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»Durchaus nicht spucken, sondern protestieren. Ich verfolge einen guten Zweck. Ich kann dabei indirekt der Aufklärung und der Propaganda dienen. Jeder Mensch ist verpflichtet, der Aufklärung der anderen durch Propaganda zu dienen, und je schroffer er es tut, um so besser ist es vielleicht. Ich kann den Samen einer Idee in sie ausstreuen ... Aus diesem Samen kann eine Tatsache entstehen. Worin sollte da eine Beleidigung liegen? Zuerst werden sie sich beleidigt fühlen, später aber einsehen, daß ich ihnen nur Nutzen gebracht habe. Da hat man bei uns die Terebjewa beschuldigt (die jetzt in der Kommune ist), daß sie, als sie ihre Familie verließ und ... sich einem Mann hingab, ihren Eltern schrieb, daß sie nicht mehr unter Vorurteilen leben wolle und eine ›bürgerliche‹ Ehe eingehe; man sagte, es sei viel zu grob, seine Eltern so zu behandeln, sie hätte sie schonen und den Brief etwas milder abfassen können. Meiner Ansicht nach ist das alles Unsinn, und man soll gar nicht mild sein, im Gegenteil, gerade hier muß man protestieren. Die Warenz hat zum Beispiel sieben Jahre mit ihrem Manne gelebt, hat dann ihre zwei Kinder verlassen und ihrem Manne in einem Briefe ganz unzweideutig gesagt: ›Ich habe eingesehen, daß ich mit Ihnen nicht glücklich sein kann. Ich werde Ihnen nie verzeihen, daß Sie mich betrogen, indem Sie mir verheimlicht haben, daß es eine andere Gesellschaftsordnung in den Kommunen gibt. Ich habe es vor kurzem von einem großmütigen Mann erfahren, dem ich mich auch hingegeben habe und mit dem ich jetzt eine Kommune gründe. Ich spreche das offen aus, weil ich es für ehrlos halte, Sie zu betrügen. Bleiben Sie, wo Sie wollen. Hoffen Sie nicht, mich wiederzugewinnen; Sie kommen viel zu spät. Ich wünsche Ihnen Glück.‹ So soll man derartige Briefe schreiben!«

»Ist es dieselbe Terebjewa, von der Sie damals erzählten, daß sie in der dritten ›bürgerlichen‹ Ehe lebe?«

»Eigentlich erst in der zweiten! Und wenn es auch die vierte und sogar die fünfzehnte wäre, so macht das doch nichts! Wenn ich jemals bedauerte, daß meine Eltern gestorben sind, so sicher jetzt. Einigemal habe ich schon daran gedacht, wie ich sie mit einem Protest geohrfeigt haben würde, wenn sie noch am Leben wären! Ich hätte es absichtlich so eingerichtet ... Was ist so ein ›verlorener Sohn‹ dagegen, pfui Teufel! Ich hätte es ihnen schon gezeigt. Ich hätte sie in Erstaunen versetzt! Wirklich schade, daß ich niemand mehr habe!«

»Um ihn in Erstaunen zu versetzen? He-he! Nun, ganz wie Sie wünschen«, unterbrach ihn Pjotr Petrowitsch. »Sagen Sie mir aber folgendes: Sie kennen doch diese Tochter des Verstorbenen, die magere Kleine? Ist das wirklich wahr, was man von ihr erzählt, wie?«

»Was ist denn dabei? Meiner persönlichen Überzeugung nach ist es auch der normale Zustand der Frau. Warum auch nicht? Das heißt, distinguons. In der jetzigen Gesellschaft ist es natürlich nicht ganz normal, weil dieser Zustand ein erzwungener ist, aber in der zukünftigen Gesellschaft wird er freiwillig und folglich normal sein. Sie hätte auch jetzt schon das Recht dazu: sie hat gelitten, und das war ihr Fonds, sozusagen ihr Kapital, über das sie mit vollem Rechte verfügen darf. In der zukünftigen Gesellschaft werden solche Fonds natürlich nicht mehr nötig sein; doch ihre Rolle wird in einer anderen Hinsicht bestimmt und logisch und rationell bedingt sein. Was aber Ssofja Ssemjonowna persönlich betrifft, so betrachte ich für meine Person ihre gegenwärtigen Handlungen als einen energischen und personifizierten Protest gegen die Gesellschaftsordnung und habe vor ihr deswegen großen Respekt; ich freue mich sogar, wenn ich sie ansehe!«

»Man hat mir aber erzählt, daß Sie sie aus dieser Wohnung hinausgeekelt haben!«

Lebesjatnikow wurde sogar wütend.

»Das ist auch so eine Klatschgeschichte!« schrie er. »Die Sache war ganz anders! Es war gar nicht so! Katerina Iwanowna hat diese ganze Lügengeschichte erfunden, weil sie nichts verstanden hat! Und ich hatte mich an Ssofja Ssemjonowna gar nicht herangemacht! Ich hatte mich bloß bemüht, sie aufzuklären, durchaus uneigennützig, um in ihr den Protest zu wecken ... Mir war es nur um den Protest zu tun, auch konnte Ssofja Ssemjonowna sowieso nicht mehr in dieser Wohnung bleiben!«

»Sie forderten sie also auf, in eine Kommune einzutreten?«

»Sie machen immer Witze, und zwar schlechte Witze, erlauben Sie mir zu bemerken. Sie verstehen nichts! In der Kommune gibt es solche Rollen nicht. Die Kommune wird ja gerade darum gegründet, damit es solche Rollen nicht gebe. In der Kommune wird diese Rolle ihren jetzigen Charakter verändern, und was hier dumm ist, wird dort klug sein, und was unter den jetzigen Verhältnissen unnatürlich, wird dort durchaus natürlich sein. Alles hängt vom Milieu und von der Umgebung des Menschen ab. Das Milieu ist alles, der Mensch selbst ist nichts. Mit Ssofja Ssemjonowna vertrage ich mich auch jetzt gut, was Ihnen als Beweis dienen kann, daß sie mich nie für ihren Feind und Beleidiger gehalten hat. Ich überrede sie jetzt, in eine Kommune einzutreten, doch auf einer ganz anderen Grundlage! Was lachen Sie darüber? Wir wollen unsere eigene besondere Kommune gründen, doch auf viel breiterer Grundlage als die bisherigen. Wir sind in unseren Überzeugungen weiter gegangen. Wir verneinen mehr! Wenn Dobroljubow aus dem Grabe auferstünde, würde ich mit ihm schon streiten! Den Belinskij würde ich schon ganz unterkriegen! Indessen fahre ich fort, die Aufklärung Ssofja Ssemjonownas zu fördern. Sie ist eine prächtige Natur!«

»Und diese prächtige Natur nutzen Sie auch aus, wie? He-he!«

»Nein, nein! Oh, nein! Im Gegenteil!«

»Sogar im Gegenteil! He-he-he! Das ist gut!«

»Glauben Sie mir doch! Aus welchem Grunde sollte ich es vor Ihnen verheimlichen, ich bitte Sie? Im Gegenteil, es kommt mir selbst merkwürdig vor: mir gegenüber ist sie ganz besonders scheu, keusch und schamhaft!«

»Und Sie klären sie natürlich auf, he-he-he! Sie beweisen ihr, daß jede Schamhaftigkeit Unsinn ist? ...«

»Durchaus nicht! Durchaus nicht! Oh, wie roh, wie dumm sogar – verzeihen Sie mir – fassen Sie das Wort Aufklärung auf! Sie verstehen gar nichts! O mein Gott, wie ... unfertig Sie noch sind! Wir streben nach der Befreiung der Frau, und Sie haben bloß das eine im Sinn ... Indem ich die Frage von der Keuschheit und Schamhaftigkeit der Frau als von Dingen, die an und für sich nutzlos und auf Vorurteilen begründet sind, übergehe, lasse ich ihre Keuschheit im Verkehr mit mir gelten, denn darin liegt doch ihr Wille, ihr ganzes Recht. Natürlich, wenn sie mir selbst sagte: ›Ich will dich haben‹, so würde ich es für ein großes Glück halten, denn das junge Mädchen gefällt mir sehr gut; aber jetzt, jetzt wird sie wohl von niemand höflicher, respektvoller und mit größerer Achtung vor ihrer Würde behandelt als von mir ... ich warte und hoffe, und das ist alles.«

»Schenken Sie ihr doch lieber etwas. Ich wette, daß Sie daran noch gar nicht gedacht haben.«

»Nichts verstehen Sie, gar nichts, das habe ich Ihnen schon gesagt! Ihre Lage ist natürlich derart, aber hier ist auch eine andere Frage! Eine ganz andere! Sie verachten sie einfach. Indem Sie eine Tatsache sehen, die Sie fälschlicherweise für verachtungswürdig halten, versagen Sie einem menschlichen Wesen ein humanes Verhältnis zu ihm. Sie wissen noch nicht, was das für eine Natur ist! Ich ärgere mich nur sehr, daß sie in der letzten Zeit fast ganz aufgehört hat, zu lesen, und sich von mir keine Bücher mehr holt. Früher hat sie es getan. Es ist auch schade, daß sie bei all ihrer Energie und Entschlossenheit zu protestieren – die sie schon einmal bewiesen hat –, noch immer wenig Selbständigkeit und sozusagen Unabhängigkeit besitzt, wenig Verneinungsgeist, um sich von manchen Vorurteilen und ... Dummheiten ganz loszureißen. Obwohl sie manche Fragen sehr gut begreift. So hat sie zum Beispiel ausgezeichnet die Frage vom Handküssen erfaßt, das heißt, daß der Mann die Frau beleidigt, wenn er ihr die Hand küßt, da er damit auf die Ungleichheit der Geschlechter hinweist. Über diese Frage wurde bei uns debattiert, und ich teilte es ihr sofort mit. Auch meine Ausführungen über die Assoziationen der Arbeiter in Frankreich hörte sie mit großem Interesse an. Jetzt erörterte ich vor ihr die Frage vom freien Eintritt in jedes Zimmer in der künftigen Gesellschaft.«