Выбрать главу

»Da haben wir es!« rief Porfirij böse. »Es sind nicht seine eigenen Worte, die er spricht!« murmelte er wie vor sich hin und sah im selben Augenblick wieder Raskolnikow an.

Er hatte sich so ganz dem Nikolai gewidmet, daß er für einen Augenblick sogar Raskolnikow vergaß. Jetzt kam er zu sich und wurde sogar verlegen ...

»Rodion Romanowitsch, Väterchen! Entschuldigen Sie!« rief er, zu ihm stürzend. »So geht es nicht; ich bitte Sie ... hier haben Sie nichts zu suchen ... ich bin auch selbst ... sehen Sie, was für Überraschungen! ... Ich bitte Sie! ...«

Und er nahm ihn bei der Hand und zeigte auf die Tür.

»Es scheint, Sie haben es nicht erwartet?« sagte Raskolnikow, der natürlich noch nichts klar begriff, aber schon neuen Mut gefaßt hatte.

»Aber auch Sie, Väterchen, haben es nicht erwartet. Wie nur Ihr Händchen zittert! He-he-he!«

»Aber auch Sie zittern, Porfirij Petrowitsch.«

»Auch ich zittere; ich habe es nicht erwartet! ...«

Sie standen schon in der Tür. Porfirij wartete ungeduldig, daß Raskolnikow hinausgehe.

»Und Ihre Überraschung werden Sie mir gar nicht zeigen?« fragte plötzlich Raskolnikow höhnisch.

»Er spricht, und die Zähnchen im Munde klappern ihm nur so, he-he! Sie sind ein ironischer Mensch! Also auf Wiedersehen!«

»Oder besser: leben Sie wohl!«

»So Gott will, so Gott will«, murmelte Porfirij Petrowitsch mit einem schiefen Lächeln.

Beim Passieren der Kanzlei merkte Raskolnikow, daß viele ihn aufmerksam ansahen. In der Menge im Vorzimmer bemerkte er auch die beiden Hausknechte aus jenem Hause, die er damals am Abend zum Revieraufseher schicken wollte. Sie standen da und warteten auf etwas. Kaum war er aber auf die Treppe getreten, als er hinter sich wieder die Stimme Porfirij Petrowitschs hörte. Er wandte sich um und sah, daß dieser ihm ganz außer Atem nachlief.

»Nur ein Wort, Rodion Romanowitsch; alles weitere hängt von Gott ab, aber ich werde Sie auch ein wenig in aller Form vernehmen müssen ... Wir sehen uns also noch, nicht wahr?«

Und Porfirij blieb vor ihm lächelnd stehen.

»Nicht wahr?« fügte er noch einmal hinzu.

Man konnte annehmen, daß er noch etwas sagen wollte, es aber nicht über die Lippen bringen konnte.

»Sie müssen mich wegen des Früheren entschuldigen, Porfirij Petrowitsch ... ich ließ mich hinreißen«, begann Raskolnikow, der die Fassung schon so weit gewonnen hatte, daß er den unüberwindlichen Wunsch empfand, seine Unbefangenheit zur Schau zu stellen.

»Macht nichts, macht nichts«, erwiderte Porfirij fast freudig. »Auch ich selbst ... Einen giftigen Charakter habe ich, ich gestehe es, ich gestehe es! Wir sehen uns aber noch. So Gott will, sogar sehr! ...«

»Und werden einander endgültig erkennen?« fiel Raskolnikow ein.

»Und werden einander endgültig erkennen«, bestätigte Porfirij Petrowitsch, die Augen zusammenkneifend und ihn sehr ernst anblickend. »Und jetzt zum Namenstag?«

»Zu einer Beerdigung.«

»Ja, richtig, zur Beerdigung! Schonen Sie aber Ihre Gesundheit, Ihre Gesundheit ...«

»Ich aber weiß gar nicht, was ich Ihnen meinerseits wünschen soll!« entgegnete Raskolnikow, der schon die Treppe hinunterging, sich aber plötzlich wieder zu Porfirij Petrowitsch umwandte. »Ich würde Ihnen mehr Erfolg wünschen, aber Ihr Amt ist doch gar zu komisch!«

»Warum ist es denn komisch?« fragte Porfirij Petrowitsch, der sich schon auch umgewandt hatte, sofort die Ohren spitzend.

»Aber gewiß! Diesen armen Mikolka haben Sie doch sicher ordentlich gequält, auf Ihre psychologische Manier gepeinigt, bis er mit dem Geständnis kam! Tag und Nacht haben Sie ihm wohl zugeredet: ›Du bist der Mörder, du bist der Mörder! ...‹ Und jetzt, wo er es gestanden hat, werden Sie ihn wohl wieder auf die Folter spannen: ›Du lügst, du bist nicht der Mörder! Kannst nicht der Mörder sein! Es sind nicht deine eigenen Worte, die du sprichst!‹ Ist denn nach alledem Ihr Amt nicht komisch?«

»He-he-he! Und Sie haben es schon bemerkt, wie ich eben sagte: ›Es sind nicht seine eigenen Worte, die er spricht‹?«

»Warum soll man es nicht merken?«

»He-he! Sie sind scharfsinnig, sehr scharfsinnig! Ein lebhafter Geist! Und Sie treffen immer die komischste Seite ... he-he! ... Man sagt doch, daß unter den Schriftstellern diese Eigenschaft bei Gogol am stärksten ausgeprägt war?«

»Ja, bei Gogol.«

»Richtig, bei Gogol ... auf angenehmes Wiedersehen.«

»Auf angenehmes Wiedersehen ...«

Raskolnikow ging direkt nach Hause. Er war dermaßen konfus und verwirrt, daß er, als er schon zu Hause war und sich aufs Sofa warf, eine Viertelstunde sitzen mußte, um auszuruhen und seine Gedanken zu sammeln. An Nikolai versuchte er nicht mal zu denken: er fühlte sich wie niedergeschmettert: er fühlte, daß im Geständnis Nikolais etwas Unbegreifliches lag, etwas Erstaunliches, das er jetzt unmöglich erfassen konnte. Doch das Geständnis Nikolais war eine unumstößliche Tatsache. Die Folgen dieser Tatsache wurden ihm auch sofort klar: die Lüge mußte unbedingt mal ans Licht kommen, und dann würde man wieder ihn vornehmen. Aber bis dahin war er wenigstens frei und mußte unbedingt etwas für sich unternehmen, denn die Gefahr war unvermeidlich.

Doch in welchem Maße? Die Lage begann sich zu klären. Als er sich der ganzen Szene bei Porfirij, die er vorhin erlebt hatte, im Rohen, im allgemeinen Zusammenhange erinnerte, mußte er noch einmal erschauern. Natürlich kannte er noch nicht alle Absichten Porfirijs und konnte nicht alle seine Berechnungen von vorhin durchschauen. Doch ein Teil des Spiels war nun aufgedeckt, und gewiß konnte niemand besser als er verstehen, wie gefährlich für ihn dieser »Zug« im Spiele Porfirijs war. Noch ein wenig, und er hätte sich vollkommen verraten können. Da Porfirij seinen krankhaften Charakter kannte und ihn auf den ersten Blick richtig eingeschätzt und durchschaut hatte, ging er vielleicht allzu entschlossen, doch mit fast unfehlbarer Sicherheit vor. Allerdings hatte sich Raskolnikow schon früher stark kompromittiert, aber zu Tatsachen war es doch nicht gekommen; alles war nur noch relativ. Faßt er aber jetzt alles wirklich richtig auf? Irrt er auch nicht? Auf welche Resultate ging Porfirij heute aus? Hatte er für heute wirklich etwas vorbereitet? Was denn? Hatte er heute wirklich auf etwas gewartet, und worauf? Wie würden sie sich heute getrennt haben, wenn nicht die unerwartete Katastrophe mit Nikolai dazwischengekommen wäre?

Porfirij hatte fast sein ganzes Spiel aufgedeckt, wenn auch mit einem gewissen Risiko, aber er hatte es aufgedeckt: wenn er noch mehr gehabt hätte (glaubte Raskolnikow), so würde er auch das aufgedeckt haben. Was war das für eine »Überraschung«? War es nur eine Verhöhnung? Hatte das etwas zu bedeuten oder nicht? Konnte etwas dahinter stecken, was auch nur irgendwie einer Tatsache, einer positiven Anklage ähnlich sähe? Der Mann von gestern? Ist der wieder in die Erde versunken? Wo war er heute? Wenn Porfirij überhaupt etwas Positives in Händen hat, so kann es nur mit dem Mann von gestern zusammenhängen ...

Er saß auf dem Sofa, den Kopf tief gesenkt, die Ellbogen in die Knie gestemmt, das Gesicht in die Hände vergraben. Das nervöse Zittern am ganzen Körper dauerte an. Schließlich stand er auf, nahm die Mütze, dachte eine Weile nach und ging zur Tür.

Er hatte ein Vorgefühl, daß er wenigstens diesen ganzen Tag fast ganz sicher sein durfte. Plötzlich erfüllte ein beinahe freudiges Gefühl sein Herz. Er wollte so schnell als möglich zu Katerina Iwanowna. Zur Beerdigung kam er selbstverständlich zu spät, doch zum Totenmahl konnte er noch zurechtkommen, und dort würde er sofort Ssonja wiedersehen.

Er blieb stehen, dachte nach, und ein schmerzvolles Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen.

»Heute! Heute!« wiederholte er vor sich hin. »Ja, heute! So muß es ...«