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Mikael versuchte lange, der Versuchung zu widerstehen, aber schließlich konnte er es sich doch nicht verkneifen. Er nahm eine letzte Weihnachtskarte und schrieb: Frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr. Danke für einen fantastischen Einsatz im letzten Jahr.

Er unterschrieb mit seinem Namen und adressierte die Karte an Janne Dahlman c/o Redaktion des Wirtschaftsmagazins Monopol.

Als Mikael abends nach Hause kam, fand er selbst eine Paketabholkarte vor. Er holte sein Weihnachtsgeschenk am nächsten Morgen bei der Post ab und öffnete es, sobald er in der Redaktion war. Das Paket enthielt einen Mückenstift und eine kleine Flasche Reimersholmer Schnaps. Mikael öffnete die Karte und las: Wenn du nichts anderes vorhast, gehe ich am Mittsommerabend in Arholma vor Anker. Unterzeichnet war die Karte von seinem ehemaligen Schulkameraden Robert Lindberg.

Traditionellerweise schloss die Millennium-Redaktion eine Woche vor Weihnachten bis nach Neujahr. Dieses Jahr war das nicht ganz so einfach; der Druck auf die kleine Redaktion war enorm gewesen, und immer noch riefen täglich Journalisten aus allen Ecken der Welt an. Erst einen Tag vor Heiligabend stieß Mikael zufällig auf einen Artikel der Financial Times, der die derzeitigen Ergebnisse der internationalen Bankenkommission zusammenfasste, welche in aller Eile ins Leben gerufen worden war, um Wennerströms Imperium zu untersuchen. Die Kommission ging davon aus, dass Wennerström wohl in letzter Sekunde in irgendeiner Form vor seiner bevorstehenden Enttarnung gewarnt worden war.

Seine Konten bei der Bank of Kronenfeld auf den Cayman Islands - mit einem Guthaben von 260 Millionen US-Dollar - waren einen Tag vor der Veröffentlichung der Millennium-Reportage leer geräumt worden.

Die Gelder waren auf anderen Konten wieder aufgetaucht, über die nur Wennerström persönlich verfügen konnte, und zwar ohne bei der Bank vorstellig werden zu müssen. Um das Geld zu jeder anderen Bank der Welt zu transferieren, brauchte er nur eine Serie von Clearingcodes anzugeben. Die Gelder waren in die Schweiz überführt worden, wo eine weibliche Helferin die Summe in anonyme Privatobligationen umgesetzt hatte. Alle Clearingcodes waren in Ordnung gewesen.

Europol hatte eine internationale Suchmeldung nach dieser unbekannten Frau ausgegeben. Sie hatte einen gestohlenen englischen Pass mit dem Namen Monica Sholes verwendet und angeblich ein Luxusleben in einem der teuersten Hotels in Zürich geführt. Das Foto - es war erstaunlich scharf, obwohl es von einer Überwachungskamera stammte - zeigte eine kleine Frau mit blondem Pagenkopf, breitem Mund, großen Brüsten, exklusiver Designerkleidung und Goldschmuck.

Mikael sah das Bild an, zuerst flüchtig, dann immer aufmerksamer.

Wenige Sekunden später wühlte er in seiner Schreibtischschublade nach einem Vergrößerungsglas und versuchte die Details ihrer Gesichtszüge aus dem Raster des Zeitungsfotos herauszulesen.

Schließlich legte er die Zeitung aus der Hand und war mehrere Minuten sprachlos. Dann begann er so hysterisch zu lachen, dass Christer Malm den Kopf zur Tür hereinsteckte und fragte, was denn los sei. Mikael winkte nur ab.

Am Vormittag des 24. Dezember fuhr Mikael nach Årsta zu seiner Exfrau und seiner Tochter Pernilla, um ihnen seine Weihnachtsgeschenke zu bringen. Pernilla bekam einen Computer, den sie sich gewünscht hatte und den Mikael und Monica gemeinsam gekauft hatten. Mikael bekam eine Krawatte von seiner Exfrau und einen Åke-Edwardson-Krimi von seiner Tochter. Im Gegensatz zur letzten Weihnacht waren sie diesmal ganz aufgekratzt von dem Mediendrama, das sich rund um Millennium abspielte.

Sie aßen zusammen zu Mittag. Mikael musterte Pernilla verstohlen. Er hatte seine Tochter seit ihrem Überraschungsbesuch in Hedestad nicht mehr gesehen. Plötzlich fiel ihm auch ein, dass er mit ihrer Mutter nie über ihre Leidenschaft für eine Sekte von Bibelchristen in Skellefteå gesprochen hatte. Ebenso wenig konnte er erzählen, dass es die Bibelkenntnisse seiner Tochter gewesen waren, die ihn bei der Suche nach Harriet Vanger letztendlich auf die richtige Spur gebracht hatten. Er hatte seitdem tatsächlich kaum an seine Tochter gedacht und spürte, wie ihm das schlechte Gewissen einen Stich versetzte.

Er war kein guter Vater.

Nach dem Mittagessen gab er seiner Tochter einen Abschiedskuss, traf sich mit Lisbeth und fuhr mit ihr nach Sandhamn. Seit die Millennium-Bombe hochgegangen war, hatten sie sich kaum gesehen. Sie kamen am Heiligabend spät bei Mikaels Hütte an und blieben über die Feiertage dort.

Mikael war wie immer kurzweilig, aber Lisbeth hatte das unangenehme Gefühl, dass er sie äußerst eigenartig ansah, als sie ihm sein Darlehen mit einem Scheck über 120 000 Kronen zurückzahlte. Doch er sagte nichts.

Sie machten einen Spaziergang nach Trovill und zurück (was Lisbeth als Zeitverschwendung betrachtete), aßen ein festliches Abendessen im Gasthaus und zogen sich in Mikaels Hütte zurück, wo sie ein Feuer im Kachelofen machten, eine Elvis-CD auflegten und sich unspektakulärem Sex hingaben. Als Lisbeth zwischendurch an die Oberfläche kam, versuchte sie, sich über ihre eigenen Gefühle klar zu werden.

Sie hatte kein Problem mit Mikael als Liebhaber. Sie hatten Spaß im Bett. Ihr Zusammensein war eine äußerst körperliche Angelegenheit. Und er versuchte nie, sie zu dressieren.

Ihr Problem war, dass sie ihre Gefühle für Mikael nicht deuten konnte. Schon lange vor ihrer Pubertät hatte sie begonnen, sorgfältig darauf zu achten, ja keinen anderen Menschen so nah an sich heranzulassen, wie sie es jetzt mit Mikael Blomkvist tat. Offen gesagt hatte er die lästige Begabung, ihre Abwehrmechanismen zu durchdringen und sie immer wieder dazu zu verführen, mit ihm über persönliche Angelegenheiten und private Gefühle zu reden. Auch wenn sie noch genug Verstand besaß, die meisten seiner Fragen zu ignorieren, erzählte sie ihm doch auf eine Art und Weise von sich selbst, wie sie es sich bei anderen Menschen nicht mal unter Todesdrohungen hätte vorstellen können. Das erschreckte sie, sie fühlte sich nackt und seiner Willkür ausgeliefert.

Dann wieder - wenn sie auf den schlafenden Mikael herabblickte und seinem Schnarchen lauschte - fühlte sie, dass sie noch nie zuvor in ihrem Leben einem anderen Menschen so vorbehaltlos vertraut hatte. Sie wusste mit absoluter Sicherheit, dass Mikael sein Wissen über sie niemals dazu verwenden würde, ihr zu schaden. Das lag nicht in seiner Natur.

Das Einzige, worüber sie nie sprachen, war ihr Verhältnis. Wie es dazu gekommen war, wusste sie selbst nicht, ebenso wenig, wie sie damit umgehen sollte. Zum ersten Mal in ihrem fünfundzwanzigjährigen Leben war sie verliebt.

Dass er fast doppelt so alt war wie sie, war ihr egal. Ebenso, dass er zu den Personen gehörte, über die in den schwedischen Zeitungen derzeit am meisten geschrieben wurde, und dass er es sogar auf das Cover von Newsweek geschafft hatte - das war nur eine billige Soap. Aber Mikael war keine erotische Fantasie und kein Tagtraum. Es musste ein Ende nehmen, es konnte nicht funktionieren. Zu welchem Zweck sollte er sich schon mit ihr abgeben, wenn nicht zum Zeitvertreib, während er auf jemand wartete, dessen Leben nicht ein einziges stinkendes Chaos war?

Mit einem Mal ging ihr auf, dass Liebe der Augenblick ist, in dem einem plötzlich das Herz brechen will.

Als Mikael aufwachte, hatte sie Kaffee gekocht und Brötchen auf den Tisch gestellt. Er setzte sich zu ihr an den Tisch und bemerkte sofort, dass sich in ihrem Verhalten irgendetwas geändert hatte - dass sie ein klein wenig distanzierter war. Als er sie fragte, ob irgendetwas nicht in Ordnung sei, sah sie ihn auf ihre neutrale Art verständnislos an.

Am ersten Tag nach Weihnachten nahm Mikael den Zug nach Hedestad. Er hatte warme Kleidung und richtige Winterschuhe an, als Dirch Frode ihn am Bahnhof abholte und diskret zu seinem Erfolg in den Medien gratulierte. Es war das erste Mal seit August, dass er Hedestad wieder besuchte, und es war fast auf den Tag genau ein Jahr her, dass er zum ersten Mal hierhergekommen war. Sie schüttelten sich die Hand und unterhielten sich höflich, aber es stand zu viel Unausgesprochenes zwischen ihnen, und Mikael fühlte sich unwohl.