»Er hat euch um euer Geld gebracht?«
»Nein, nein, beide Seiten haben an diesen Geschäften verdient. Es war eher so, dass … Ich weiß nicht recht, wie ich dir das erklären soll. Ich rede hier gerade über meinen eigenen Arbeitgeber, was mir etwas unangenehm ist. Aber der Gesamteindruck, den ich von Wennerström gewann, war kein guter. Er hat ja in den Medien das Image des großen Machers. Davon lebt er. Das ist sein Vertrauenskapital.«
»Ich weiß, was du meinst.«
»Ich hatte den Eindruck, dass der Kerl ganz einfach ein riesengroßer Bluff ist. Er ist überhaupt kein besonders begabter Betriebswirtschaftler. Im Gegenteil. Ich konnte feststellen, dass seine Kenntnisse in manchen Dingen wahnsinnig oberflächlich sind. Er hatte ein paar wirklich hochintelligente young warriors als Berater, aber ich verabscheute ihn eben von ganzem Herzen.«
»Okay.«
»Vor ein paar Jahren war ich in einer ganz anderen Angelegenheit in Polen. Unsere Gesellschaft traf sich zu einem Geschäftsessen mit ein paar Investoren in Lodz, und ich landete zufällig mit dem Bürgermeister am selbem Tisch. Wir sprachen unter anderem darüber, wie schwierig es doch ist, Polens Wirtschaft in die Gänge zu bekommen, und als Beleg dafür erwähnte ich das Minos-Projekt. Der Bürgermeister blickte einen Moment lang völlig verständnislos drein - als hätte er noch nie von Minos gehört -, schien sich dann jedoch an so ein kleines Pipifax-Unternehmen erinnern zu können, das nie so richtig auf die Füße gekommen war. Er wischte es mit einem Lachen vom Tisch und sagte - ich zitiere wörtlich -, wenn das alles wäre, was schwedische Investoren zustande brächten, dann müsste Schweden demnächst zusammenbrechen. Kannst du mir folgen?«
»Dieser Ausspruch lässt vermuten, dass der Bürgermeister von Lodz ein kluges Kerlchen ist, aber erzähl weiter.«
»Dieser Satz blieb bei mir hängen und spukte mir unablässig im Hinterkopf herum. Am nächsten Morgen hatte ich einen Geschäftstermin, aber den Rest des Tages hatte ich frei. Mich ritt der Teufel, ich fuhr hinaus und sah mir die stillgelegte Minos-Fabrik an. Sie befand sich in einem kleinen Dorf außerhalb von Lodz, mit einer Kneipe in einer Scheune und Plumpsklos im Hof. Die große Minos-Fabrik war eine baufällige Bruchbude. Ein altes Lagergebäude aus Wellblech, das die Rote Armee in den fünfziger Jahren errichtet hatte. Auf dem Grundstück traf ich einen Wächter, der ein bisschen Deutsch sprach, und erfuhr, dass eine seiner Kusinen bei Minos gearbeitet hatte. Diese Kusine wohnte ganz in der Nähe, und wir gingen zu ihr. Der Wächter übersetzte. Möchtest du wissen, was er gesagt hat?«
»Ich kann kaum noch an mich halten.«
»Minos nahm 1992 den Betrieb auf. Es gab maximal fünfzehn Angestellte, die meisten von ihnen waren irgendwelche alten Weiblein. Der Lohn lag bei knapp hundertfünfzig Kronen im Monat. Am Anfang waren gar keine Maschinen da, und die Angestellten mussten erst einmal diese Bruchbude in Ordnung bringen. Anfang Oktober trafen dann drei Kartonmaschinen aus Portugal ein. Sie waren abgenutzt und völlig veraltet. Der Schrottwert kann sich allenfalls auf ein paar Tausender belaufen haben. Zwar funktionierten die Maschinen, aber sie gingen pausenlos kaputt. Ersatzteile fehlten natürlich, also litt Minos unter ständigen Produktionsstopps. Oft sprang einer der Angestellten ein und reparierte die Maschinen provisorisch.«
»Was wurde bei Minos denn eigentlich hergestellt?«
»1992 und das erste Halbjahr 1993 stellten sie ganz normale Pappkartons für Spülmaschinen-Tabs her und Eierkartons und so. Danach produzierten sie Papiertüten. Aber es fehlte der Fabrik permanent an den nötigen Rohstoffen, und so richtig groß war das Produktionsvolumen eigentlich nie.«
»Klingt alles nicht gerade nach der Rieseninvestition.«
»Ich habe es nachgerechnet. Die gesamte Miete für zwei Jahre belief sich auf 15 000 Kronen. Für die Löhne können maximal 150 000 draufgegangen sein, und da bin ich sogar noch großzügig. Die Anschaffungskosten für die Maschinen und den Transporter … einen Kastenwagen, der die Eierkartons auslieferte … schätzungsweise 200 000. Leg noch Bearbeitungsgebühren für Genehmigungen drauf und ein paar Reisekosten - offenbar hat nur eine einzige Person aus Schweden das Dorf ein paarmal besucht. Tja, sagen wir mal, das ganze Unterfangen spielte sich unter der Millionengrenze ab. Eines Tages im Sommer 1993 teilte der Vorarbeiter mit, dass die Fabrik stillgelegt sei. Und wenig später kam ein ungarischer Lastwagen und holte den Maschinenpark ab. Exit Minos.«
Während der Gerichtsverhandlung hatte Mikael oft an jenen Mittsommerabend zurückgedacht. Ihre Unterhaltung war teilweise eine freundschaftlich Kabbelei gewesen, genau wie zu ihrer Schulzeit. Als Teenager hatten sie Sorgen und Nöte miteinander geteilt. Als Erwachsene waren sie einander eigentlich fremd, im Grunde waren sie sehr unterschiedliche Menschen. Im Laufe des Abends hatte Mikael überlegt, dass er sich eigentlich nicht recht erinnern konnte, was sie in ihrer Gymnasialzeit zu so guten Freunden gemacht hatte. Er erinnerte sich an Robert als an einen stillen und zurückhaltenden Jungen, unglaublich schüchtern im Umgang mit Mädchen. Als Erwachsener war er ein erfolgreicher … tja, ein richtiger Aufsteiger im Bankwesen geworden. Mikael zweifelte keinen Augenblick daran, dass sein alter Schulfreund Ansichten hegte, die seinem eigenen Weltbild völlig zuwiderliefen.
Mikael betrank sich nur selten, aber ihre zufällige Begegnung hatte einen missglückten Segelausflug in einen angenehmen Abend verwandelt, und die Schnapsflasche leerte sich zusehends. Gerade weil das Gespräch in einem so schülerhaften Ton verlaufen war, hatte er Roberts Bericht über Wennerström zunächst nicht ernst genommen, aber zu guter Letzt war sein journalistischer Instinkt erwacht. Plötzlich hatte er aufmerksam gelauscht, und dabei waren ihm auch einige logische Einwände eingefallen.
»Warte mal kurz«, hatte Mikael gebeten. »Wennerström ist ein Top-Name unter den Börsenhaien. Wenn ich mich nicht völlig täusche, ist er doch wohl Milliardär …«
»Die Wennerstroem Group verfügt schätzungsweise über 200 Milliarden. Dir liegt wahrscheinlich die Frage auf der Zunge, warum ein Milliardär sich überhaupt damit aufhalten sollte, ein Taschengeld von lumpigen 50 Millionen zu erschwindeln.«
»Vor allem, warum er alles durch einen offensichtlichen Betrug aufs Spiel setzt.«
»Ich weiß nicht, ob man behaupten kann, dass dieser Betrug so offensichtlich ist; der SIB-Vorstand, die Banker, die Regierung und die Finanzexperten des Reichstages haben Wennerströms Rechenschaftsbericht schließlich abgesegnet.«
»Es geht jedenfalls um eine lächerliche Summe.«
»Allerdings. Aber denk noch mal nach: Die Wennerstroem Group ist ein Investmentunternehmen, das mit allem Möglichen handelt, womit man schnell gute Geschäfte machen kann - Wertpapiere, Optionen, Valuta … you name it. Wennerström hat 1992 mit dem SIB Kontakt aufgenommen, zu einer Zeit, als der Finanzmarkt ins Bodenlose abstürzte. Kannst du dich an den Herbst 1992 erinnern?«
»Und ob ich das kann. Ich hatte einen Kredit mit Tagesgeldzinssatz auf meine Wohnung aufgenommen, und dann schoss der Refinanzierungssatz der Reichsbank im Oktober auf 500 % hoch. Sodass ich ein Jahr lang 19 % Zinsen zahlen musste.«
»Mmh, das waren vielleicht Zeiten«, sagte Robert lächelnd. »Und Hans-Erik Wennerström rang - genau wie alle anderen Akteure auf dem Markt - mit demselben Problem. Das Unternehmen hatte Milliarden in verschiedenen Papieren fest angelegt, aber verblüffend wenig liquide Mittel. Von einem Tag auf den anderen konnte es sich keine Fantasiebeträge mehr leihen. Normalerweise würde man in so einer Situation ein paar Immobilien verschachern und sich nach dem Verlust die Wunden lecken - aber 1992 wollte plötzlich kein Schwein mehr Immobilien kaufen.«