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Mikaels Laune hellte sich plötzlich bedeutend auf. Als der Pressetyp und sein einfältiges Gefolge aufbrachen, um beim Kaufladen auf der anderen Seite der Insel um den Maibaum zu tanzen, war er bei Hering und Schnaps auf der M-30 geblieben, um mit seinem Schulkameraden über Gott und die Welt zu quatschen.

Irgendwann im Laufe des Abends, als sie den Kampf gegen die berüchtigten Mücken von Arholma aufgegeben hatten und in die Kajüte gegangen waren, hatte sich das Gespräch nach einer beträchtlichen Anzahl von Schnäpsen in eine freundschaftliche Kabbelei über Moral und Ethik in der Geschäftswelt verwandelt. Beide hatten sich für Karrieren entschieden, die irgendwie mit der schwedischen Finanzwelt zu tun hatten. Robert Lindberg war nach dem Abitur auf die Handelshochschule gegangen und danach ins Bankgeschäft eingestiegen. Mikael Blomkvist war auf der Journalistenschule gelandet und hatte einen Großteil seines Berufslebens darauf verwandt, dubiose Geschäfte in der Finanzwelt aufzuklären. Das Gespräch begann um die Frage nach der moralischen Korrektheit gewisser Abfindungspraktiken zu kreisen, die in den neunziger Jahren bekannt geworden waren. Nachdem er so manchen Manager verteidigt hatte, stellte Lindberg sein Glas ab und räumte widerwillig ein, dass sich in der Geschäftswelt trotz allem der eine oder andere Schweinehund versteckte. Plötzlich hatte er Mikael ganz ernst angesehen.

»Du gehörst doch zu den Journalisten, die in Sachen Wirtschaftskriminalität recherchieren - warum schreibst du nicht über Hans-Erik Wennerström?«

»Ich wusste nicht, dass es über den was zu schreiben gibt.«

»Dann fang an zu wühlen. Fang in Dreiteufelsnamen an zu wühlen. Wie viel weißt du über das SIB-Programm?«

»Tja, das war eine Art Förderprogramm in den neunziger Jahren, mit dem man der Industrie in den ehemaligen Ostblockstaaten auf die Füße helfen wollte. Vor ein paar Jahren wurde es dann eingestellt. Ich hab nie irgendetwas darüber geschrieben.«

»SIB, das Industrieförderungsprogramm - das war ein von der Regierung gefördertes Projekt unter der Leitung von Repräsentanten einiger großer schwedischer Unternehmen. SIB bekam staatliche Garantien für eine ganze Reihe von Projekten zugesichert, die in Abstimmung mit den Regierungen von Polen und den baltischen Staaten verabschiedet wurden. Der Schwedische Gewerkschaftsbund war ebenfalls mit von der Partie, um sicherzustellen, dass auch die Gewerkschaften im Osten nach schwedischem Modell gestärkt würden. Offiziell war das Ganze ein Förderprogramm nach dem Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe, das den Regierungen im Osten eine Möglichkeit eröffnen wollte, ihre Wirtschaft zu sanieren. In der Praxis ging es aber darum, dass schwedische Unternehmen staatliche Subventionen einstrichen, um sich damit als Teilhaber in osteuropäische Unternehmen einzukaufen. Dieser verdammte heuchlerische Minister war ein treuer Anhänger des SIB. Man wollte eine Papierfabrik in Krakau bauen, die Metallindustrie in Riga auf Vordermann bringen, eine Zementfabrik in Tallinn errichten und so weiter. Die Gelder wurden von den Vorständen des SIB verteilt, lauter einflussreichen Persönlichkeiten aus der Welt der Banken und der Großindustrie.«

»Steuergelder also?«

»Ungefähr 50 % staatliche Zuschüsse, den Rest steuerten die Banken und die Unternehmen selbst bei. Aber weniger aus ideellen Gründen. Sie rechneten damit, eine ordentliche Stange Geld einzustreichen. Sonst hätten sie keinen Pfifferling dafür gegeben.«

»Von wie viel Geld sprechen wir denn da?«

»Beim SIB ging es hauptsächlich um schwedische Unternehmen, die sich auf dem osteuropäischen Markt etablieren wollten. Hochkarätige Unternehmen wie ABB und Skanska und so. Mit anderen Worten also, keine Spekulanten.«

»Willst du etwa behaupten, dass Skanska nicht spekuliert? Deren Geschäftsführer war es doch, der gefeuert wurde, als er einen von seinen Jungs eine halbe Milliarde mit irgendwelchen Day Tradings versenken ließ? Und was ist mit ihren Immobiliengeschäften in London und Oslo?«

»Sicher, Idioten gibt es in jedem Unternehmen dieser Welt, aber du weißt schon, was ich meine. Das sind auf jeden Fall Firmen, die etwas produzieren. Das Rückgrat der schwedischen Industrie.«

»Und was hat Wennerström jetzt damit zu tun?«

»Wennerström ist der Joker in diesem Spiel. Also, da kommt ein Typ von irgendwoher, er hat keinen großartigen industriellen Hintergrund und auf dieser Bühne eigentlich überhaupt nichts zu suchen. Aber er hat sich an der Börse ein enormes Vermögen erworben und es in sichere Unternehmen investiert. Er ist sozusagen durch die Hintertür dazugestoßen.«

Mikael Blomkvist hatte sein Glas mit »Reimersholmer Schnaps« aufgefüllt, sich in der Kajüte zurückgelehnt und nachgedacht, was er alles über Wennerström wusste. Und das war eigentlich nicht besonders viel. Geboren irgendwo in Norrland, wo er irgendwann in den siebziger Jahren ein Investmentunternehmen gründete. Er verdiente gutes Geld und ging nach Stockholm, um in den goldenen achtziger Jahren eine kometenhafte Karriere hinzulegen. Er hatte die Wennerström-Gruppe gegründet, später umbenannt in The Wennerstroem Group, als in London und New York Dependancen eröffnet wurden, die in den Zeitungen bald in einem Atemzug mit Beijer genannt wurden. Er handelte mit Aktien und Optionen und steckte Geld in Day Tradings. Er kam in die Klatschpresse als einer unserer zahlreichen neuen Milliardäre - ein Penthouse am Strandvägen, ein großartiges Sommerhaus auf Värmdö und eine dreiundzwanzig Meter lange Motoryacht, die er einem ehemaligen, Pleite gegangenen Tennisstar abkaufte. Eigentlich hatte er immer nur gut rechnen können, aber die achtziger Jahre waren nun mal das Jahrzehnt der Rechner und Immobilienspekulanten, und Wennerström hatte sich nicht mehr hervorgetan als die anderen. Eher im Gegenteil, unter all den Big Boys hielt er sich ein bisschen im Hintergrund. Mit Immobilien wollte er nichts zu tun haben; stattdessen investierte er in großem Stil im ehemaligen Ostblock. Als in den neunziger Jahren langsam die Luft raus war und ein Manager nach dem anderen zwangsweise seine Abfindung einforderte, war Wennerströms Unternehmen überraschend gut davongekommen. Nicht einmal die Spur eines Skandals. Eine schwedische Erfolgsstory, so hatte die Financial Times es zusammengefasst.

»Es geschah 1992. Wennerström meldete sich plötzlich beim SIB und teilte mit, dass er Geld wollte. Offenbar unterstützt von in Polen ansässigen Interessenten, legte er einen Plan vor, wie man eine Fabrik aufbauen könnte, die Verpackungsmaterial für die Lebensmittelindustrie produzierte.«

»Eine Fabrik für Konservendosen?«

»Nicht ganz, aber so was in der Art. Ich habe keine Ahnung, wen er beim SIB kannte, aber er konnte ohne Weiteres sechzig Millionen Kronen abstauben.«

»Das klingt ja langsam spannend. Lass mich raten: Danach hat man von diesem Geld nichts mehr gesehen.«

»Falsch«, sagte Robert Lindberg. Er lachte, bevor er sich mit einem weiteren Schnaps stärkte.

»Was dann geschah, ist ein klassisches Beispiel für betriebswirtschaftliche Rechenkünste. Wennerström baute wirklich eine Verpackungsindustrie in Polen auf, in Lodz, um genau zu sein. Das Unternehmen hieß Minos. 1993 erhielt das SIB ein paar enthusiastische Geschäftsberichte, danach Schweigen. 1994 brach Minos plötzlich zusammen.«

Robert Lindberg hatte das leere Schnapsglas mit einem kräftigen Rums auf dem Tisch abgestellt, um zu illustrieren, wie die Firma zusammengebrochen war.

»Das Problem mit dem SIB war, dass es keine festen Regeln dafür gab, wie die Rechenschaftsberichte für die Projekte auszusehen hatten. Du weißt, wie das in diesen Zeiten war. Alle waren derart optimistisch, als die Mauer fiel. Die Demokratie wurde eingeführt, die Gefahr eines Atomkrieges war gebannt, und die Bolschewiken sollten über Nacht Kapitalisten werden. Die Regierungen wollten die Demokratie im Osten stärken. Jeder Unternehmer wollte dabei sein und beim Aufbau des neuen Europa mithelfen.«