Der Reporter Conny Torsson hatte mit dem Schmähartikel, den er über Mikael zusammengeschustert hatte, ganze Arbeit geleistet. Er skizzierte noch einmal kurz die Wennerström-Affäre und hob hervor, dass Mikael Millennium unter Schimpf und Schande verlassen und kürzlich eine Gefängnisstrafe abgebüßt habe. Der Artikel schloss mit der altbekannten Behauptung, dass Mikael ein Gespräch mit dem Hedestads-Kuriren verweigert habe. Der Ton war so gehalten, dass keinem Bewohner von Hedestad verborgen bleiben konnte, was für ein dubioser Typ hier durch die Gegend schlich. Keine der Behauptungen in diesem Artikel war angreifbar, aber sie waren so dargestellt, dass Mikael mehr als fragwürdig dastand. Sowohl das Bild als auch der Text erinnerten an die Art Artikel, in denen man sonst über politische Terroristen berichtet. Millennium wurde als »Agitationsblatt« mit geringer Glaubwürdigkeit hingestellt und Mikaels Buch über Wirtschaftsjournalismus als ein Sammelsurium »kontroverser Behauptungen« über angesehene Journalisten bezeichnet.
»Mikael … ich kann kaum in Worte fassen, was für Gefühle dieser Artikel in mir hervorgerufen hat. Es ist einfach widerlich.«
»Das war eine Auftragsarbeit«, entgegnete Mikael ruhig. Er sah Martin forschend an.
»Ich hoffe, Ihnen ist klar, dass ich nicht das Geringste damit zu tun habe. Ich hätte mich fast an meinem Morgenkaffee verschluckt, als ich die Zeitung las.«
»Wer steckt dahinter?«
»Ich habe heute Morgen ein paar Telefongespräche geführt. Conny Torsson arbeitet den Sommer über als Aushilfe. Er hat in Birgers Auftrag gehandelt.«
»Ich dachte, Birger hätte keinen Einfluss auf die Redaktion; er ist doch immerhin Gemeinderat und Politiker.«
»Offiziell hat er auch keinen Einfluss. Aber Chefredakteur des Kuriren ist Gunnar Karlman, Sohn von Ingrid Vanger aus Johan Vangers Zweig der Familie. Birger und Gunnar sind seit vielen Jahren eng befreundet.«
»Verstehe.«
»Torsson fliegt mit sofortiger Wirkung raus.«
»Wie alt ist er?«
»Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich bin ihm nie begegnet.«
»Schmeißen Sie ihn nicht raus. Als er mich anrief, klang er nach einem ziemlich jungen und unerfahrenen Reporter.«
»Diese Geschichte kann ich ihm nicht durchgehen lassen.«
»Wenn Sie mich fragen, sieht die Situation ein bisschen absurd aus. Der Chefredakteur einer Zeitung, die der Familie Vanger gehört, geht auf eine Zeitschrift los, bei der Henrik Vanger Teilhaber ist und Sie im Führungskreis sitzen. Chefredakteur Karlman attackiert also Sie und Henrik.«
Martin Vanger ließ sich Mikaels Worte durch den Kopf gehen, schüttelte dann aber langsam den Kopf.
»Ich verstehe, was Sie meinen. Ich sollte die Verantwortung an der richtigen Stelle suchen. Karlman ist Teilhaber am Konzern und hat immer aus dem Hinterhalt gegen mich agiert, aber das hier sieht mir eher aus wie Birgers Rache dafür, dass Sie ihn auf dem Krankenhausflur abgefertigt haben. Sie sind ihm ein Dorn im Auge.«
»Ich weiß. Deswegen glaube ich ja auch, dass Torsson immer noch der Unschuldigste in diesem Spiel ist. Es wäre wohl ein bisschen zu viel verlangt von einer jungen Aushilfe, einen Auftrag seines Chefredakteurs zu verweigern.«
»Ich kann verlangen, dass Sie morgen an prominenter Stelle eine öffentliche Entschuldigung bekommen.«
»Lassen Sie’s. Dann zieht sich der Streit nur noch länger hin, und die Situation verschlimmert sich noch mehr.«
»Sie meinen also, ich soll gar nichts unternehmen?«
»Das lohnt sich nicht. Karlman wird sich querstellen, und im schlimmsten Fall werden Sie noch als Gauner hingestellt, der seine Rechte als Eigner missbraucht, um die freie Meinungsbildung zu beeinflussen.«
»Tut mir leid, Mikael, ich kann Ihnen nicht zustimmen. Ich habe tatsächlich auch das Recht, freie Meinungsbildung zu betreiben. Ich finde, dieser Artikel stinkt zum Himmel, und ich habe vor, meine persönliche Einstellung kundzutun. Ich bin immer noch Henriks Stellvertreter in der Millennium-Führungsspitze, und in dieser Funktion kann ich solche versteckten Anschuldigungen nicht unkommentiert lassen.«
»Okay.«
»Ich werde verlangen, dass meine Richtigstellung veröffentlicht wird. In der werde ich wiederum Karlman als Idiot hinstellen. Das hat er sich selbst zuzuschreiben.«
»Okay, Sie müssen nach Ihrer Überzeugung handeln.«
»Ich will Sie davon überzeugen, dass ich nichts mit dieser infamen Attacke zu tun habe.«
»Ich glaube Ihnen«, versicherte Mikael.
»Außerdem - ich wollte das eigentlich nicht bei dieser Gelegenheit wieder aufs Tapet bringen, aber dieser Vorfall hängt unmittelbar mit dem Thema zusammen, über das wir neulich gesprochen haben. Es ist wichtig, dass Sie wieder fest in der Millennium-Redaktion sitzen, sodass wir nach außen geeint auftreten. Solange Sie fortbleiben, geht das dumme Gerede immer weiter. Ich glaube an Millennium und bin sicher, dass wir diesen Kampf gemeinsam gewinnen können.«
»Ich verstehe Ihren Standpunkt ja, aber in dieser Sache kann ich Ihnen nicht zustimmen. Ich kann den Vertrag mit Henrik nicht brechen, und ich will ihn auch nicht brechen. Ich mag den alten Mann wirklich. Und die Geschichte mit Harriet …«
»Ja?«
»Ich begreife, dass Henriks Besessenheit für Sie manchmal sehr anstrengend war.«
»Mal ganz unter uns - ich liebe Henrik, und er ist mein Mentor, aber was Harriet angeht, grenzte seine Besessenheit schon an Rechthaberei.«
»Als ich diesen Job anfing, erwartete ich, dass ich damit nur meine Zeit verschwenden würde. Aber nun haben wir wider Erwarten doch neues Material gefunden. Ich glaube, dass wir vor einem Durchbruch stehen. Vielleicht werden wir bald eine Antwort auf die Frage haben, was damals wirklich geschehen ist.«
»Sie wollen mir nicht erzählen, was Sie gefunden haben?«
»Laut Vertrag darf ich ohne Henriks persönliche Genehmigung mit niemandem darüber sprechen.«
Martin Vanger stützte das Kinn auf die Hand. Mikael konnte den Zweifel in seinen Augen sehen. Schließlich fasste Martin einen Entschluss.
»Okay, dann ist es wohl das Beste, das Rätsel Harriet so schnell wie möglich zu lösen. Ich würde sagen, ich gebe Ihnen jedwede Unterstützung, damit Sie die Arbeit zufriedenstellend abschließen und danach wieder zu Millennium zurückkehren können.«
»Gut. Ich möchte nicht auch noch gegen Sie kämpfen müssen.«
»Das brauchen Sie auch nicht. Sie haben meine volle Unterstützung. Wenn Sie wollen, können Sie sich an mich wenden, sobald Sie auf Probleme stoßen. Ich kann Druck auf Birger ausüben, damit er Sie nicht behindert. Und ich kann versuchen, mit Cecilia zu reden, damit sie sich wieder beruhigt.«
»Danke. Ich muss ihr nämlich ein paar Fragen stellen, und sie ignoriert meine Versuche, mich mit ihr zu unterhalten, mittlerweile seit einem Monat.«
Martin Vanger lachte plötzlich auf.
»Sie haben vielleicht ganz andere Dinge miteinander zu klären. Aber da mische ich mich nicht ein.«
Sie gaben sich die Hand.
Lisbeth Salander hatte dem Wortwechsel zwischen Mikael und Martin Vanger schweigend gelauscht. Als Martin gegangen war, nahm sie sich den Hedestads-Kuriren und überflog den Artikel. Danach legte sie die Zeitung kommentarlos wieder weg.
Mikael überlegte. Gunnar Karlman war Jahrgang 1942, also vierundzwanzig Jahre alt gewesen, als Harriet verschwand. Er gehörte auch zu denjenigen, die sich zum kritischen Zeitpunkt auf der Insel aufgehalten hatten.
Nach dem Frühstück gab Mikael seiner Recherche-Assistentin den polizeilichen Untersuchungsbericht zu lesen. Er sah das Material vorher durch und gab ihr nur die Ordner, die sich auf Harriets Verschwinden konzentrierten. Außerdem gab er ihr alle Bilder vom Unfall auf der Brücke sowie die ausführliche redigierte Zusammenstellung von Henriks Privatermittlungen.
Danach ging Mikael zu Frode hinüber und ließ ihn Lisbeths Vertrag um einen Monat verlängern.