen stellte, sah Mikael Blomkvist sie mit gequältem Gesichtsausdruck an und widmete sich wieder der Aufgabe, sich eine Übersicht über die Firmenguthaben zu verschaffen.

Sie hatten die Hedeby-Insel früh am Morgen in aller Eile verlassen, nachdem Lisbeth die Bombe hatte platzen lassen, die von da an jede wache Minute in Mikael Blomkvists Leben beanspruchte. Sie waren direkt zu Lisbeths Wohnung gefahren und hatten zwei Tage und zwei Nächte vor ihrem Computer verbracht. Sie führte ihn durch das Wennerströmsche Universum. Er hatte viele Fragen; eine davon stellte er aus reiner Neugier.

»Lisbeth, wie ist das möglich, dass du Wennerströms Computer so perfekt überwachst?«

»Eine kleine Erfindung meines Kollegen Plague. Wennerström arbeitet an einem IBM-Computer, sowohl zu Hause als auch im Büro. Das heißt, alle Informationen befinden sich auf einer einzigen Festplatte. Zu Hause benutzt er eine Breitbandverbindung. Plague hat eine Art Manschette erfunden, die man um dieses Netzwerkkabel schlingt. Die teste ich für ihn, und alles, was Wennerström zu sehen kriegt, wird auch von der Manschette gescannt, die die Informationen dann zu irgendeinem Server weiterschickt.«

»Hat er denn keine Firewall?«

Lisbeth lächelte.

»Doch, er hat eine Firewall. Aber der Witz ist, dass die Manschette quasi selbst wie eine Firewall funktioniert. Es dauert eine Weile, bis man sich so weit in einen Computer gehackt hat. Die Signale, die direkt zu Wennerströms Computer fließen, filtern wir ganz einfach, bevor sie durch seine Firewall gegangen sind. Angenommen, er bekommt eine E-Maiclass="underline" Die geht dann zuerst zu Plagues Manschette und kann von uns gelesen werden, bevor sie seine Firewall passiert. Aber das Raffinierte daran ist, die Mail wird gepatched, und ein paar Byte Quellcode werden hinzugefügt. Jedes Mal, wenn er sich etwas auf seinen Computer runterlädt, wird das wiederholt. Bilder sind noch besser. Er surft furchtbar viel im Internet. Jedes Mal, wenn er ein Pornofoto anschaut oder eine neue Homepage öffnet, bekommen wir ein paar neue Zeilen Quellcode. Nach einer Weile, ein paar Stunden oder Tagen - je nachdem, wie viel er den Computer benutzt -, hat Wennerström ein ganzes Programm von ungefähr drei Megabyte Umfang runtergeladen, bei dem ein Bit zum nächsten Bit kommt.«

»Und?«

»Wenn die letzten Bits an ihrem Platz sind, wird der Trojaner, also dieses versteckte Programm, in seinen Browser integriert. Für ihn sieht das so aus, als würde sich sein Computer aufhängen, und er müsste alles noch mal neu starten. Beim Neustart installiert sich dann ein ganz neues Programm. Wennerström verwendet den Microsoft Explorer. Das nächste Mal, wenn er den Explorer startet, startet er in Wirklichkeit ein ganz anderes Programm, das unsichtbar irgendwo auf seinem Desktop liegt. Es sieht aus wie ein Explorer, es funktioniert wie ein Explorer, aber es macht auch noch eine ganze Menge anderer Sachen. Zunächst einmal bemächtigt es sich seiner Firewall, sorgt aber gleichzeitig dafür, dass es für Wennerström so aussieht, als würde alles funktionieren. Dann beginnt es den Computer zu scannen, und jedes Mal, wenn er beim Surfen auf die Maus klickt, verschickt es Informationen. Nach einer Weile - auch da kommt es darauf an, wie viel er im Netz ist - haben wir ein komplettes Spiegelbild vom Inhalt seines Computers auf einer Festplatte unseres Servers. Und dann ist der Zeitpunkt für den HT gekommen.«