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»Werden Sie Wennerström um Entschuldigung bitten? Ihm die Hand geben?«

»Nein, das glaube ich kaum. Meine Meinung zu Herrn Wennerströms Geschäftsmoral hat sich nicht nennenswert geändert.«

»Wollen Sie damit sagen, dass Sie ihn immer noch für einen Schurken halten?«, fragte Dagens Industri schnell.

Diese Frage legte eine Antwort nahe, die leicht in eine verheerende Schlagzeile münden konnte, und Mikael hätte nur zu leicht auf dieser Bananenschale ausrutschen können, wenn ihm der Reporter sein Mikrofon nicht gar so übereifrig vors Gesicht geschoben hätte. Er überlegte sich seine Antwort ein paar Sekunden.

Das Gericht hatte gerade festgestellt, dass Mikael Blomkvist den Industriellen Hans-Erik Wennerström in seiner Ehre verletzt hatte. Mikael war wegen übler Nachrede verurteilt worden. Die Verhandlung war abgeschlossen, und er hatte auch nicht vor, Berufung einzulegen. Aber was würde passieren, wenn er seine Behauptungen unvorsichtigerweise schon auf der Treppe vor dem Gericht wiederholte? Er beschloss, die entsprechende Antwort zu umgehen.

»Ich fand, dass ich gute Gründe hatte, meine Angaben zu veröffentlichen. Das Gericht hat das anders gesehen, und ich muss selbstverständlich akzeptieren, dass der Prozess der Rechtsfindung damit abgeschlossen ist. Jetzt werden wir in der Redaktion das Urteil gründlich diskutieren, bevor wir beschließen, wie wir weiter verfahren. Mehr kann ich dazu momentan nicht sagen.«

»Aber Sie haben außer Acht gelassen, dass man als Journalist seine Behauptungen auch beweisen können muss«, sagte die Mitarbeiterin von TV4 mit einem scharfen Unterton in der Stimme. Dieser Bemerkung konnte er nichts entgegensetzen. Sie waren gute Freunde gewesen. Ihr Gesichtsausdruck war neutral, aber Mikael glaubte einen Hauch von Enttäuschung und Missbilligung in ihren Augen auszumachen.

Mikael Blomkvist blieb stehen und beantwortete noch ein paar quälende Minuten lang weitere Fragen. Die Frage, die unausgesprochen in der Luft lag und die kein Reporter zu stellen wagte - vielleicht wegen der Peinlichkeit und Unverständlichkeit der gesamten Situation -, war die, wie Mikael nur einen Text hatte schreiben können, der jeder Substanz entbehrte. Die Reporter vor Ort, die Urlaubsvertretung von Dagens Industri mal ausgenommen, waren allesamt gestandene Journalisten. Die Antwort auf diese Frage lag für sie jenseits der Grenzen des Begreiflichen.

Die Kollegin von TV4 bat ihn, sich vor die Tür des Amtsgerichts zu stellen, und interviewte ihn separat vor der Kamera. Sie war freundlicher, als er es verdient hatte, und er gab genügend brauchbare Statements ab, um alle Reporter zufriedenzustellen. Die Story würde in die Schlagzeilen kommen - das war unvermeidbar -, aber er rief sich in Erinnerung, dass es sich hier nicht wirklich um ein spektakuläres Medienereignis handelte. Die Reporter waren bald zufrieden und zogen sich in ihre Redaktionen zurück.

Zunächst hatte er nur vorgehabt, spazieren zu gehen, aber es war ein windiger Dezembertag, und nach dem Interview war ihm schon kalt genug. Erst als er alleine auf der Treppe vorm Amtsgericht stand, hob er den Blick und sah William Borg aus einem Auto steigen, in dem er während des Interviews gesessen hatte. Borg lächelte, als ihre Blicke sich trafen.

»Allein, um dich mit diesem Zettel in der Hand da stehen zu sehen, hätte sich das Herkommen schon gelohnt.«

Mikael antwortete nicht. William Borg und Mikael Blomkvist kannten sich seit fünfzehn Jahren. Sie hatten früher gemeinsam als Vertretung für den Wirtschaftsteil einer Morgenzeitung gearbeitet. Vielleicht hätte man einfach sagen können, dass die Chemie zwischen den beiden nicht stimmte. Auf jeden Fall war damals der Grundstein zu einer lebenslangen Feindschaft gelegt worden. Borg war in Mikaels Augen ein erbärmlicher Reporter und ein unangenehmer, kleinlicher, rachsüchtiger Mensch, der seine Umwelt mit dämlichen Witzen drangsalierte und sich abfällig über ältere und erfahrenere Reporter äußerte. Gegen ältere Journalistinnen schien er eine ganz besondere Abneigung zu hegen. Mikael und er hatten einen ersten Streit gehabt, gefolgt von weiterem unerfreulichem Hin und Her, bis ihre Gegnerschaft schließlich zu einer persönlichen Angelegenheit geworden war.

Über die Jahre hinweg waren Mikael und William Borg regelmäßig aneinandergeraten, aber erst gegen Ende der neunziger Jahre richtige Feinde geworden. Mikael hatte ein Buch über Wirtschaftsjournalismus verfasst und fleißig aus einer Anzahl dümmlicher Artikel zitiert, für die Borg verantwortlich zeichnete. Mikael stellte Borg als Wichtigtuer dar, der die meisten Fakten in den falschen Hals kriegte und Lobeshymnen auf Dotcom-Firmen schrieb, mit denen es dann schnurstracks den Bach runterging. Borg hatte keinen Gefallen an Mikaels Analyse gefunden, und bei einem zufälligen Zusammentreffen in einer Kneipe in Söder war es beinahe zu Handgreiflichkeiten gekommen. Ungefähr zur gleichen Zeit kehrte Borg dem Journalismus den Rücken und arbeitete nun zu wesentlich höherem Lohn als Pressesprecher für ein Unternehmen, das obendrein zu Hans-Erik Wennerströms geschäftlichem Interessengebiet gehörte.

Sie musterten sich eine Weile, bevor Mikael auf dem Absatz kehrtmachte und davonging. Typisch Borg, zum Amtsgericht fahren, bloß um sich hinzustellen und ihn auszulachen.

Der 40er-Bus hielt gerade, und Mikael stieg zu, um von diesem Ort zu verschwinden. Am Fridhelmsplan stieg er aus und blieb unentschlossen an der Haltestelle stehen, sein schriftliches Urteil immer noch in der Hand. Zu guter Letzt beschloss er, zum Café Anna hinüberzugehen, das in der Nähe der Garageneinfahrt des Polizeigebäudes lag.

Keine dreißig Sekunden nachdem er sich einen Café latte und ein belegtes Brötchen bestellt hatte, begannen die Zwölf-Uhr-Nachrichten im Radio. Die Story kam an dritter Stelle, nach dem Selbstmordattentäter in Jerusalem und der Meldung, dass die Regierung eine Kommission eingesetzt hatte, um eine neue angebliche Kartellbildung in der Bauindustrie zu untersuchen.

»Der Journalist Mikael Blomkvist von der Zeitschrift Millennium wurde am Donnerstagmorgen zu drei Monaten Haft wegen böswilliger Verleumdung des Industriellen Hans-Erik Wennerström verurteilt. In einem viel beachteten Artikel über die sogenannte Minos-Affäre hatte Blomkvist behauptet, dass Wennerström staatliche Mittel, die für Investitionen in Polen genehmigt worden waren, stattdessen für Waffengeschäfte veruntreut habe. Mikael Blomkvist wurde zu Schadenersatzzahlungen in Höhe von 150 000 Kronen verurteilt. In einem Kommentar sagte Wennerströms Anwalt, Bertil Camnermarker, sein Mandant sei mit dem Urteil zufrieden. Seiner Meinung nach handele es sich in diesem Fall um eine außerordentlich böswillige Verleumdung.«

Auf dem Papier war das Urteil sechsundzwanzig Seiten lang. Es erläuterte den sachlichen Grund, warum er in fünfzehn Punkten der böswilligen Verleumdung des Geschäftsmannes Hans-Erik Wennerström für schuldig befunden worden war. Mikael stellte fest, dass ihn jeder dieser Punkte 10 000 Kronen und sechs Tage Gefängnis kostete. Abgesehen von den Kosten des Verfahrens und dem Honorar für seinen eigenen Anwalt. Er konnte sich nicht ansatzweise ausmalen, wie die Gesamtrechnung aussehen würde, musste jedoch zugeben, dass es auch schlimmer hätte kommen können; immerhin hatte sich das Gericht in sieben Punkten entschlossen, ihn freizusprechen.

Je länger er die Formulierungen des Urteils las, umso deutlicher braute sich in seiner Magengegend ein unangenehmes Gefühl zusammen. Dieses Gefühl überraschte ihn. Bereits zu Beginn der Verhandlung war ihm klar gewesen, dass er verurteilt werden würde, wenn nicht ein Wunder geschah. Er hatte die zwei Verhandlungstage relativ unbekümmert abgesessen und anschließend noch elf Tage gewartet, bis das hohe Gericht zu Ende überlegt und den Text formuliert hatte, den er jetzt in Händen hielt, ohne das Geringste dabei zu empfinden. Erst jetzt, da der Prozess vorbei war, befiel ihn Unbehagen.

Als er ein Stück von seinem Brötchen abgebissen hatte, schien der Bissen in seinem Mund plötzlich aufzuquellen. Er konnte kaum noch schlucken und schob das Brötchen schließlich beiseite.