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Pjotr Petrowitsch hörte zu und kicherte, doch ohne besondere Begeisterung. Er hörte sogar wenig zu. Er war wirklich mit anderen Gedanken beschäftigt, was auch Lebesjatnikow schließlich merkte. Pjotr Petrowitsch war nachdenklich, sogar aufgeregt, und rieb sich die Hände. Andrej Ssemjonowitsch erinnerte sich später dieses Benehmens und fand dafür auch eine Erklärung ...

II

Es wäre schwer, genau die Gründe anzugeben, die im verstörten Gehirn Katerina Iwanownas die Idee dieses sinnlosen Totenmahles gezeitigt hatten. Von den zwanzig Rubeln, die sie von Raskolnikow eigentlich zur Beerdigung Marmeladows bekommen hatte, waren wirklich nahezu zehn Rubel draufgegangen. Vielleicht hielt es Katerina Iwanowna für eine Pflicht gegen den Verstorbenen, sein Gedächtnis »so wie es sich gehört« zu ehren, damit alle Mieter und insbesondere Amalia Iwanowna wissen, daß er »nicht nur gar nicht ärger als sie, vielleicht sogar viel besser« gewesen sei und daß niemand von ihnen das Recht habe, über ihn »die Nase zu rümpfen«. Vielleicht spielte hier am meisten jener besondere »Stolz der Armen« mit, der manchen Bettler bei gewissen öffentlichen Gebräuchen bewegt, die letzten Kräfte anzuspannen und die letzten Spargroschen auszugeben, nur um »nicht ärger als die anderen« zu sein, damit jene anderen nichts auszusetzen haben. Sehr wahrscheinlich war auch, daß Katerina Iwanowna den Wunsch hatte, gerade bei dieser Gelegenheit, gerade in diesem Augenblick, wo sie von der ganzen Welt verlassen schien, allen diesen »elenden und gemeinen Mietern« zu zeigen, daß sie nicht nur »zu leben und Gäste zu empfangen« verstehe, sondern auch, daß sie nicht zu einem solchen Lose erzogen worden sei, daß sie ihre Erziehung »in einer vornehmen, man kann wohl sagen, aristokratischen Oberstenfamilie« genossen habe und durchaus nicht bestimmt gewesen sei, selbst die Böden zu kehren und nachts die Kinderlumpen zu waschen. Diese Anfälle von Stolz und Eitelkeit kommen zuweilen bei den ärmsten und niedergedrücktesten Menschen vor und werden ihnen manchmal zu einem unaufhaltsamen und brennenden Bedürfnis. Katerina Iwanowna fühlte sich aber dabei gar nicht niedergedrückt: man konnte sie wohl durch Umstände ganz erdrücken, doch nicht moralisch niederdrücken, das heißt, einschüchtern und ihren Willen dem seinen unterwerfen. Außerdem hatte Ssonjetschka recht, wenn sie sagte, daß ihr Verstand verstört sei. Positiv und endgültig konnte man das allerdings noch nicht behaupten, aber ihr armer Kopf hatte in der letzten Zeit, im letzten Jahre viel zu viel Qualen erduldet, als daß er nicht zum Teil gelitten hätte. Auch die stark fortgeschrittene Schwindsucht trägt, wie die Mediziner sagen, zur Störung der geistigen Funktionen bei.

»Weine« in Mehrzahl und von verschiedenen Sorten gab es nicht, es gab auch keinen Madeira: das war übertrieben, aber Wein1 war vorhanden. Es gab: Branntwein, Rum und Lissaboner, alles von der geringsten Sorte, doch in genügender Menge. An Speisen gab es außer dem obligaten Totenmahlgericht aus Reis mit Honig noch drei oder vier Gerichte (darunter auch Pfannkuchen), alles aus der Küche Amalia Iwanownas; dazu wurden zugleich auch zwei Samowars bereitet, für Tee und Punsch, der nach dem Essen getrunken werden sollte. Die Einkäufe hatte Katerina Iwanowna selbst besorgt mit Hilfe eines der Mieter, eines armen, kleinen Polen, der Gott weiß warum bei Frau Lippewechsel wohnte und der sich sofort an Katerina Iwanowna zu Botengängen attachierte und den ganzen gestrigen Tag und heutigen Morgen Hals über Kopf mit herausgestreckter Zunge herumgelaufen war, anscheinend besonders darum bemüht, daß der letztere Umstand auch bemerkt werde. Wegen jedes Unsinns kam er jeden Augenblick zu Katerina Iwanowna selbst gelaufen, war sogar einmal ins Große Kaufhaus gegangen, um sie zu suchen, und nannte sie ununterbrochen »Frau Oberst«, so daß sie seiner schließlich bis zur Übelkeit überdrüssig wurde, obwohl sie anfangs auch sagte, daß sie ohne diesen »dienstfertigen und großmütigen« Menschen wohl ganz verloren wäre. Es war eine Eigentümlichkeit ihres Charakters, daß sie jeden ersten besten mit den schönsten und grellsten Farben schmückte, ihn so lobte, daß er sich selbst genierte, zu seinem Ruhme verschiedene Umstände erfand, die gar nicht existierten, selbst vollkommen aufrichtig und treuherzig an die Wirklichkeit dieser Umstände glaubte, dann sich aber plötzlich enttäuscht sah und den Menschen, den sie noch vor einigen Stunden buchstäblich vergöttert hatte, anschrie, anspuckte und mit den Fäusten hinausjagte. Von Natur aus hatte sie einen lustigen, friedlichen Charakter und war leicht zum Lachen zu bringen, aber infolge der ununterbrochenen Schicksalsschläge und Mißerfolge wollte sie und forderte sie so wütend, daß alle in Frieden und Freude leben und sich nicht unterstehen, anders zu leben, daß der leiseste Mißton im Leben, der geringste Mißerfolg sie sofort beinahe in Raserei versetzte und sie gleich nach den leuchtendsten Hoffnungen und Phantasien anfing, ihr Schicksal zu verfluchen, alles, was ihr in die Hände fiel, zu zerreißen und zu vernichten und mit dem Kopfe gegen die Wand zu schlagen. Auch Amalia Iwanowna hatte bei ihr plötzlich eine außergewöhnliche Bedeutung und außergewöhnliche Achtung gewonnen, vielleicht bloß aus dem Grunde, weil das Totenmahl stattfinden sollte und Amalia Iwanowna mit ganzem Herzen bereit war, an allen Mühen teilzunehmen: sie übernahm es, den Tisch zu decken, die Tischwäsche, das Geschirr und dergleichen zu besorgen und in ihrer Küche die Speisen zu bereiten. Katerina Iwanowna hatte sie, vor dem Gange auf den Friedhof, mit allen Vollmachten ausgestattet und als ihre Vertreterin zurückgelassen. Alles war tatsächlich aufs beste vorbereitet: der Tisch war sogar ziemlich reinlich gedeckt, das Geschirr, die Gabeln und Messer, Schnapsgläser, Weingläser und Tassen waren zwar von verschiedener Form und von verschiedener Größe, weil von verschiedenen Mietern zusammengeborgt, aber alles stand zur bestimmten Stunde auf seinem Platz, und Amalia Iwanowna, vom Gefühl durchdrungen, ihr Werk gut getan zu haben, empfing die vom Friedhofe Zurückkehrenden sogar mit einem gewissen Stolze, fein geputzt, mit neuen Trauerbändern an der Haube und im schwarzen Kleide. Dieser, wenn auch berechtigte Stolz, mißfiel aus irgendeinem Grunde Katerina Iwanowna: »Als ob wir es ohne Amalia Iwanowna nicht verstanden hätten, den Tisch zu decken!« Auch die Haube mit den neuen Bändern mißfiel ihr: »Diese dumme Deutsche ist vielleicht noch stolz, daß sie die Wirtin ist und sich aus Gnade herabgelassen hat, den armen Mietern zu helfen? Aus Gnade! Ich bitte sehr! Bei Katerina Iwanownas Papa, der Oberst und beinahe Gouverneur gewesen war, pflegte man den Tisch zuweilen für vierzig Personen zu decken, so daß man irgendeine Amalia Iwanowna, oder besser gesagt Ludwigowna, nicht mal in die Küche hereingelassen hätte ...« Katerina Iwanowna entschloß sich jedoch, ihre Gefühle vorerst nicht zu äußern, obwohl sie sich in ihrem Herzen fest vorgenommen hatte, Amalia Iwanowna heute noch zurechtzuweisen und an den ihr gebührenden Platz zu erinnern, sonst würde sie sich Gott weiß was einbilden; zunächst beschränkte sie sich darauf, sie einfach kühl zu behandeln. Auch eine andere Unannehmlichkeit hatte zur Gereiztheit Katerina Iwanownas beigetragen: zur Beerdigung war von den eingeladenen Mietern, außer dem Polen, der immerhin noch Zeit gefunden hatte, auf den Friedhof zu laufen, fast niemand erschienen; aber zum Totenmahle kamen nur die unbedeutendsten und ärmsten von ihnen; viele waren sogar etwas angetrunken, mit einem Worte ein Gesindel. Aber die Alteren und die Solideren waren alle, als hätten sie sich verabredet, nicht erschienen. So fehlte zum Beispiel auch Pjotr Petrowitsch Luschin, wohl der solideste von allen Mietern, während Katerina Iwanowna schon gestern abend aller Welt, das heißt Amalia Iwanowna, Poljetschka, Ssonja und dem kleinen Polen erzählt hatte, daß er der edelste und großmütigste Mensch mit den besten Verbindungen und einem bedeutenden Vermögen sei, ehemaliger Freund ihres ersten Mannes, der im Hause ihres Vaters gern gesehen worden sei und ihr versprochen habe, alle Mittel anzuwenden, um ihr eine beträchtliche Pension zu erwirken. Wir wollen hier bemerken, daß, wenn Katerina Iwanowna auch mit jemandes Verbindungen und Vermögen prahlte, sie es ohne persönliches Interesse und vollkommen uneigennützig tat, sozusagen aus übervollem Herzen, nur um des Vergnügens willen, den Betreffenden zu loben und dem Gelobten ein größeres Gewicht zu verleihen. Gleich Luschin war auch, vermutlich »seinem Beispiel folgend«, »dieser gemeine Schuft Lebesjatnikow« nicht erschienen. »Was bildet sich wohl dieser ein? Man hat ihn doch bloß aus Gnade eingeladen, und auch das nur, weil er mit Pjotr Petrowitsch in einem Zimmer wohnt und sein Bekannter ist, so daß es nicht gut ging, ihn nicht einzuladen.« Nicht erschienen waren ferner die feine Dame mit ihrer Tochter, »der überreifen alten Jungfer«, die zwar erst seit zwei Wochen bei Amalia Iwanowna wohnten, aber sich schon einige Male über den Lärm und das Geschrei bei den Marmeladows beschwert hatten, besonders wenn der Verstorbene betrunken nach Hause kam; das hatte Katerina Iwanowna von Amalia Iwanowna erfahren, als diese, wenn sie sich mit Katerina Iwanowna zankte und ihr drohte, sie mit ihrer ganzen Familie hinauszuwerfen, aus vollem Halse schrie, daß sie »vornehme Mieter, deren Fuß Sie nicht mal wert sind, belästigen!« – Katerina Iwanowna nahm sich absichtlich vor, diese Dame mit ihrer Tochter, deren »Fuß sie nicht mal wert sei«, einzuladen, um so mehr als jene bei zufälligen Begegnungen sich hochmütig wegwandte; – nun soll sie wissen, daß man hier »edler fühlt und denkt und, ohne Böses nachzutragen, zu Gast bittet«; – nun sollen beide, Mutter und Tochter, sehen, daß Katerina Iwanowna an ganz andere Verhältnisse gewöhnt ist! Sie hatte fest beschlossen, ihnen dies alles bei Tisch zu erklären und auch den Gouverneursrang des verstorbenen Papas zu erwähnen, zugleich aber auch indirekt zu bemerken, daß sie keinen Grund hätten, sich bei den Begegnungen wegzuwenden, und daß dies außerordentlich dumm sei! Es fehlte auch der dicke Oberstleutnant (eigentlich Hauptmann a.D.); es stellte sich aber heraus, daß er seit gestern früh vor Trunkenheit seine Beine nicht bewegen konnte. Mit einem Wort, es erschienen nur: der Pole, ein unansehnlicher Kanzlist, der kein Wort sprach, in fettigem Frack, mit Finnen im Gesicht und einem ekelhaften Geruch; dann ein tauber und fast blinder Greis, der einst bei einem Postamt angestellt gewesen war und dessen Unterhalt bei Amalia Iwanowna seit undenkbaren Zeiten und aus unbekannten Gründen jemand bezahlte. Es kam auch ein betrunkner Leutnant a.D., im Grunde genommen nur ein Proviantbeamter, der höchst unanständig und laut lachte und sogar, »denken Sie sich nur«, keine Weste anhatte! Ein Unbekannter setzte sich direkt an den Tisch, sogar ohne Katerina Iwanowna begrüßt zu haben, und schließlich tauchte auch noch eine Person auf, die aus Ermangelung eines Anzuges mit einem Schlafrocke bekleidet war; dies war aber schon so unanständig, daß dieser Gast durch die Bemühungen Amalia Iwanownas und des Polen abgeschoben wurde. Der Pole hatte übrigens noch zwei andere Polen mitgebracht, die bei Amalia Iwanowna niemals gewohnt hatten und bisher von niemand in dieser Wohnung gesehen worden waren. Dies alles reizte Katerina Iwanowna in der unangenehmsten Weise. »Für wen waren denn alle die Vorbereitungen gemacht?« Man hatte sogar die Kinder, um Platz zu gewinnen, nicht an den Tisch gesetzt, der ohnehin das ganze Zimmer einnahm, sondern für sie in einer hinteren Ecke auf einem Koffer gedeckt; die beiden Kleineren saßen auf einer Bank, und Poljetschka, als die Erwachsene, mußte auf sie aufpassen, sie füttern und ihnen »wie Kindern aus vornehmem Hause« die Näschen putzen. Mit einem Wort, Katerina Iwanowna konnte nicht umhin, alle mit verdoppelter Würde und sogar mit Hochmut zu empfangen. Einige Gäste musterte sie besonders streng und forderte von oben herab auf, sich an den Tisch zu setzen. Da sie aus irgendeinem Grunde für alle Nichterschienenen Amalia Iwanowna verantwortlich machte, fing sie plötzlich an, diese äußerst nachlässig zu behandeln, was die Wirtin sofort merkte und wodurch sie sehr pikiert wurde. Ein solcher Anfang verhieß kein gutes Ende. Endlich saßen alle bei Tisch. Raskolnikow war fast in demselben Augenblick gekommen, als alle vom Friedhof zurückkehrten. Katerina Iwanowna freute sich sehr über sein Erscheinen, erstens, weil er der einzige »gebildete« Gast sei und »bekanntlich in zwei Jahren einen Lehrstuhl an der hiesigen Universität bekommen würde«, und zweitens, weil er sich bei ihr unverzüglich und respektvoll entschuldigte, daß er trotz seines guten Willens zur Beerdigung nicht hatte kommen können. Sie fiel förmlich über ihn her, setzte ihn bei Tisch links neben sich (zu ihrer Rechten saß Amalia Iwanowna) und wandte sich, trotz der ununterbrochenen Sorgen, daß die Speisen richtig herumgereicht würden und daß alle etwas bekämen, trotz des qualvollen Hustens, der sie jeden Augenblick unterbrach und würgte und in den letzten zwei Tagen eine besonders hartnäckige Form angenommen zu haben schien, immerfort an Raskolnikow; sie beeilte sich, vor ihm halb flüsternd alle Gefühle, die sich in ihr angesammelt hatten, und ihre ganze gerechte Entrüstung über das mißlungene Totenmahl zu ergießen, wobei die Entrüstung oft von einem sehr lustigen und ausgelassenen Lachen über die versammelten Gäste, hauptsächlich aber über die Wirtin, unterbrochen wurde.