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In einem Punkt waren sich alle einig: Die Person, von der die Beweise stammten, musste aus Wennerströms innerstem Zirkel stammen. Damit begann eine langatmige Nebendebatte, wer in diesem Fall der Maulwurf war. Mitarbeiter, die vielleicht Grund zur Unzufriedenheit hatten, Anwälte, sogar Wennerströms kokainabhängige Tochter und andere Familienmitglieder wurden als mögliche Kandidaten gehandelt. Weder Mikael noch Erika äußerten sich dazu. Sie kommentierten das Thema grundsätzlich nicht.

Erika lächelte zufrieden. Als am dritten Tag des Medienrummels eine der beiden Abendzeitungen mit Revanche für Millennium titelte, wusste sie, dass sie gewonnen hatten. Der Artikel war ein schmeichelhaftes Porträt des Magazins und seiner Mitarbeiter und außerdem mit einem außerordentlich vorteilhaften Foto von Erika Berger illustriert. Man nannte sie die Königin des investigativen Journalismus. Das brachte Pluspunkte in den Klatschspalten, und schon bald war die Rede vom Großen Journalisten-Preis.

Fünf Tage nachdem Millennium die erste Kanonensalve abgefeuert hatte, wurde Mikaels Buch Der Bankier der Mafia an die Buchhändler ausgeliefert. Es war während der fieberhaften Tage in Sandhamn im September und Oktober entstanden und in aller Eile und größter Verschwiegenheit gedruckt worden. Es war das erste Buch, das von einem ganz neuen Verlag mit dem Millennium-Logo herausgegeben wurde. Die kryptische Widmung lautete Für Sally, die mir die Vorteile des Golfsports näher brachte.

Es war ein Wälzer von 615 Seiten im Taschenbuchformat. Die niedrige Auflage von zweitausend Exemplaren war fast eine Garantie für ein Verlustgeschäft, aber die erste Auflage war tatsächlich schon nach ein paar Tagen ausverkauft, sodass Erika schnell 10 000 Exemplare nachdrucken ließ.

Die Rezensenten stellten fest, dass Mikael Blomkvist diesmal nicht mit ausführlichen Quellenangaben gespart hatte. Zwei Drittel des Buches waren Anhang, der aus direkten Abschriften der Dokumente aus Wennerströms Computer bestand. Zeitgleich mit der Veröffentlichung des Buches stellte Millennium Texte aus Wennerströms Computer als pdf-Dateien auf die Website des Magazins. Jeder, der sich nur im Geringsten für den Wahrheitsgehalt des Buches interessierte, konnte die Quellen selbst überprüfen.

Mikaels befremdliche Abwesenheit war ein Teil der Medienstrategie, die Erika und er ausgeheckt hatten. Jede Zeitung im Lande suchte ihn. Erst als das Buch veröffentlicht wurde, trat Mikael mit einem exklusiven Interview an die Öffentlichkeit, das die Kollegin von TV4 führte. Abermals hatte sie das staatliche Fernsehen auf die Ränge verwiesen. Dieses Interview war jedoch kein Gespräch unter Freunden, und ihre Fragen waren alles andere als schmeichlerisch.

Mit einer Passage war Mikael besonders zufrieden, als er sich das Videoband mit seinem Auftritt ansah. Das Interview war live ausgestrahlt worden, als die Börse von Stockholm sich gerade im freien Fall befand und die jungen Börsenspekulanten drohten, sich aus diversen Fenstern zu stürzen. Sie hatte ihn gefragt, welche Verantwortung Millennium dafür trug, dass die schwedische Wirtschaft gerade in die Knie ging.

»Die Behauptung, dass die schwedische Wirtschaft in die Knie geht, ist blanker Unsinn«, hatte Mikael blitzschnell geantwortet.

Die Journalistin von TV4 war völlig verblüfft. Diese Antwort entsprach nicht ihren Erwartungen, und plötzlich war sie gezwungen zu improvisieren. Sie stellte die Folgefrage, auf die Mikael gehofft hatte: »Wir erleben derzeit den größten Sturz in der Geschichte der schwedischen Börse - Sie meinen also, das sei Unsinn?«

»Sie müssen zwei Dinge unterscheiden - die schwedische Wirtschaft und die schwedische Börse. Die schwedische Wirtschaft ist die Summe aller Dienstleistungen und Waren, die in diesem Land jeden Tag produziert werden. Das sind Telefone von Eriksson, Autos von Volvo, Hühnchen von Scan und Transporte von Kiruna nach Skövde. Das ist die schwedische Wirtschaft, und die ist noch genauso stark oder schwach wie vor einer Woche.«

Er machte eine Kunstpause und trank einen Schluck Wasser.

»Die Börse ist etwas ganz anderes. Da gibt es keine Wirtschaft, keine Produktion von Waren und Dienstleistungen. Da gibt es nur Fantasien, da entscheidet man von einer Stunde auf die andere, dass dieses oder jenes Unternehmen jetzt soundso viele Milliarden mehr oder weniger wert ist. Das hat nicht das Geringste mit der Wirklichkeit oder mit der schwedischen Wirtschaft zu tun.«

»Sie meinen also, es spielt keine Rolle, dass die Börse gerade ins Bodenlose stürzt?«

»Nö, das spielt überhaupt keine Rolle«, antwortete Mikael mit einer so müden und resignierten Stimme, dass er wie ein Orakel wirkte. Diese Replik würde im folgenden Jahr noch so manches Mal zitiert werden. Er fuhr fort:

»Das bedeutet nur, dass unzählige Spekulanten sich jetzt von schwedischen auf deutsche Aktien verlegen werden. Diese Finanzjongleure sollte man dingfest machen und als Landesverräter an den Pranger stellen. Sie sind es nämlich, die der schwedischen Wirtschaft systematisch und vielleicht sogar bewusst schaden, um den Wunsch ihrer Klienten nach Profit zu befriedigen.«

Dann beging die Journalistin den Fehler, genau die Frage zu stellen, auf die Mikael gehofft hatte.

»Sie meinen also, dass die Medien keine Verantwortung tragen?«

»Doch, die Medien tragen in höchstem Maße Verantwortung. Mindestens zwanzig Jahre lang haben es allzu viele Wirtschaftsjournalisten unterlassen, Hans-Erik Wennerström einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Stattdessen haben sie ihm durch unbesonnene Lobeshymnen geholfen, sein Prestige aufzubauen. Wenn sie in den letzten zwanzig Jahren ihren Job gemacht hätten, dann wären wir heute nicht in dieser Situation.«

Dieser Auftritt war ein Wendepunkt gewesen. Im Nachhinein war Erika sicher, dass erst Mikaels souveräner Auftritt im Fernsehen die schwedischen Medien davon überzeugt hatte, dass die Story wirklich wasserdicht war. Sein Auftreten hatte der Geschichte wegweisenden Charakter verliehen.

Nach dem Interview wanderte die Wennerström-Affäre unmerklich von den Wirtschaftsredaktionen auf die Tische der Polizeireporter. Das war ein Zeichen dafür, dass in den Redaktionen ein Umdenken stattgefunden hatte. Früher hatten normale Polizeireporter selten oder nie über Wirtschaftsverbrechen geschrieben, es sei denn, es ging um die russische Mafia oder jugoslawische Zigarettenschmuggler. Man erwartete von ihnen nicht, dass sie verwickelte Geschehnisse an der Börse untersuchten. Eine Abendzeitung nahm Mikael Blomkvist sogar beim Wort und füllte zwei Doppelseiten mit Porträts wichtigster Finanzmakler, die gerade deutsche Wertpapiere kauften. Die Zeitung titelte Sie verkaufen ihr Land. Alle Broker wurden aufgefordert, die Behauptungen zu kommentieren. Alle lehnten ab. Aber der Aktienhandel ging an jenem Tag bedenklich zurück, und ein paar Makler, die sich als progressive Patrioten profilieren wollten, begannen, gegen den Strom zu schwimmen. Mikael Blomkvist lachte sich kaputt.