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»Aber natürlich«, erwiderte sie mit starkem Akzent, der deutlich hören ließ, dass sie nur über ein miserables Schuldeutsch verfügte.

Sie begann, sechzehnstellige Nummernserien aufzusagen, ohne ein einziges Mal auf ein Blatt Papier zu blicken. Direktor Wagner wurde klar, dass er einen mühseligen Vormittag vor sich hatte, aber gegen eine Provision von vier Prozent der Transaktionen war er bereit, sein Mittagessen ausfallen zu lassen.

Es dauerte länger, als sie gedacht hatte. Erst um kurz nach zwölf verließ Monica Sholes die Bank Hauser General und ging zurück zum Hotel Zimmertal. Sie zeigte sich an der Rezeption, bevor sie in ihr Zimmer ging und die gekauften Kleider auszog. Die Latexbrüste behielt sie an, tauschte den Pagenkopf aber gegen Irene Nessers schulterlanges blondes Haar aus. Dann zog sie sich auf etwas vertrautere Art an: Stiefel mit extra hohen Absätzen, schwarze Hose, einen einfachen Pullover und eine ordentliche schwarze Lederjacke von Malungsboden in Stockholm. Sie musterte sich im Spiegel. Sie sah zwar nicht ungepflegt aus, war aber auch keine reiche Erbin mehr. Bevor Irene Nesser das Zimmer verließ, sortierte sie ein paar Obligationspapiere aus, die sie in eine dünne Mappe legte.

Um fünf nach eins, also ein paar Minuten zu spät, ging sie in die Bank Dorffmann, die ungefähr siebzig Meter von der Bank Hauser General entfernt lag. Irene Nesser hatte ein Treffen mit Direktor Hasselmann abgemacht. Als sie sich für ihre Verspätung entschuldigte, sprach sie ein makelloses Deutsch mit norwegischem Akzent.

»Kein Problem, Fräulein Nesser«, antwortete Direktor Hasselmann. »Womit kann ich Ihnen dienen?«

»Ich will ein Konto eröffnen. Ich habe ein paar Privatobligationen, die ich verkaufen will.«

Irene Nesser legte die Mappe vor ihn auf den Tisch.

Direktor Hasselmann überflog den Inhalt, erst schnell, dann langsamer. Er hob eine Augenbraue und lächelte höflich.

Sie eröffnete fünf Nummernkonten, auf die sie per Internet zugreifen konnte. Sie gehörten einer anonymen Briefkastenfirma auf Gibraltar, die ihr ein lokaler Makler für 50 000 Kronen von Mikaels Darlehen eingerichtet hatte. Sie machte fünfzig Obligationen zu Geld, das sie auf den Konten deponierte. Jede Obligation hatte einen Wert von umgerechnet einer Million Kronen.

Ihre Geschäfte in der Bank Dorffmann zogen sich so lange hin, dass sie noch weiter hinter ihren Zeitplan zurückfiel. Sie hatte keine Möglichkeit mehr, ihre letzten Erledigungen abzuschließen, bevor die Bank zumachte. Irene Nesser ging also ins Hotel Matterhorn zurück, wo sie sich eine Stunde lang zeigte und dafür sorgte, dass man ihre Gegenwart bemerkte. Wegen angeblicher Kopfschmerzen zog sich früh zurück. An der Rezeption kaufte sie sich noch Kopfschmerztabletten und bat darum, am nächsten Morgen um acht Uhr geweckt zu werden. Dann ging sie auf ihr Zimmer.

Es war fast schon fünf, alle Banken in Europa hatten geschlossen. Die Banken auf dem amerikanischen Kontinent hingegen hatten geöffnet. Sie fuhr ihr PowerBook hoch und wählte sich über ihr Handy ins Netz ein. Sie verbrachte eine Stunde damit, die Nummernkonten zu leeren, die sie gerade vorher in der Bank Dorffmann eingerichtet hatte.

Das Geld wurde in kleinere Portionen aufgeteilt und dazu verwendet, die Rechnungen fiktiver Firmen auf der ganzen Welt zu bezahlen. Schließlich war das ganze Geld wieder zur Bank of Kronenfeld auf den Cayman Islands zurücktransferiert worden, diesmal aber zu einem ganz anderen Konto als dem, von dem sie am Morgen abgehoben worden waren.

Irene Nesser glaubte, dass zumindest dieser erste Teil des Geldes gesichert war und nicht zurückverfolgt werden konnte. Sie tätigte eine einzige Auszahlung von diesem Konto: Eine knappe Million Kronen wurde auf ein Konto überwiesen, dessen zugehörige Kreditkarte in ihrer Brieftasche war. Das Konto wiederum gehörte einer anonymen, in Gibraltar registrierten Firma mit dem Namen Wasp Enterprises.

Ein paar Minuten später verließ ein Mädchen mit blondem Pagenkopf das Hotel Matterhorn durch eine Seitentür in der Hotelbar. Monica Sholes ging zum Hotel Zimmertal, nickte dem Empfangschef höflich zu und nahm den Fahrstuhl zu ihrem Zimmer.

Dann ließ sie sich jede Menge Zeit, Monica Sholes’ Kampfkluft anzuziehen, ihr Make-up zu verbessern und noch eine Extra-Schicht Abdeckcreme auf ihr Tattoo aufzutragen. Sie ging ins Hotelrestaurant und aß ein unglaublich leckeres Fischgericht zum Abendessen. Dazu bestellte sie eine edle Flasche Wein, von dem sie noch nie gehört hatte, der aber 1200 Kronen kostete, trank ein Glas und ließ den Rest einfach stehen, als sie an die Hotelbar ging. Sie ließ ein Trinkgeld von 500 Kronen auf dem Tisch liegen, sodass der Kellner sie bestimmt in Erinnerung behalten würde.

In der Bar ließ sie sich drei Stunden lang von einem kräftig beschwipsten jungen Italiener anbaggern. Sie machte sich gar nicht erst die Mühe, sich seinen adeligen Namen zu merken. Sie teilten sich zwei Flaschen Champagner, von denen sie ungefähr ein Glas trank.

Gegen elf Uhr beugte sich ihr betrunkener Kavalier vor und begrapschte ganz ungeniert Monica Sholes Brüste. Zufrieden zog sie seine Hand auf den Tisch zurück. Er schien gar nicht bemerkt zu haben, dass er weiches Latex liebkost hatte. Sie wurden zwischenzeitlich ziemlich laut und weckten einen gewissen Unwillen bei den anderen Gästen. Als Monica Sholes kurz vor Mitternacht bemerkte, wie ein Angestellter des Hotels sie mit grimmigem Gesichtsausdruck beobachtete, half sie ihrem italienischen Freund auf sein Zimmer.

Während er im Badezimmer war, goss sie ihm und sich ein letztes Glas Rotwein ein. Sie öffnete ein zusammengefaltetes Papierheftchen und würzte seinen Wein mit einer zerstoßenen Rohypnol. Er sackte innerhalb einer Minute zu einem jämmerlichen Häuflein auf seinem Bett zusammen, kaum, dass sie ihm zugeprostet hatte. Sie löste seinen Krawattenknoten, zog ihm die Schuhe aus und deckte ihn zu. Im Bad spülte sie noch die Gläser und trocknete alles ab, bevor sie sein Zimmer verließ.

Am nächsten Morgen frühstückte Monica Sholes um sechs Uhr auf ihrem Zimmer, verteilte reichlich Trinkgeld und checkte vor sieben Uhr aus dem Hotel Zimmertal aus. Bevor sie ging, wischte sie fünf Minuten lang Fingerabdrücke von den Klinken und Kleiderschränken, von der Toilette, dem Telefonhörer und anderen Gegenständen in der Suite, die sie angefasst hatte.

Irene Nesser checkte gegen halb neun aus dem Hotel Matterhorn aus, kurz nachdem sie geweckt worden war. Sie nahm sich ein Taxi und sperrte ihre Koffer in ein Schließfach am Bahnhof. Die folgenden Stunden verbrachte sie damit, neun Privatbanken zu besuchen, auf die sie jeweils kleinere Portionen der Privatobligationen von den Cayman Islands aufteilte. Um drei Uhr nachmittags hatte sie ungefähr zehn Prozent der Obligationen in Geld umgesetzt, das sie auf zirka dreißig Nummernkonten eingezahlt hatte. Den Rest der Obligationen bündelte sie, um sie in einem Bankfach zu lagern.

Irene Nesser würde noch öfter nach Zürich kommen müssen, aber das hatte keine Eile.

Nachmittags um halb fünf nahm Irene Nesser ein Taxi zum Flughafen, wo sie die Damentoilette aufsuchte, Monica Sholes’ Pass und Kreditkarte in kleine Fetzen schnitt und hinunterspülte. Die Schere warf sie in einen Abfalleimer. Nach dem 11. September 2001 war es nicht mehr angebracht, durch spitze Gegenstände im Gepäck die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Irene Nesser nahm den Lufthansa-Flug GD890 nach Oslo und von dort den Airport Shuttle bis Oslo Hauptbahnhof, wo sie wieder die Damentoilette benutzte, um ihre Kleider zu sortieren. Alle Gegenstände, die zur Identität von Monica Sholes gehört hatten - Pagenkopf und Markenkleidung -, packte sie in drei Plastiktüten, die sie in verschiedenen Mülltonnen und Papierkörben rund um den Bahnhof verschwinden ließ. Die Goldkette und die Ohrringe waren Designerkram, der zurückverfolgt werden konnte. Sie warf sie in einen Gully.

Nach kurzem ängstlichem Zögern beschloss Irene Nesser, die falschen Latexbrüste zu behalten.

Dann wurde ihr die Zeit knapp, also aß sie nur ein hastiges Abendessen in Form eines Hamburgers bei McDonald’s, während sie den Inhalt der exklusiven Ledermappe in ihre Reisetasche stopfte. Als sie ging, ließ sie die leere Mappe unter dem Tisch stehen. An einem Kiosk kaufte sie sich noch einen Milchkaffee im Pappbecher, dann rannte sie zu ihrem Nachtzug nach Stockholm. Sie kam gerade noch rechtzeitig, bevor sich die Türen schlossen. Sie hatte sich ein eigenes Schlafwagenabteil reserviert.