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In dieser Frage glaubte Raskolnikow etwas Heimtückisches zu hören. Er rückte von Porfirij, der ihn schweigend, unverwandt und fragend beobachtete, zur Sofalehne zurück.

»Oder zum Beispiel das mit Herrn Rasumichin, das heißt, ob er gestern ganz von selbst kam oder auf Ihre Veranlassung? Sie müßten doch unbedingt sagen, daß er von selbst gekommen wäre, und verheimlichen, daß er es auf Ihre Veranlassung getan hätte! Sie verheimlichen es aber nicht! Sie betonen doch, daß er auf Ihre Veranlassung gekommen war!«

Raskolnikow hatte dies niemals betont. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken.

»Sie lügen immerfort!« sagte er langsam und mit schwacher Stimme, während sich seine Lippen zu einem krankhaften Lächeln verzerrten. »Sie wollen mir wieder zeigen, daß Sie mein ganzes Spiel durchschauen und alle meine Antworten im voraus wissen«, sagte er und fühlte selbst fast nicht, daß er seine Worte nicht mehr ordentlich abwog. »Sie wollen mich einschüchtern ... oder Sie lachen einfach über mich ...«

Er fuhr fort, ihn unverwandt anzusehen, als er das sagte, und plötzlich leuchtete grenzenloser Haß wieder in seinen Augen auf.

»Sie lügen immer!« rief er aus. »Sie wissen doch selbst sehr gut, daß es der beste Ausweg für den Verbrecher ist, nach Möglichkeit die Wahrheit zu sprechen ... nach Möglichkeit nicht zu verheimlichen, was man nicht verheimlichen kann! Ich glaube Ihnen nicht!«

»Wie Sie sich aber hin und her winden!« kicherte Porfirij. »Mit Ihnen kann man gar nicht fertig werden, Väterchen: eine Monomanie hat sich in Ihnen festgesetzt. Sie glauben mir also nicht? Ich aber will Ihnen sagen, daß Sie mir schon glauben, daß Sie mir schon einen Viertel Arschin glauben, und ich werde es bald erreichen, daß Sie mir einen ganzen Arschin glauben, denn ich habe Sie aufrichtig gern und wünsche Ihnen von Herzen alles Gute.«

Raskolnikows Lippen zitterten.

»Jawohl, das wünsche ich Ihnen, und ich will Ihnen endgültig sagen«, fuhr er fort, indem er Raskolnikows Arm leicht und freundschaftlich oberhalb des Ellbogens ergriff. »Ich will Ihnen endgültig sagen: geben Sie doch auf Ihre Krankheit acht. Außerdem haben Sie ja Besuch von Ihren Angehörigen; denken Sie doch auch an sie. Sie sollten sie beruhigen und zartfühlend behandeln, Sie machen ihnen aber nur Angst ...«

»Was geht Sie das an? Wie können Sie das wissen? Warum interessieren Sie sich so dafür? Folglich beobachten Sie mich und wollen es mir zeigen?«

»Väterchen! Das habe ich doch von Ihnen selbst erfahren, von Ihnen selbst! Sie merken ja gar nicht, daß Sie das alles in Ihrer Erregung mir und auch den anderen erzählen. Auch von Herrn Dmitrij Prokofjitsch Rasumichin habe ich gestern viele interessante Einzelheiten erfahren. Nein, Sie haben mich unterbrochen, ich aber will Ihnen sagen, daß Sie durch Ihren Argwohn bei all Ihrem Scharfblick selbst das gesunde Verhältnis zu den Dingen verloren haben. Nehmen wir als Beispiel wieder das mit der Klingeclass="underline" so einen wertvollen Schatz, eine solche Tatsache (es ist doch eine ganze Tatsache!) habe ich, der Untersuchungsrichter, Ihnen mit Haut und Haaren ausgeliefert! Sehen Sie denn nichts darin? Wenn ich Sie doch nur ein wenig verdächtigte, dürfte ich so handeln? Im Gegenteil, ich müßte zuerst Ihren Argwohn einschläfern und durch keine Miene verraten, daß ich über diese Tat schon unterrichtet bin. Ich müßte Sie in eine entgegengesetzte Richtung ablenken und dann plötzlich wie mit einem Beilhieb auf den Scheitel (wie Sie sich selbst ausdrückten) betäuben: ›Was haben Sie, verehrter Herr, gestern in der Wohnung der Ermordeten gemacht, um zehn Uhr abends, oder vielleicht gar um elf? Und warum haben Sie an der Klingel gezogen? Und warum haben Sie nach dem Blute gefragt? Und warum haben Sie die Hausknechte konfus gemacht und aufgefordert, aufs Revier zum Polizeileutnant zu gehen?‹ So hätte ich vorgehen müssen, wenn ich auch den geringsten Verdacht gegen Sie hätte! Ich müßte Sie in aller Form vernehmen, eine Haussuchung bei Ihnen abhalten und Sie vielleicht auch verhaften ... Folglich hege ich doch nicht den Verdacht gegen Sie, wenn ich anders vorgehe! Sie aber haben jedes gesunde Verhältnis zu den Dingen verloren und sehen nichts, wiederhole ich!«

Raskolnikow fuhr am ganzen Körper zusammen, so daß Porfirij Petrowitsch es allzu deutlich merkte.

»Sie lügen immer!« rief er aus. »Ich kenne Ihre Absichten nicht, aber Sie lügen ... Vorhin haben Sie nicht in diesem Sinne gesprochen, und ich kann mich nicht irren ... Sie lügen!«

»Ich lüge?« fiel ihm Porfirij ins Wort, scheinbar erregt, doch mit der gleichen lustigen und spöttischen Miene; er schien sich nicht im geringsten darum zu kümmern, welche Ansicht über ihn Herr Raskolnikow hatte. »Ich lüge? ... Wie habe ich mich aber vorhin Ihnen gegenüber benommen (ich, der Untersuchungsrichter), – indem ich Ihnen selbst alles suggerierte, alle Mittel zur Verteidigung lieferte und Ihnen selbst die ganze Psychologie erklärte: ›Es war die Krankheit, ein Fieberwahn, ich war beleidigt; die Melancholie und die Beamten auf dem Polizeirevier‹, und dergleichen! Wie? He-he-he! Obwohl ich Ihnen bei dieser Gelegenheit sagen möchte, daß alle diese psychologischen Mittel zur Verteidigung, alle diese Ausflüchte und Finten wenig nützen und zwei Enden haben: ›Es war die Krankheit, das Delirium, Träume, es kam mir nur so vor, ich weiß nichts mehr,‹ – das stimmt alles, aber warum sind Ihnen, Väterchen, in der Krankheit, im Fieber gerade solche Träume gekommen und keine anderen? Es hätten ja auch andere kommen können? Nicht wahr? He-he-he!«

Raskolnikow blickte ihn stolz und mit Verachtung an.

»Mit einem Worte,« sagte er eindringlich und laut, indem er aufstand und Porfirij dabei ein wenig zur Seite stieß, »ich möchte wissen: halten Sie mich für endgültig frei von jedem Verdacht – oder nicht? Sagen Sie es, Porfirij Petrowitsch, sagen Sie es positiv und endgültig, und schnell, sofort!«

»Ist das ein Kreuz! Was Sie einem für Schwierigkeiten machen!« rief Porfirij mit vollkommen lustiger, verschlagener und durchaus nicht besorgter Miene. »Ja, was brauchen Sie das zu wissen, warum wollen Sie so vieles wissen, wenn man noch nicht mal angefangen hat, Sie irgendwie zu belästigen? Sie sind doch wie ein Kind: Sie wollen unbedingt, daß man Ihnen das Feuer in die Hand gibt! Und warum regen Sie sich so auf? Warum drängen Sie sich uns so auf, aus welchem Grunde? Wie? He-he-he!«

»Ich sage Ihnen noch einmal,« rief Raskolnikow, außer sich vor Wut, »daß ich es nicht länger ertragen kann!«

»Was denn? Die Ungewißheit?« unterbrach ihn Porfirij.

»Verhöhnen Sie mich nicht! Ich will es nicht! ... Ich sage Ihnen ja, daß ich es nicht will! ... Ich kann und will es nicht! ... Hören Sie! Hören Sie!« schrie er und schlug wieder mit der Faust auf den Tisch.

»Stiller doch, stiller! Man wird Sie hören! Ich warne Sie ernsthaft: Schonen Sie sich. Ich spaße nicht!« flüsterte Porfirij Petrowitsch; diesmal war aber in seinem Gesicht nicht mehr der frühere weibisch-gutmütige und erschrockene Ausdruck, im Gegenteil, jetzt befahl er streng, mit gerunzelten Brauen, als ließe er alle Geheimnisse und Zweideutigkeiten auf einmal fallen.

Das dauerte aber nur einen Augenblick. Der anfangs bestürzte Raskolnikow geriet plötzlich in echte Wut; aber seltsam: er folgte wieder dem Befehl, leiser zu sprechen, obwohl er auch in höchster Raserei war.

»Ich lasse mich nicht quälen!« flüsterte er wie vorhin und merkte zugleich mit Schmerz und Haß, daß er nicht umhin konnte, dem Befehle zu folgen, und dieser Gedanke versetzte ihn in eine noch größere Raserei. »Verhaften Sie mich, durchsuchen Sie mich, aber behandeln Sie mich nach der gesetzlichen Form, und spielen Sie nicht mit mir! Unterstehen Sie sich nicht ...«