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»Ich hatte gestern Gelegenheit, im Vorbeigehen einige Worte mit der unglücklichen Katerina Iwanowna zu wechseln. Es genügten zwei Worte, um zu erfahren, daß sie sich in einem – widernatürlichen Zustande befindet, wenn man so sagen darf.«

»Jawohl ... in einem widernatürlichen«, bestätigte Ssonja hastig.

»Oder einfacher und verständlicher – in einem kranken.«

»Ja, einfacher und verständl ... jawohl, sie ist krank.«

»Nun also. Aus dem Gefühle der Humanität und ... sozusagen des Mitleides, möchte ich ihr nun meinerseits irgendwie behilflich sein, da ich ihr unvermeidlich trauriges Los voraussehe. Ich glaube, die ganze arme Familie lastet jetzt ganz auf Ihnen?«

»Gestatten Sie die Frage«, sagte Ssonja, indem sie sich plötzlich erhob: »Was haben Sie ihr gestern von der Möglichkeit einer Pension gesagt? Denn sie sagte mir schon gestern, Sie hätten es übernommen, ihr eine Pension zu erwirken. Ist es wahr?«

»Durchaus nicht, in gewisser Beziehung ein Unsinn. Ich habe nur auf einen einmaligen Unterstützungsbeitrag für die Witwe eines Beamten hingedeutet – natürlich, nur wenn eine Protektion vorhanden ist –, aber Ihr verstorbener Vater hat, soviel ich weiß, nicht nur die vorgeschriebene Frist nicht ausgedient, sondern in der letzten Zeit überhaupt nicht gedient. Mit einem Wort: es könnte wohl eine Hoffnung vorhanden sein, doch nur eine recht schwache, denn in diesem Falle liegen keinerlei Rechte auf die Unterstützung vor, sogar im Gegenteil. Sie aber denkt schon an eine Pension, he-he-he! Eine fixe Dame!«

»Jawohl, an eine Pension ... Denn sie ist leichtgläubig und gut und glaubt aus Güte alles und ... und ... sie hat mal einen solchen Verstand ... Jawohl, entschuldigen Sie ...« sagte Ssonja und erhob sich wieder zum Fortgehen.

»Entschuldigen Sie, Sie haben mich noch nicht zu Ende gehört.«

»Jawohl, ich habe noch nicht zu Ende gehört«, murmelte Ssonja.

»Also setzen Sie sich.«

Ssonja wurde entsetzlich verlegen und setzte sich zum drittenmal.

»Da ich Ihre Lage mit den unglücklichen kleinen Kindern sehe, möchte ich, wie gesagt, ihr nach Kräften behilflich sein, das heißt, wie man so sagt, nach Kräften und nicht mehr. Man könnte zum Beispiel zu ihren Gunsten eine Kollekte veranstalten, oder eine Lotterie ... oder etwas in dieser Art, wie es auch immer von Nahestehenden und sogar auch von fremden Menschen gemacht wird, die helfen möchten. Ich hatte eben die Absicht, Ihnen das mitzuteilen. Das ginge zu machen.«

»Jawohl, sehr gut ... Gott wird es Ihnen ...« stammelte Ssonja, Pjotr Petrowitsch unverwandt anblickend.

»Das ginge zu machen, aber ... davon reden wir später ... das heißt, man könnte auch heute anfangen, davon zu reden. Wir werden uns am Abend wiedersehen, uns einigen und sozusagen den Grund dazu legen. Kommen Sie zu mir so gegen sieben her. Andrej Ssemjonowitsch wird, hoffe ich, sich daran auch beteiligen ... Aber ... es gibt hier noch einen Umstand, den man vorher genau besprechen muß. Darum habe ich Sie auch, Ssofja Ssemjonowna, bemüht und herkommen lassen. Es ist nämlich meine Ansicht, daß man Katerina Iwanowna kein Geld in die Hand geben darf und daß es sogar gefährlich wäre; ein Beweis dafür ist das heutige Totenmahl. Obwohl sie keine Brotrinde für morgen hat und ... auch kein Schuhwerk und überhaupt nichts, kauft sie heute Jamaika-Rum und sogar, glaube ich, Madeira ... und Kaffee. Ich sah es im Vorbeigehen. Morgen werden Sie es alles bis zum letzten Bissen Brot wieder büßen müssen; das ist schon ganz dumm. Darum muß die Kollekte, meiner Ansicht nach, so gemacht werden, daß die unglückliche Witwe vom Gelde sozusagen nichts erfährt und nur Sie zum Beispiel allein davon wissen. Habe ich recht?«

»Ich weiß es nicht. Sie ist nur heute so ... ein einziges Mal im Leben ... sie wollte so gerne das Totenmahl machen, dem Toten die Ehre erweisen, sein Andenken ehren ... sie ist aber sehr klug. Übrigens, ganz wie Sie wollen, ich werde Ihnen sehr ... auch die anderen ... und Gott wird es Ihnen ... auch die Waisenkinder ...«

Ssonja kam nicht weiter und fing zu weinen an.

»So. Nun denken Sie daran; jetzt aber wollen Sie von mir für Ihre Verwandte fürs erste eine meinen Verhältnissen entsprechende Summe annehmen. Es wäre mir außerordentlich erwünscht, daß mein Name dabei nicht erwähnt werde. Hier ... da ich sozusagen eigene Sorgen habe, bin ich nicht imstande, mehr zu geben ...«

Und Pjotr Petrowitsch reichte Ssonja einen sorgfältig entfalteten Zehnrubelschein. Ssonja nahm das Geld, errötete, murmelte etwas und begann sich eilig zu verabschieden. Pjotr Petrowitsch begleitete sie schnell zur Tür. Sie sprang schließlich aus dem Zimmer, aufs tiefste erregt und abgequält, und kehrte in größter Verlegenheit zu Katerina Iwanowna zurück.

Während dieser ganzen Szene stand Andrej Ssemjonowitsch bald am Fenster und ging bald im Zimmer auf und ab. Als aber Ssonja fort war, ging er auf Pjotr Petrowitsch zu und reichte ihm feierlich die Hand.

»Ich habe alles gehört und gesehen«, sagte er, das letzte Wort besonders betonend. »Es ist edel, das heißt, ich wollte sagen, human! Sie wollten ihrem Dank ausweichen, ich sah es! Und obwohl ich, offen gestanden, für die private Wohltätigkeit nichts übrig haben kann, weil sie das Übel nicht radikal ausrottet, sondern noch mehr nährt, muß ich doch gestehen, daß ich Ihr Benehmen mit Vergnügen gesehen habe, ja, es gefiel mir sehr gut.«

»Ach, das ist alles Unsinn!« murmelte Pjotr Petrowitsch, ein wenig erregt und Lebesjatnikow etwas eigentümlich ansehend.

»Nein, es ist kein Unsinn! Ein Mensch, der wie Sie durch den gestrigen Vorfall beleidigt und gereizt ist und zugleich fähig ist, an das Unglück anderer zu denken, so ein Mensch ... begeht durch seine Handlungen einen sozialen Fehler, verdient aber jede Achtung! Ich hatte es von Ihnen gar nicht erwartet, Pjotr Petrowitsch, um so mehr, als nach Ihren Begriffen – oh, wie Ihre Begriffe für Sie störend sind! Wie regt Sie zum Beispiel der gestrige Mißerfolg auf!« rief der gutmütige Andrej Ssemjonowitsch, der wieder Sympathie für Pjotr Petrowitsch fühlte. »Und warum, warum wollen Sie unbedingt diese legitime Ehe, edler, lieber Pjotr Petrowitsch? Was brauchen Sie unbedingt diese Gesetzlichkeit in der Ehe? Nun, schlagen Sie mich, wenn Sie wollen, aber ich freue mich, freue mich, daß sie nicht zustande gekommen ist, daß Sie frei sind, daß Sie für die Menschheit noch nicht verloren sind, ich freue mich! ... Sehen Sie, nun habe ich mich ausgesprochen!«

»Weil ich in Ihrer illegitimen Ehe keine Hörner tragen und keine fremden Kinder züchten will – dazu brauche ich die legitime Ehe«, antwortete Luschin, nur um etwas zu sagen.

Er war mit irgendeinem Gedanken beschäftigt und nachdenklich.

»Kinder? Sie berühren die Kinderfrage?« fuhr Andrej Ssemjonowitsch auf wie ein Schlachtroß beim Klange der Kriegstrompete. »Diese Frage ist eine soziale und von höchster Bedeutung, das gebe ich zu; aber sie wird anders gelöst werden. Viele negieren vollkommen die Kinder, als etwas, was auf die Familie hindeutet. Von den Kindern wollen wir später reden und uns jetzt den Hörnern zuwenden. Ich muß gestehen, diese Frage ist meine Schwäche. Dieser abscheuliche, eines Husaren oder eines Puschkin würdige Ausdruck ist im künftigen Lexikon undenkbar. Was sind Hörner? Oh, diese Verirrung! Was für Hörner? Warum Hörner?,.. Welch ein Unsinn! Im Gegenteil, in der ›bürgerlichen‹ Ehe wird es sie gar nicht geben! Die Hörner sind nur eine natürliche Folge der legitimen Ehe, sozusagen eine Korrektur dieser Ehe, ein Protest, so daß sie in diesem Sinne gar nicht erniedrigend sind ... Und wenn ich einmal – nehmen wir mal diesen Unsinn an – eine legitime Ehe eingehe, so werde ich mich über Ihre dreimal verfluchten Hörner sogar freuen; ich werde dann meiner Frau sagen: ›Mein Freund, bisher habe ich dich bloß geliebt, jetzt achte ich dich aber auch, weil du es verstanden hast, zu protestieren!‹ Sie lachen! Das kommt, weil Sie sich von den Vorurteilen noch nicht losreißen können! Der Teufel noch einmal; ich verstehe ja sehr gut, warum es so unangenehm ist, in der legitimen Ehe betrogen zu werden: es ist aber nur die schändliche Folge der schändlichen Tatsache, wo beide Teile gleich erniedrigt sind. Wenn aber die Hörner ganz offen aufgesetzt werden, wie zum Beispiel in der bürgerlichen Ehe, so existieren sie nicht mehr, sind undenkbar und verlieren sogar die Benennung ›Hörner‹. Im Gegenteil, Ihre Frau zeigt Ihnen nur, wie sehr sie Sie achtet, indem sie Sie für unfähig hält, ihrem Glücke im Wege zu stehen, und für aufgeklärt genug, um an ihr wegen des neuen Gatten keine Rache zu nehmen. Hol's der Teufel – zuweilen denke ich mir, daß, wenn ich verheiratet wäre (ganz gleich, ob bürgerlich oder legitim), ich meiner Frau wohl selbst einen Geliebten zuführen würde, falls sie sich selbst lange keinen anschaffte. ›Mein Freund,‹ würde ich ihr sagen, ›ich liebe dich, will aber obendrein, daß du mich auch achtest, – hier!‹ Habe ich nicht recht?« ...