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Mikael warf den Kadaver in einen Mülleimer bei der Tankstelle, bevor er nach Hedestad fuhr und die Feuerlöscher und die Rauchmelder kaufte. Er legte sie in den Kofferraum und fuhr zum Krankenhaus. Er hatte Frode angerufen und ein Treffen in der Cafeteria mit ihm ausgemacht, bei dem er ihm erzählte, was am Morgen passiert war. Dirch Frode erbleichte.

»Ich hatte nie damit gerechnet, dass diese Geschichte gefährlich werden könnte, Mikael.«

»Warum nicht? Der Auftrag bestand doch darin, einen Mörder aufzuspüren.«

»Aber wer sollte denn … Das ist doch Wahnsinn! Wenn Gefahr für Ihr Leben und das Leben von Frau Salander besteht, dann müssen wir das Unternehmen abbrechen. Ich kann mit Henrik sprechen.«

»Nein. Auf keinen Fall. Ich möchte nicht riskieren, dass er noch einen Herzanfall erleidet.«

»Er fragt die ganze Zeit, wie es bei Ihnen vorangeht.«

»Grüßen Sie ihn schön - ich suche weiter.«

»Was sollen wir jetzt tun?«

»Ich habe ein paar Fragen. Der erste Vorfall geschah kurz nachdem Henrik seinen Herzanfall bekommen hatte und ich tagsüber in Stockholm war. Jemand hat mein Arbeitszimmer durchsucht. Das war genau zu dem Zeitpunkt, als ich den Bibelcode geknackt und die Bilder von der Bahnhofstraße entdeckt hatte. Ich hatte Ihnen und Henrik davon erzählt. Martin wusste es auch, weil er mir Zugang zum Archiv des Hedestads-Kuriren verschafft hat. Wie viele wussten es noch?«

»Tja, ich weiß nicht genau, mit wem Martin gesprochen hat«, sagte Frode. »Aber sowohl Birger als auch Cecilia wussten darüber Bescheid. Sie haben miteinander über Ihre Bilderjagd geredet. Und Gunnar und Helena Nilsson übrigens auch. Sie waren gerade zu Besuch bei Henrik und wurden ins Gespräch einbezogen. Und Anita Vanger.«

»Anita? Die ist doch in London?«

»Sie flog gemeinsam mit ihrer Schwester Cecilia nach Hause, als Henrik seinen Herzanfall erlitten hatte, aber sie wohnte in einem Hotel, und soweit ich weiß, ist sie nicht auf der Hedeby-Insel gewesen. Wie Cecilia wollte auch sie ihren Vater nicht treffen. Vor einer Woche ist sie wieder nach Hause geflogen, als Henrik aus der Intensivstation entlassen wurde.«

»Wo wohnt Cecilia zurzeit? Ich habe sie heute Morgen über die Brücke fahren sehen, aber in ihrem Haus ist alles verriegelt und dunkel.«

»Verdächtigen Sie sie?«

»Nein, ich frage mich nur, wo sie wohnt.«

»Sie wohnt bei ihrem Bruder Birger. Von dort aus kann sie zu Fuß zu Henrik gehen.«

»Wissen Sie, wo sie jetzt gerade ist?«

»Nein. Bei Henrik ist sie jedenfalls nicht.«

»Danke«, sagte Mikael und stand auf.

Die Familie Vanger kreiste um das Krankenhaus von Hedestad. In der Eingangshalle sah er Birger auf dem Weg zu den Aufzügen. Mikael hatte keine Lust, ihm zu begegnen, und wartete, bis er verschwunden war, bevor er die Eingangshalle betrat. Dort stieß er mit Martin Vanger zusammen, an fast derselben Stelle, an der er Cecilia bei seinem letzten Besuch getroffen hatte. Sie grüßten sich und gaben sich die Hand.

»Sind Sie oben gewesen, um Henrik zu besuchen?«

»Nein, ich habe nur kurz Dirch Frode getroffen.«

Martin Vanger sah müde und hohläugig aus. Mikael fiel auf, dass er im letzten halben Jahr deutlich gealtert war. Der Kampf um die Rettung des Vangerschen Imperiums forderte seinen Tribut, und Henriks plötzlicher Herzanfall war auch nicht gerade eine Aufmunterung gewesen.

»Wie geht es bei Ihnen voran?«, fragte Martin Vanger.

»Ach, danke. Es wird mit jedem Tag interessanter. Wenn es Henrik wieder besser geht, hoffe ich, dass wir seine Neugierde befriedigen können.«

Birger Vanger wohnte in einem weiß verklinkerten Reihenhaus auf der anderen Seite der Straße, nur fünf Gehminuten vom Krankenhaus entfernt. Er hatte Aussicht aufs Meer und den Gästehafen. Als Mikael klingelte, machte niemand auf. Er rief Cecilia auf dem Handy an, aber sie ging nicht dran. Er blieb eine Weile im Auto sitzen und trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad. Birger Vanger war ein unbeschriebenes Blatt in seiner Sammlung - 1939 geboren und damit erst zehn Jahre alt, als der Mord an Rebecka Jacobsson begangen wurde. Als Harriet verschwand, war er siebenundzwanzig gewesen.

Henrik zufolge hatten Birger und Harriet kaum Kontakt miteinander gehabt. Er war in Uppsala bei seiner Familie aufgewachsen und nach Hedestad gezogen, um im Konzern zu arbeiten, doch nach ein paar Jahren stieg er aus, um sich der Politik zu widmen. Als der Mord an Lena Andersson verübt wurde, war er in Uppsala gewesen.

Mikael konnte einfach keine Ordnung in die Geschichte bringen, aber der Vorfall mit der Katze vermittelte ihm das Gefühl, einer unmittelbaren Bedrohung ausgesetzt zu sein und möglicherweise nicht mehr viel Zeit zu haben.

Der alte Pfarrer von Hedeby, Otto Falk, war sechsunddreißig Jahre alt gewesen, als Harriet verschwand. Nun war er zweiundsiebzig, jünger als Henrik, aber in erheblich schlechterer geistiger Verfassung. Mikael besuchte ihn im Pflegeheim Svalan, einem gelben Ziegelbau am anderen Ende der Stadt. Mikael stellte sich am Empfang vor und bat darum, mit Pfarrer Falk sprechen zu dürfen. Er sagte, er habe gehört, dass Falk an Alzheimer leide, und erkundigte sich, ob man sich mit ihm unterhalten könne. Eine Oberschwester gab ihm die Auskunft, dass Pfarrer Falk seine Diagnose vor drei Jahren bekommen habe und die Krankheit einen aggressiven Verlauf nehme. Falk sei ansprechbar, aber er habe ein äußerst schlechtes Kurzzeitgedächtnis, erkenne manche Verwandte nicht wieder und sei insgesamt auf dem Weg in die tiefe Nacht. Mikael wurde zudem gewarnt, dass der Alte Angstattacken erleide, wenn man mit Fragen in ihn drang, die er nicht beantworten könne.

Der alte Pfarrer saß auf einer Parkbank in einem Garten, zusammen mit drei anderen Patienten und einem Pfleger. Mikael versuchte eine Stunde lang mit Falk zu reden, verließ das Heim dann aber genauso schlau, wie er gekommen war.

Pfarrer Falk behauptete, sich sehr gut an Harriet Vanger erinnern zu können. Er strahlte und beschrieb sie als ein bezauberndes Mädchen. Mikael erkannte jedoch bald, dass es dem Pfarrer geglückt war zu verdrängen, dass sie seit knapp siebenunddreißig Jahren verschwunden war. Er sprach von ihr, als habe er sie neulich erst getroffen, und bat Mikael, sie schön von ihm zu grüßen und ihr auszurichten, sie solle ihn doch einmal besuchen kommen. Mikael versprach es ihm.

Als Mikael den Tag von Harriets Verschwinden zur Sprache brachte, war der Pfarrer völlig verblüfft. Er erinnerte sich anscheinend überhaupt nicht an den Unfall auf der Brücke. Mikael begriff bald, dass der Pfarrer nichts Wertvolles zur Ermittlung beitragen konnte. Erst am Ende ihres Gesprächs erwähnte er etwas, was Mikael zumindest kurz die Ohren spitzen ließ.

Als Mikael Harriets Interesse für die Religion ins Gespräch einfließen ließ, wurde Pfarrer Falk mit einem Mal nachdenklich. Es war, als würde eine Wolke über sein Gesicht ziehen. Er schaukelte eine Weile vor und zurück, sah plötzlich zu Mikael auf und fragte ihn, wer er sei. Mikael stellte sich ihm noch einmal vor, und der Alte überlegte noch eine Weile. Schließlich schüttelte er den Kopf und wirkte irritiert.

»Sie ist immer noch auf der Suche. Sie muss vorsichtig sein, und Sie müssen Sie warnen.«

»Wovor soll ich sie warnen?«

Auf einmal war Falk furchtbar erregt. Er runzelte die Augenbrauen und schüttelte den Kopf.

»Sie muss sola scriptura lesen und die sufficientia scripturae begreifen. Nur so kann sie sola ide aufrechterhalten. Josef schließt sie ganz bestimmt aus. Sie wurden nie in den Kanon aufgenommen.«

Mikael verstand nicht eine Silbe, machte sich aber eifrig Notizen. Dann lehnte sich Pfarrer Falk zu ihm vor und wisperte ihm vertraulich zu:

»Ich glaube, sie ist Katholikin. Sie schwärmt für Magie und hat ihren Gott noch nicht gefunden. Man muss ihr den Weg weisen.«

Das Wort »Katholik« hatte offensichtlich einen schlechten Klang für Pfarrer Falk.