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»Ist das eine Eule!« flüsterte Katerina Iwanowna fast heiter wieder Raskolnikow zu. »Sie wollte sagen, daß er die Hände in seinen eigenen Taschen hatte, aber es klingt, als ob er ein Taschendieb gewesen wäre, kchi-kchi-kchi! Haben Sie bemerkt, Rodion Romanowitsch, daß alle diese Petersburger Ausländer, das heißt hauptsächlich die Deutschen, die irgendwoher zu uns kommen, sämtlich dümmer sind als wir?! Sie werden doch zugeben, daß man nicht erzählen darf, daß ›die Angst Karls Herz durchbohrt‹ hat und daß er (dieser Waschlappen!), statt den Kutscher zu knebeln, ›die Hände gefaltet, und geweint und sehr, sehr gebeten hat‹. Ach, die dumme Gans! Sie glaubt dabei, daß alles sehr rührend sei, und ahnt gar nicht, wie dumm sie ist! Meiner Ansicht nach ist dieser betrunkene Proviantbeamte viel klüger als sie; dem sieht man wenigstens an, daß er ein Säufer ist und das letzte bißchen Verstand vertrunken hat; diese aber sitzen so aufgeblasen und ernst da ... Wie sie dasitzt und glotzt. Sie zürnt! Sie zürnt! Ha-ha-ha! Kchi-kchi-kchi!«

Katerina Iwanowna war lustig geworden und begann plötzlich mit allen Einzelheiten zu erzählen, wie sie mit der Pension, die man für sie erwirken würde, in ihrer Heimatstadt T. ein Pensionat für junge Mädchen aus vornehmen Familien gründen werde. Katerina Iwanowna hatte dies Raskolnikow noch nicht mitgeteilt, und sie ließ sich von verlockenden Einzelheiten hinreißen. Plötzlich erschien in ihren Händen, kein Mensch wußte auf welche Weise, jenes »lobende Attest«, von dem der verstorbene Marmeladow Raskolnikow damals in der Schenke erzählt hatte, als er ihm mitteilte, daß seine Gattin Katerina Iwanowna bei der Abschiedsfeier im Institut mit einem Schal »vor dem Gouverneur und den anderen Persönlichkeiten« getanzt habe. Dieses Attest sollte jetzt wohl Katerina Iwanowna als Zeugnis dienen, daß sie ein Recht habe, ein Pensionat zu gründen; vor allen Dingen hatte sie es aber bereitgelegt, um die beiden »aufgedonnerten langschleppigen Weiber«, wenn sie zum Totenmahl gekommen wären, zu vernichten und ihnen klar zu beweisen, daß Katerina Iwanowna aus einem vornehmen, »man darf wohl sagen, aristokratischen Hause sei, eine Oberstentochter und sicher tausendmal besser als manche Abenteurerinnen, die sich in der letzten Zeit so breitmachen«. Das Attest ging sofort unter den betrunkenen Gästen von Hand zu Hand, was Katerina Iwanowna gar nicht hinderte, da darin tatsächlich en toutes lettres geschrieben stand, daß sie die Tochter eines Hofrats und Ritters, also in der Tat beinahe eine Oberstentochter sei. Katerina Iwanowna hatte Feuer gefangen und verbreitete sich sofort über alle Einzelheiten des ihr bevorstehenden schönen und ruhigen Lebens in T.: über die Gymnasiallehrer, die sie an ihrem Pensionat anstellen würde, über einen ehrwürdigen alten Mann, den Franzosen Mangot, der ihr selbst am Institut französischen Unterricht erteilt hatte und der noch immer in T. lebte und sicher unter sehr günstigen Bedingungen bei ihr eintreten würde. Die Rede kam schließlich auch auf Ssonja, »die nach T. mitkommen und Katerina Iwanowna helfen werde«. Plötzlich lachte jemand am anderen Ende des Tisches laut auf. Katerina Iwanowna bemühte sich zwar, sich den Anschein zu geben, als hätte sie das Lachen am anderen Ende des Tisches nicht bemerkt, erhob aber absichtlich die Stimme und begann mit Begeisterung über die unzweifelhaften Talente Ssofja Ssemjonownas zu sprechen, die sie befähigten, sie in diesem Werke zu unterstützen, über ihre »Milde, Geduld, Selbstaufopferung, Großmütigkeit und Bildung«, wobei sie Ssonjas Wange tätschelte und sie einigemal begeistert küßte. Ssonja errötete, und Katerina Iwanowna brach plötzlich in Tränen aus und sagte über sich selbst, daß sie »eine nervenschwache Närrin und viel zu aufgeregt sei, daß es Zeit sei, ein Ende zu machen, da man mit dem Imbiß fertig sei und nun den Tee trinken könnte«. In diesem Augenblick riskierte Amalia Iwanowna, die nun endgültig beleidigt war, da sie am ganzen Gespräch nicht den geringsten Anteil genommen hatte und man ihr gar nicht zuhörte, plötzlich den letzten Versuch und erkühnte sich mit unterdrückter Sehnsucht, Katerina Iwanowna eine äußerst vernünftige und tiefsinnige Bemerkung zu machen, daß man im künftigen Pensionat besonders auf die Reinheit der Wäsche der jungen Mädchen sehen müsse, und daß man »unbedingt eine ordentliche Dame haben müsse, die gut auf die Wäsche aufpaßte«; und zweitens, »daß die jungen Mädchen nicht in der Nacht heimlich Romane lesen«. Katerina Iwanowna, die tatsächlich abgespannt und sehr müde war und das Totenmahl ordentlich satt hatte, unterbrach Amalia Iwanowna sofort mit der Bemerkung, daß sie »Unsinn rede« und nichts verstünde; daß die Sorge um die Wäsche Sache der Wäschebeschließerin sei und nicht der Direktrice eines vornehmen Pensionats; was aber das Lesen von Romanen betreffe, so finde sie diese Bemerkung unanständig und müsse sie bitten, zu schweigen. Amalia Iwanowna fuhr auf und antwortete erbost, daß sie ihr »nur Gutes wünsche«, daß sie ihr »sehr viel Gutes wünsche«, von ihr aber schon lange kein Geld für die Wohnung bekommen habe. Katerina Iwanowna wies sie sofort zurecht und sagte ihr, daß sie lüge, wenn sie sage, daß sie ihr Gutes wünsche, denn sie habe sie gestern, als der Verstorbene noch auf dem Tische lag, mit der Wohnungsmiete gequält. Amalia Iwanowna entgegnete darauf mit wunderbarer Logik, daß sie »jene Damen wohl eingeladen habe, die Damen aber nicht gekommen seien, weil jene Damen feine Damen seien und zu einer unfeinen Dame nicht kommen könnten«. Katerina Iwanowna »rieb ihr unter die Nase«, daß sie als schmutziges Frauenzimmer gar nicht darüber urteilen könne, was wahre Vornehmheit sei. Amalia Iwanowna ließ sich das nicht bieten und erklärte sofort, daß ihr »Vater aus Berlin ein sehr vornehmer Mann gewesen sei, beide Hände in die Taschen gesteckt und immer so gemacht habe: puff! puff!«. Und Amalia Iwanowna sprang, um ihren Vater darzustellen, vom Stuhle auf, steckte beide Hände in die Taschen, blähte die Wangen auf und fing an, mit dem Munde unbestimmte Töne wie puff! puff! zu produzieren, unter dem lauten Lachen aller Mieter, die, im Vorgefühl einer Prügelei, Amalia Iwanowna absichtlich durch ihren Beifall ermunterten. Dies konnte aber Katerina Iwanowna nicht vertragen, und sie erklärte unverzüglich und so laut, daß alle es hörten, Amalia Iwanowna hätte vielleicht nie einen »Vater« gehabt, Amalia Iwanowna sei einfach eine betrunkene Finnin aus Petersburg und hätte sicher früher irgendwo als Köchin, vielleicht auch als etwas Schlimmeres gedient. Amalia Iwanowna wurde krebsrot und kreischte, daß Katerina Iwanowna vielleicht »gar keinen Vater gehabt habe; sie hätte aber einen Vater aus Berlin gehabt, und dieser habe einen langen Rock getragen und immer puff, puff, puff! gemacht«. Katerina Iwanowna entgegnete mit Verachtung, daß ihre Abstammung doch allen bekannt sei und daß es in ihrem Attest mit gedruckten Buchstaben stehe, daß ihr Vater Oberst gewesen sei; der Vater Amalia Iwanownas (wenn sie überhaupt einen Vater gehabt habe), sei sicher ein Petersburger Finne gewesen und habe mit Milch hausiert; wahrscheinlich hätte sie aber überhaupt keinen Vater gehabt, da es noch immer nicht feststehe, wie Amalia Iwanowna mit ihrem Vatersnamen heiße: Iwanowna oder Ludwigowna? Amalia Iwanowna geriet nun in höchste Wut, schlug mit der Faust auf den Tisch und begann zu kreischen, daß ihr Vater »Johann geheißen habe und Bürgermeister gewesen sei«, der Vater Katerina Iwanownas aber »niemals Bürgermeister gewesen sei«. Katerina Iwanowna erhob sich von ihrem Stuhl und bemerkte ernst und mit scheinbar ruhiger Stimme (obwohl sie ganz bleich war und ihre Brust sich mächtig hob und senkte), daß, wenn sie sich noch einmal unterstehen werde, »ihren lumpigen Vater mit ihrem Papa auf die gleiche Stufe zu stellen, sie ihr die Haube vom Kopfe herunterreißen und mit den Füßen zertreten werde«. Als Amalia Iwanowna es hörte, begann sie hin und her zu laufen und aus allen Kräften zu schreien, daß sie hier die Wirtin sei und daß Katerina Iwanowna »augenblicklich die Wohnung räumen solle«; dann stürzte sie zum Tisch und raffte aus irgendeinem Grunde die silbernen Löffel zusammen. Es erhob sich ein Lärm und Geschrei, die Kinder weinten. Ssonja stürzte sich zu Katerina Iwanowna, um sie zurückzuhalten; aber Amalia Iwanowna schrie plötzlich etwas von einem gelben Paß, Katerina Iwanowna stieß Ssonja zurück und eilte auf Amalia Iwanowna zu, um ihre Drohung wegen der Haube zu verwirklichen. In diesem Augenblick ging die Tür auf, und an der Schwelle des Zimmers erschien Pjotr Petrowitsch Luschin. Er stand da und musterte streng und aufmerksam die ganze Gesellschaft. Katerina Iwanowna stürzte auf ihn zu.