Выбрать главу

Mikaels Verachtung vieler Wirtschaftsjournalisten beruhte auf deren zweifelhafter Moral. In seinen Augen war die Gleichung ganz einfach:

Ein Bankdirektor, der hundert Millionen durch kopflose Spekulationen verschleudert, darf nicht auf seinem Posten bleiben. Ein Geschäftsführer, der krumme Dinger mit Mantelgesellschaften dreht, gehört hinter Gitter. Ein Immobilienbesitzer, der jungen Leuten für eine Einzimmerwohnung mit Toilette unter der Hand noch einmal Geld abknöpft, sollte öffentlich vorgeführt werden.

Mikael Blomkvist fand ganz einfach, dass es Aufgabe der Wirtschaftsjournalisten war, diejenigen Finanzhaie zu kontrollieren, die Zinskrisen verursachten und das Geld von Kleinanlegern durch leichtfertige Spekulationen aufs Spiel setzten. Seiner Meinung nach bestand der Auftrag dieser Journalisten darin, Wirtschaftsmanager mit demselben unbarmherzigen Eifer zu verfolgen, mit dem politische Berichterstatter die geringsten Fehltritte von Ministern und Reichstagsabgeordneten verurteilten. Den politischen Journalisten würde es nie einfallen, einen Parteivorsitzenden zur Ikone zur erheben, und Mikael konnte beim besten Willen nicht verstehen, warum die Wirtschaftsjournalisten der wichtigsten Massenmedien des Landes die mediokren Jünglinge in der Finanzwelt wie Rockstars behandelten.

Diese unter Wirtschaftsjournalisten etwas eigensinnige Haltung hatte ein ums andere Mal zu lautstarken Auseinandersetzungen mit Kollegen in der Medienbranche geführt, von denen nicht zuletzt William Borg zum unversöhnlichen Feind geworden war. Mikael hatte gewagt, seinen Kollegen vorzuhalten, sie drückten sich um ihre eigentliche Aufgabe und dienten stattdessen den Interessen der finanzpolitischen Grünschnäbel. Seine Rolle als Gesellschaftskritiker hatte ihm zwar einen gewissen Status verliehen und ihn zu einem unbequemen Gast auf den Sofas politischer Fernsehsendungen gemacht - wenn ein Manager mal wieder eine millionenschwere Abfindung kassierte, bat man ihn stets um einen Kommentar -, aber das hatte ihm auch eine treue Schar erbitterter Feinde beschert.

Mikael konnte sich lebhaft vorstellen, dass im Laufe des Abends in ein paar Redaktionen die Champagnerkorken geknallt hatten.

Erika teilte seine Ansichten über die Rolle des Journalisten, und es hatte ihnen schon während des Studiums Vergnügen bereitet, sich gemeinsam eine Zeitung mit entsprechendem Profil auszumalen.

Erika war die beste Chefin, die Mikael sich denken konnte. Sie konnte gut organisieren und pflegte einen warmherzigen und vertrauensvollen Führungsstil. Gleichzeitig scheute sie sich nicht, Konfrontationen einzugehen und, wenn nötig, hart durchzugreifen. Vor allem aber besaß sie ein unbestechliches Fingerspitzengefühl, wenn es darum ging, über den Inhalt der nächsten Nummer zu entscheiden. Sie und Mikael hatten oftmals unterschiedliche Meinungen und konnten sich lebhaft streiten, aber sie hatten auch unerschütterliches Vertrauen zueinander und bildeten ein unschlagbares Team. Er war der Mann fürs Grobe, der die Story an Land zog; sie sorgte für ihre Verpackung und Vermarktung.

Das Projekt Millennium hatten sie zu zweit auf die Beine gestellt, aber es hätte nie realisiert werden können ohne ihre Fähigkeit, immer wieder neue Wege der Finanzierung zu finden. Der Arbeiterjunge und die höhere Tochter als Erfolgsduo. Erika kam aus einer wohlhabenden Familie. Sie selbst hatte die finanzielle Grundlage geschaffen und sowohl ihren Vater als auch ihre Bekannten überredet, ansehnliche Beträge zu investieren.

Mikael hatte oft überlegt, warum Erika auf Millennium gesetzt hatte. Freilich, sie war dadurch Teilhaberin - sogar mehrheitliche Anteilseignerin - und Chefredakteurin ihrer eigenen Zeitschrift geworden, was ihr ein Prestige und eine publizistische Freiheit gab, die sie an einem anderen Arbeitplatz kaum hätte erreichen können. Im Gegensatz zu Mikael hatte sie sich nach dem Studium zunächst fürs Fernsehen entschieden. Sie war tough, sah auf dem Bildschirm unverschämt gut aus und konnte sich gegen die Konkurrenz behaupten. Außerdem hatte sie beste Kontakte innerhalb des bürokratischen Apparats. Wäre sie beim Fernsehen geblieben, hätte sie zweifellos eine bedeutend besser bezahlte Führungsposition bei irgendeinem Sender bekommen. Stattdessen hatte sie sich bewusst für den Ausstieg und das Engagement für Millennium entschieden, ein höchst riskantes Projekt, das in einem engen, heruntergekommenen Büro in einem Keller im Vorort Midsommarkransen startete, dann aber so viel Erfolg hatte, dass man Mitte der neunziger Jahre in geräumigere und angenehmere Büroräume in der Götgata in Södermalm ziehen konnte.

Außerdem hatte Erika auch noch Christer Malm überredet, Teilhaber am Magazin zu werden - einen exhibitionistischen Promischwulen, der ab und zu mit seinem Freund für Homestorys posierte und regelmäßig auf den Klatsch- und Lifestyle-Seiten auftauchte. Das Medieninteresse verdankte er der Tatsache, dass er mit Arnold Magnusson, genannt Arn, zusammengezogen war, einem Schauspieler vom Dramaten, dem Königlichen Theater in Stockholm, der seinen richtigen Durchbruch erst erlebt hatte, als er sich in einer Dokusoap selbst spielte. Seit damals waren Christer und Arn eine Art Fortsetzungsroman für die Medien geworden.

Im Alter von sechsunddreißig Jahren war Christer Malm ein begehrter Berufsfotograf und Designer, der Millennium einen modernen und attraktiven grafischen Auftritt verlieh. Sein eigenes Unternehmen befand sich auf derselben Etage wie die Redaktion des Magazins, um dessen Layout er sich eine Woche im Monat auf Teilzeitbasis kümmerte.

Darüber hinaus gab es noch zwei Vollzeitangestellte, einen ständigen Praktikanten und drei Teilzeitmitarbeiter. Millennium gehörte zu der Art Zeitschriften, die wenig rentabel waren, dafür aber Prestige besaßen, und bei denen die Angestellten sehr gerne arbeiteten.

Millennium war nicht lukrativ, aber immer in der Lage, seine Kosten zu decken, und sowohl Auflage wie auch Anzeigeneinnahmen waren konstant gestiegen. Bis auf den heutigen Tag stand das Magazin in dem Ruf, mutig und beharrlich die Wahrheit auszusprechen.

Nun würde sich die Situation mit großer Wahrscheinlichkeit verändern. Mikael las die kurze Pressemitteilung durch, die Erika und er am Abend zuvor verfasst hatten und die rasch in ein Telegramm für die Nachrichtenagenturen umformuliert worden war, das bereits auf der Website des Aftonbladet zu lesen war:

Verurteilter Reporter verlässt Millennium

Stockholm (TT). Wie Chefredakteurin und Haupteignerin des Magazins Millennium, Erika Berger, bekannt gab, wird Mikael Blomkvist seinen Posten als verantwortlicher Herausgeber aufgeben.

»Mikael Blomkvist verlässt Millennium auf eigenen Wunsch. Er ist von den Strapazen der letzten Wochen sehr mitgenommen und braucht eine Auszeit«, sagt Erika Berger, die die Aufgaben des verantwortlichen Herausgebers selbst übernehmen wird.

Mikael Blomkvist war 1989 einer der Gründer des Magazins. Erika Berger glaubt nicht, dass die sogenannte Wennerström-Affäre Einfluss auf die Zukunft der Zeitschrift haben wird.

»Millennium wird wie gewohnt nächsten Monat erscheinen«, sagt Erika Berger. »Mikael Blomkvist hat eine große Rolle bei der Entwicklung des Magazins gespielt, doch nun beginnt ein neues Kapitel.«

Erika Berger gibt an, dass sie die Wennerström-Affäre als eine Verkettung ungünstiger Zustände betrachtet. Sie bedauert die Ungelegenheiten, die Hans-Erik Wennerström bereitet wurden. Mikael Blomkvist war für einen Kommentar nicht zu erreichen.

»Ich finde das schrecklich«, hatte Erika gesagt, als die Pressemitteilung rausging. »Die meisten werden die Schlussfolgerung ziehen, dass du ein unfähiger Idiot bist und ich ein eiskaltes Miststück, das die erstbeste Gelegenheit ergreift, dir den Genickschuss zu verpassen.«

»Wenn man bedenkt, was für Gerüchte über uns schon im Umlauf sind, hat unser Freundeskreis jetzt jedenfalls was Neues zum Klatschen«, versuchte Mikael zu scherzen. Sie fand das überhaupt nicht lustig.